Otto Schmidt Verlag


Aktuell im UStB

BMF zur umsatzsteuerlichen Behandlung von Reihengeschäften (Teil 1) - Es kommt nicht darauf an, wie lange man wartet, sondern worauf (Harksen, UStB 2023, 213)

Das BMF hat nunmehr das finale Schreiben zur umsatzsteuerlichen Behandlung von Reihengeschäften veröffentlicht (BMF v. 25.4.2023 – III C 2 - S 7116-a/19/10001 :003, UR 2023, 494). In dem Schreiben wird im Wesentlichen Abschnitt 3.14 UStAE angepasst. Breiten Raum nehmen die Ausführungen zur Lieferung durch den Zwischenhändler (Abs. 9 bis 11) ein. Ferner hat das BMF die Abs. 13 bis 16 in Abschnitt 3.14 um mehrere Beispiele ergänzt. Darüber hinaus wurde Abschnitt 25b.1 UStAE geändert. Der folgende Beitrag gibt einen Überblick über das BMF-Schreiben und nimmt in Praxisbeispielen Stellung zur Kompatibilität der Regelungen.

I. Einleitung
II. Das Reihengeschäft im Europäischen Recht
III. Das Reihengeschäft nach deutschem Recht
IV. Das Reihengeschäft nach den Erläuterungen der EU-Kommission
V. Das BMF-Schreiben v. 25.4.2023

1. Das Reihengeschäft und die Zuordnung der Warenbewegung
2. Das inländische Reihengeschäft
3. Das innergemeinschaftliche Reihengeschäft und Verwendung einer USt-IdNr.


I. Einleitung
Schon im Jahr 1967 war bei der Erschaffung des gemeinsamen Mehrwertsteuersystems beschlossen worden, ein endgültiges Mehrwertsteuersystem einzurichten, das innerhalb der Europäischen Gemeinschaft genauso funktioniert wie innerhalb eines einzelnen Mitgliedstaats. Zum 1.1.1993 ist der Europäische Binnenmarkt verwirklicht worden. Da die politischen und technischen Voraussetzungen für ein endgültiges Mehrwertsteuersystem bei Inkrafttreten des Europäischen Binnenmarkes am 1.1.1993 nicht reif waren, wurde eine sog. provisorische Übergangsregelung für die Mehrwertsteuer erlassen, die gemäß den Regelungen der Richtlinie 2006/112/EG (MwStSystRL) von einer endgültigen Regelung abgelöst werden muss. Grenzüberschreitende Umsätze innerhalb der EU sollten lokalen Umsätzen umsatzsteuerlich gleichgestellt sein – die Einfuhrbesteuerung wurde durch die Erwerbsbesteuerung abgelöst.

Wie sich an der sog. Mehrwertsteuerlücke ablesen lässt, sind die Regelungen der Übergangslösung zum einen extrem betrugsanfällig und zum anderen zu kompliziert und mit einem stetig steigenden Bürokratieaufwand für grenzüberschreitend tätige Unternehmen verbunden.

Die Kommission hatte am 25.5.2018 einen Vorschlag mit Elementen für ein endgültiges Mehrwertsteuersystem für den grenzüberschreitenden Handel zwischen Unternehmen vorgelegt, der auf dem Grundsatz der Besteuerung grenzüberschreitender Lieferungen von Gegenständen im Bestimmungsmitgliedstaat basiert. Startschuss des endgültigen Systems sollte der 1.7.2022 sein. Da allerdings klar war, dass es mehrere Jahre dauern würde, bis das endgültige Mehrwertsteuersystem für den innergemeinschaftlichen Handel umgesetzt ist, sollte eine schnelle Lösung – sog. Quick fixes – u.a. die gesetzlichen Bedingungen für Reihengeschäfte verbessen.

Diese Regelungen sind in den meisten Mitgliedstaaten der EU zum 1.1.2020 umgesetzt worden.

II. Das Reihengeschäft im Europäischen Recht
Die Richtlinie 2006/112/EG des Rates vom 28.11.2006 über das gemeinsame europäische Mehrwertsteuersystem (MwStSystRL) enthielt bis zum 31.12.2019 keine detaillierten Vorgaben zur Umsatzbesteuerung von Reihengeschäften. Die Konsequenz war eine Zersplitterung des Mehrwertsteuerrechts für Reihengeschäftskonstellationen. Innerhalb der Europäischen Union reichte dies von gesetzgeberischem Aktionismus zu Reihen-/Ketten- oder Streckengeschäften über Verwaltungsvereinfachungen bis hin zu normativer Untätigkeit, da es ein Reihengeschäft als solches schlicht nicht gab. In all diesen Fällen wurde versucht, die Besteuerung nach den allgemeinen Regelungen des europäischen Mehrwertsteuersystems vorzunehmen. Es fehlte insbesondere an einer Zuordnungsregelung, um die Frage beantworten zu können, welche der hintereinandergeschalteten Lieferungen in der Reihe als solche einer Steuerbefreiung zugänglich sein könnte. Grenzüberschreitende Reihengeschäfte waren in manchen Fällen damit schlicht nicht durchführbar, wollte man nicht riskieren, in mehr als einem der am Reihengeschäft beteiligten Mitgliedstaaten zur Umsatzsteuer herangezogen zu werden. So sah das deutsche Umsatzsteuerrecht in § 3 Abs. 6 S. 6 1. und Halbs. 2 UStG ein Wahlrecht des Zwischenhändlers vor, ob er nun als Abnehmer der Vorlieferung oder als Lieferer auftreten wollte. Das österreichische Umsatzsteuerrecht kannte ein solches Wahlrecht nicht; das französische Recht sah nicht einmal besondere Regelungen für ein Reihengeschäft vor. Deutschland hatte sich zudem mit der uneinheitlichen Rechtsprechung des V. und XI. Senats des BFH auseinanderzusetzen, beim EuGH sah es nicht wesentlich besser aus.

Zum 1.1.2020 wurde mit der Umsetzung der sog. Quick Fixes in nationales Recht eine Zeitenwende vollzogen. Der durch Art. 1 Nr. 2 Richtlinie (EU) 2018/1910 des Rates vom 4.12.2018 in die MwStSystRL eingeführte Art. 36a enthält erstmals eine ausdrückliche unionsrechtliche Regelung zur Zuordnung der Warenbewegung (Beförderung oder Versendung) beim Reihengeschäft im innergemeinschaftlichen Handel. Nach den Erwägungsgründen werden als Reihengeschäft aufeinanderfolgende Lieferungen von Gegenständen bezeichnet, die eine einzige...
 



Verlag Dr. Otto Schmidt vom 13.07.2023 17:00
Quelle: Verlag Dr. Otto Schmidt

zurück zur vorherigen Seite