Otto Schmidt Verlag


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Dreißig Jahre Steuertricks und andere Freuden (van Lishaut, FR 2023, 89)

Der Autor berichtet aus dreißig Jahren Berufserfahrung zum Steuerrecht, zur Gesetzgebung und zur Verwaltungsorganisation. Besprochen werden Steuergestaltungen zur Unternehmer-Einkommensteuer, Gewerbesteuer, Körperschaftsteuer sowie Schenkungsteuer, Fragen des Internationalen Steuerrechts sowie solche zu Reichweite und Grenzen der Steuerumgehung i.S.v. § 42 AO. Der Beitrag wird mit einem Vorschlag zur Effektivierung des Rechtsschutzes durch den BFH abgerundet.


Ein trüber Büronachmittag ...

Die Gestaltungstricks

  • Spiegeljournalisten-Fall
  • SICAV-Fall
  • Organschaftsfall
  • Gewerbesteuer-Oase
  • Ausgliederungsmodell
  • Schenkung über die GmbH
  • Typologie internationaler Steuergestaltungen
  • Zwischenbemerkung

Die Gesetzgebung

Die Verwaltung

  • Wissensmanagement
  • Zentrales Qualitätsmanagement
  • Gesamtpriorisierung

Die Rechtssicherheit

Die Konzepte

Schlusswort


Ein trüber Büronachmittag ...

Ein trüber Büronachmittag im November. Der Referent fährt den Rechner herunter und wendet sich zum Gehen. Da schellt das Telefon – die Pforte ruft an. Man sollte den Anruf ignorieren, damit der Feierabend nicht gefährdet wird, aber die Neugier ist doch größer. Der Pförtner am Apparat: „Können Sie mal runterkommen? Hier ist so ein Herr ...“. An der Pforte wartet ein wahrer Riese, ein Zwei-Meter-Mann mit Händen groß wie Bratpfannen. Er kommt aus dem Ostwestfälischen und ist müde und aufgekratzt. Er hat ein Problem mit seiner Steuer und fühlt sich schlecht behandelt. „Na, dann kommen Sie mal mit“, lädt ihn der Referent in sein Büro ein. Der Pförtner schaut den Beiden besorgt hinterher. Im Büro kocht der Referent seinem Gast erst einmal einen Tee, auf Wunsch Früchtetee. Wer Früchtetee trinkt, kann kein gefährlicher Mensch sein. Er sei seit 6:00 Uhr den ganzen Tag unterwegs, berichtet der Riese. So weit ist es doch gar nicht aus dem Ostwestfälischen, meint der Referent. Nein, aber er sei zunächst nach Bonn gefahren zum Bundesfinanzministerium, dort habe man ihn erst lange warten lassen und dann mit dem Satz „der Steuervollzug ist Ländersache“ abgewimmelt, deswegen sei er jetzt hier im Finanzministerium NRW. Was ist denn das Problem? Nun, er habe eine Dampfmaschine und arbeite damit im Straßenbau. Eigentlich laufe das Geschäft gut, aber momentan gebe es eine Auftragsdelle und er schreibe Verluste. Das Finanzamt nehme sich aber davon nichts an, sondern besteuere Gewinne. Er habe deswegen auch Ärger mit seiner Freundin, die ihm Geld für sein Unternehmen geliehen habe und nun annehme, dass irgendwas an seiner Gewinnermittlung faul sei. An dieser Stelle fängt der Riese an zu weinen. „Was haben Sie denn für eine Rechtsform?“, fragt der Referent peinlich betreten. Eine dumme Frage, mit der der Straßenbauer nichts anfangen kann. Er habe gar keine „Rechtsform“ sondern arbeite alleine. Der Referent kommt schließlich darauf, sich eine Rechnung zeigen zu lassen. Im Briefkopf steht „Emil B. GmbH & Co. KG“. Dann ist die Sache wohl klar, sagt der Referent. Es gibt einen Paragraphen, den § 15a EStG, der die Verluste der Gesellschaft nur zur Verrechnung mit künftigen Gewinnen der Gesellschaft zulässt. Der Arbeitslohn, den sich der Straßenbauer aus dem Unternehmen heraus zahlt, ist von dieser Beschränkung ausgenommen und kann daher als Gewinn besteuert werden. Wozu diese Unterscheidung denn gut sei, fragt der Straßenbauer. Man will damit die Steuersparbranche treffen, erwidert der Referent. Er sei aber kein Steuertrickser, sondern ein hart arbeitender Mensch, dem mit § 15a eine Steuerfalle gestellt werde, beschwert sich der Straßenbauer. Leider differenziert das Gesetz nicht danach, antwortet der Referent. Es gebe für den Straßenbauer aber noch die Möglichkeit, die von der Freundin erhaltenen Darlehensmittel als seine Einlage in das Unternehmen zu behandeln. Bis zu dieser Höhe können Verluste desselben Wirtschaftsjahrs mit den Tätigkeitsvergütungen verrechnet werden. Die Einlagen dürften aber nicht erst in einem Jahr nach Verlusteintritt erbracht werden. Für die Vergangenheit sei die korrekte Behandlung des Finanzamts leider nicht mehr zu ändern. Eigentlich brauche der Straßenbauer eine qualifizierte steuerliche Beratung, wer ihn denn berate? Der Straßenbauer antwortet, er lasse sich von einem Lohnsteuerhilfeverein beraten, schon seit der Zeit, als er noch nicht selbständig war. Der Referent: Das reicht aber leider nicht.

Szenenwechsel nach Berlin. Ein Staatssekretär flüchtet vor der Kamera des WDR in das Bundesfinanzministerium. Das Fernsehen fragt nach einem besonderen Gestaltungstrick der Großunternehmen, mit dem man Gewinne in Verluste verwandeln kann. Die Gestaltung war in den letzten Wochen im Parlament diskutiert worden.

Nehmen wir ein Beispiel: Eine deutsche Aktiengesellschaft – nennen wir sie M-AG – kauft 10 % börsennotierte Aktien einer ausländischen Gesellschaft – der A-Incorporated – für 1 Mrd. €. Der Kurswert geht hoch auf 2 Mrd., sinkt dann wieder ab und die A-Beteiligung wird von der M-AG am Schluss für 1,6 Mrd. € verkauft. Wie hoch ist der steuerliche Gewinn?

Sie sagen: 600 Mio. € Gewinn.

Ich sage: 400 Mio. € Verlust.

Von 1993 bis 2001 gab es einen § 8b KStG, der die steuerfreie Veräußerung von Auslandsbeteiligungen ermöglichte, wenn diese mindestens 10 % der Gesellschaft umfassen. Der Grund war, dass Dividendenausschüttungen von sog. Schachtelbeteiligungen an ausländischen Gesellschaften von 10 % und mehr ohnehin nach internationalen Abkommen steuerfrei waren und es keinen Unterschied machen sollte, ob man Ausschüttungen erhält oder die Gesellschaftsanteile mit Gewinn verkauft; Veräußerungsgewinne waren daher steuerfrei, Veräußerungsverluste hingegen steuerabzugsfähig. Die Wirtschaft wurde gefragt, ob dieser Widerspruch zwischen Gewinnen und Verlusten nicht ausgenutzt werden könnte. Antwort eines namhaften Verbandsvertreters: „Die deutsche Industrie tut sowas nicht“.

Aber offensichtlich tat sie es (...)

 



Verlag Dr. Otto Schmidt vom 02.02.2023 15:28
Quelle: Verlag Dr. Otto Schmidt

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