Otto Schmidt Verlag


Niedersächsisches FG v. 19.8.2021 - 11 K 133/20

Anspruch auf Vorsteuerberichtigung nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens

Das Niedersächsische FG hat sich vorliegend mit der Frage auseinandergesetzt, ob Vorsteuerberichtigungsansprüche nach § 17 Abs. 2 Nr. 1 Satz 1, Abs. 1 Satz 2 UStG im Rahmen der Masseverwaltung entstanden sind und damit die gem. § 55 Abs. 1 Satz 1 InsO als Masseverbindlichkeit festzusetzende Umsatzsteuerjahresschuld erhöht haben.

Der Sachverhalt:
Der Kläger wurde jeweils zum Insolvenzverwalter der X-GmbH, ihrer Holding- sowie ihrer Schwestergesellschaft G bestellt. In der Zeit vor Insolvenzeröffnung bezog die GmbH zum Vorsteuerabzug berechtigende Eingangsleistungen. Den Vorsteuerabzug nahm sie in den entsprechenden Veranlagungszeiträumen vor Insolvenzeröffnung in Anspruch. Die entsprechenden Eingangsrechnungen waren jeweils an sie als Leistungsempfängerin adressiert. Sie wurden jedoch u.a. von der mittlerweile ebenfalls insolventen Holdinggesellschaft sowie ihrer Schwestergesellschaft G bezahlt.

Im Rahmen der Insolvenzverfahren dieser beiden Gesellschaften forderte der Kläger als deren Insolvenzverwalter die an die leistenden Unternehmer gezahlten Beträge im Wege der Insolvenzanfechtung nach § 134 InsO als sog. unentgeltliche Leistung zurück. Die leistenden Unternehmer zahlten die entsprechenden Beträge im Jahr 2015 an die Insolvenzmasse der jeweils ursprünglich die Zahlung veranlassten Holdinggesellschaft bzw. der G zurück. Mit der Rückzahlung lebte der Anspruch auf Zahlung des leistenden Unternehmers gegen die GmbH nach § 144 Abs. 1 InsO wieder auf und konnte von ihm zur Insolvenztabelle der GmbH angemeldet werden.

Das Finanzamt erließ für das Jahr 2015 unter der vor Insolvenzeröffnung geltenden Umsatzsteuernummer der GmbH eine Steuerberechnung, welche als Grundlage für eine Anmeldung der Insolvenzforderung zur Insolvenztabelle dienen sollte. Darin forderte es die an die GmbH gezahlte Vorsteuer aufgrund der Rückzahlungen der leistenden Unternehmer zurück. Eine Anmeldung zur Insolvenztabelle erfolgte nicht. Einige Monate später teilte das Finanzamt dem Kläger die sofortige Aufhebung der Steuerberechnung mit. Gleichzeitig erließ es für das Streitjahr nach § 164 Abs. 2 AO unter der Massesteuernummer einen entsprechenden Umsatzsteuerbescheid.

Das FG wies die hiergegen gerichtete Klage ab. Die beim BFH anhängige Revision des Klägers wird dort unter dem Az. V R 29/21 geführt.

Die Gründe:
Das Finanzamt durfte die zunächst ergangene Steuerberechnung aufheben und mangels entgegenstehender Bestandskraft den streitgegenständlichen Umsatzsteuerbescheid erlassen.

Eine Steuerberechnung stellt lediglich eine formlose Mitteilung an den Insolvenzverwalter dar. Überdies hat das Finanzamt den Vorsteuerabzug dem Grunde und der Höhe nach zutreffend im Streitjahr berichtigt. Die Vorsteuerberichtigung hängt vorliegend nicht von einer Vereinnahmung des zurückgezahlten Entgelts des Klägers als Insolvenzverwalter der GmbH ab. Der Wortlaut des § 17 Abs. 2 Nr. 1 Satz 1 i. V. m. § 17 Abs. 1 Satz 2 UStG setzt eine derartige Vereinnahmung nicht voraus.

Auch der Sinn und Zweck und der im Umsatzsteuerrecht geltende Grundsatz der Neutralität der Mehrwertsteuer sprechen gegen das Erfordernis einer Vereinnahmung des Leistungsempfängers, der den Vorsteuerabzug in Anspruch genommen hat. Die Umsatzsteuer- und Vorsteuerberichtigung nach § 17 Abs. 1 Sätze 1 und 2 UStG sind bedingungslos und zeitgleich vorzunehmen. Zudem sind die Berichtigungsansprüche nach § 17 Abs. 2 Nr. 1 Satz 1, Abs. 1 Satz 2 UStG im Rahmen der Masseverwaltung entstanden und haben daher die gem. § 55 Abs. 1 Satz 1 InsO als Masseverbindlichkeit festzusetzende Umsatzsteuerjahresschuld 2015 erhöht. Masseverbindlichkeiten i.S.d. § 55 InsO liegen bereits bei einem sonstigen Bezug zur Insolvenzmasse vor.

Mehr zum Thema:

  • Aufsatz: Teufel – Abgrenzung von Vorsteuerabzug und Vorsteuerberichtigung im Lichte neuerer höchstrichterlicher Rechtsprechung (UR 2022, 361)
  • Aufsatz: Wäger – Abzug und Berichtigung von Vorsteuerbeträgen: Steinzeit oder Neuzeit? (UR 2021, 889)
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Verlag Dr. Otto Schmidt vom 18.05.2022 14:11
Quelle: Niedersächsisches FG NL vom 18.5.2022

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