Voraussetzungen der Steuerbefreiung für die Pflege des Erblassers
Pflege i.S.d. § 13 Abs. 1 Nr. 9 ErbStG ist die regelmäßige und dauerhafte Fürsorge für das körperliche, geistige oder seelische Wohlbefinden einer wegen Krankheit, Behinderung, Alters oder eines sonstigen Grundes hilfsbedürftigen Person. Es ist nicht erforderlich, dass der Erblasser pflegebedürftig i.S.d. § 14 Abs. 1 SGB XI und einer Pflegestufe nach § 15 Abs. 1 Satz 1 SGB XI zugeordnet ist.
Die Gewährung eines Pflegefreibetrags setzt voraus, dass Pflegeleistungen regelmäßig und über eine längere Dauer erbracht worden sind, über ein übliches Maß der zwischenmenschlichen Hilfe hinausgehen und im allgemeinen Verkehr einen Geldwert haben.
BFH v. 11.9.2013 – II R 37/12
Das Problem: Der Kläger erwarb von der Erblasserin im Wege des Vermächtnisses eine Eigentumswohnung. Er war mit der Erblasserin weder verwandt noch verschwägert.
Der Kläger, der über eine General- und Versorgungsvollmacht der 89-jährigen Erblasserin verfügte, leistete ihr in den letzten Jahren vor dem Tod regelmäßig Hilfe u.a. in Form von Unterstützung bei hauswirtschaftlichen Verrichtungen, bei der Erledigung von Botengängen und Schriftverkehr, durch Begleitung von Arztbesuchen oder Vorsprachen bei Behörden. Die Erblasserin lebte bis zu einem Jahr vor ihrem Tod alleine in ihrer Wohnung. Nach einem kurzen stationären Krankenhausaufenthalt wurde sie in einem Pflegeheim untergebracht, wo sie zunächst in der Pflegestufe I und später in der Pflegestufe II eingeordnet wurde.
Das FG Baden-Württemberg hat dem Kläger mit Urteil vom 6.7.2012 (FG BW v. 6.7.2012 – 11 K 4190/11, EFG 2012, 2217) einen Freibetrag für Pflegeleistungen nach § 13 Abs. 1 Nr. 9 ErbStG i.H.v. 4.725 € gewährt. Diesen ermittelte es wie folgt: 315 Stunden (geschätzt) à 15 € (Vergütung, die ein örtlicher gemeinnütziger Verein für vergleichbare Leistungen berechnet).
Gegen das Urteil haben sowohl der Kläger als auch das FA Revision eingelegt. Der Kläger begehrte die volle Anerkennung des Pflegefreibetrags i.H.v. 20.000 €. Das FA machte geltend, dass der Kläger eine Eigentumswohnung erworben hätte, die nach § 13c Abs. 1 ErbStG nur mit 90 % ihres Wertes anzusetzen sei. Deshalb müsse auch der Pflegefreibetrag um 10 % gekürzt werden.
Die Lösung des Gerichts: Der BFH hat beide Revisionen verworfen und das Urteil des FG bestätigt.
Pflegebegriff: Der BFH definiert zunächst den Begriff der „Pflege“ und weist dabei ausdrücklich darauf hin, es sei weder erforderlich, dass der Erblasser pflegebedürftig i.S.d. § 14 SGB XI sei, noch dass er einer Pflegstufe nach § 15 SGB XI zugeordnet sei.
Begriff der „Pflegeleistungen“: Anschließend definiert der BFH den Begriff der „Pflegeleistungen“ und führt aus, dass dieser sehr weit auszulegen sei. Auch seelische Betreuung und Botengänge werden davon erfasst. Erforderlich sei aber eine regelmäßige und eine auf längere Dauer angelegte Tätigkeit, die über ein übliches Maß der zwischenmenschlichen Hilfe hinausgehe.
Hinsichtlich Art, Dauer, Umfang und Wert der tatsächlich erbrachten Pflegeleistungen trägt der Steuerpflichtige die Feststellungslast, wobei der BFH im Hinblick auf die damit verbundenen Nachweisschwierigkeiten keine übersteigerten Anforderungen an den Nachweis stellt. Ein pauschaler Abzug des Höchstbetrags von 20.000 € ohne Nachweis ist nicht möglich. Die Schätzung des FG hatte der BFH nicht zu beanstanden.
Für eine Kürzung des Pflegefreibetrages fehlt es nach Auffassung des BFH an einer Rechtsgrundlage. Insbesondere kommt § 10 Abs. 6 Satz 5 ErbStG nicht in Betracht, weil die Pflegeleistungen unentgeltlich erbracht wurden und deshalb keine Schulden und Lasten i.S.d. Vorschrift darstellen können.
Konsequenzen für die Praxis: Angesichts der relativ niedrigen persönlichen Freibeträge von 20.000 € in den Steuerklassen I und II hat der Pflegefreibetrag eine besondere Bedeutung. Das Urteil leistet hierfür wertvolle Hilfestellung:
- Hilfsbedürftigkeit: Bei Personen über 80 Jahren kann nach Auffassung des BFH eine Hilfsbedürftigkeit unterstellt werden. Ein ärztliches Attest ist nicht erforderlich.
- Pflegeheim: Auch ggü. Personen, die in einem Pflegeheim untergebracht sind, können Pflegeleistungen erbracht werden, insb. in Form von Botengängen oder persönlicher und seelischer Zuwendung.
- Maßstab für die Bewertung der Pflegeleistungen sind für vergleichbare Leistungen zu zahlende übliche Vergütungssätze entspr. Berufsgruppen oder gemeinnütziger Vereine. Im Streitfall hatte der BFH 15 €/Std. für angemessen gehalten.
Beraterhinweis: Sie sollten Ihren Mandanten raten, mit Hilfe von Aufzeichnungen ggü. dem FA zu belegen, in welchem Umfang welche Pflegeleistungen zu welchem Zeitpunkt erbracht wurden, um einen größtmögliche Steuervorteil zu erlangen.
WP/StB/RA/FASt Friedemann Kirschstein, Lübeck, www.zimmert-kirschstein.de
Service: BFH v. 11.9.2013 – II R 37/12; FG BW v. 6.7.2012 – 11 K 4190/11 abrufbar unter www.steuerberater-center.de