Otto Schmidt Verlag


Außergewöhnliche Belastung durch eine Gebäudesanierung

Aufwendungen für die Sanierung von Wohngebäuden können nicht nur dann außergewöhnliche Belastungen sein, wenn sie durch Katastrophen erzwungen werden, sondern auch, wenn vom unsanierten Gebäude eine konkrete Gesundheitsgefahr oder eine unzumutbare Beeinträchtigung ausgeht.

BFH v. 29.3.2012 – VI R 21/11, VI R 70/10, VI R 47/10

Das Problem: Der BFH hat zeitgleich drei Streitfälle entschieden, in denen Aufwendungen für die Sanierung eines von den Steuerpflichtigen selbst bewohnten Wohngebäudes als außergewöhnliche Belastungen (agB) geltend gemacht wurden.

Asbestsanierung eines Daches: Das Dach eines 1976 errichteten Reihenhauses bestand aus Asbestzement-Wellplatten, die überlappend von Haus zu Haus gelegt waren. Nachdem sich die Nachbarn im Jahr 2005 zum Austausch entschieden hatten, ersetzte auch die Klägerin das Asbestdach durch Ziegel. Das FG bejahte eine agB (FG Rh.-Pf. v. 12.11.2009 – 6 K 2314/07, EFG 2011, 33; BFH: VI R 47/10).

Echter Hausschwamm: Das im Jahr 1900 erbaute und von der Klägerin im Jahr 2002 erworbene Haus war mit echtem Hausschwamm befallen. Die Unbewohnbarkeit stand aufgrund von Schäden an der Statik des Gebäudes unmittelbar bevor. Die Eigentümergemeinschaft entschloss sich auf Rat eines Sachverständigen zur umfassenden Sanierung. Das FG behandelte den auf die Klägerin entfallenden Kostenanteil von ca. 10.500 € als agB (FG Nds. v. 17.8.2010 – 12 K 10270/09, EFG 2011, 134; BFH: VI R 70/10).

Giftige Dämpfe/Gerüche: Tragende Teile eines Holzhauses wurden mit einem bei der Errichtung im Jahr 1973 nicht verbotenen Holzschutzmittel imprägniert. Die Außenfassade des Gebäudes bestand aus asbesthaltigen Faserzementplatten und formaldehydhaltigen Spanplatten. Nach dem Kauf im Jahr 2000 stellten die Kläger einen unangenehmen Geruch im Haus fest. Die im Jahr 2003 geborene Tochter leidet seit 2006 unter einer Atemwegserkrankung. Im Jahr 2008 sanierten die Kläger das Haus mit einem Aufwand von 32.650 €, den das FG nicht als agB anerkannte (Niedersächsisches FG v. 17.2.2011 – 14 K 425/09; BFH: VI R 21/11).

Die Lösung des Gerichts: Der BFH hat das Hausschwammurteil bestätigt. Die beiden anderen FG müssen nach näherer Maßgabe des BFH den jeweiligen Sachverhalt weiter aufklären und bei der Klärung medizinischer und/oder bautechnischer Fragen Gutachter einsetzen.

Konsequenzen für die Praxis: Existenznotwendige Gegenstände: Aufwendungen, die im Zusammenhang mit Gegenständen des existenznotwendigen Bedarfs stehen, können außergewöhnliche Belastungen sein. Bei der Sanierung von Wohngebäuden, die in Größe und Ausstattung nicht über das Notwendige und Übliche hinausgehen, entstehen in der Zusammenschau der Urteile folgende typische Fallgruppen, in denen dies zu bejahen sein kann:

  • Schadensbeseitigung nach unausweichlichen Ereignissen wie Beschädigungen von Gebäuden durch „allgemeine“ Katastrophen (Brand, Hochwasser, Krieg, Vertreibung, politische Verfolgung) oder „private“ Katastrophen (Wasserschaden durch Rückstau in eine Drainage).
  • Konkrete Gesundheitsgefährdungen durch den Bauzustand, nicht aber bloße abstrakte Gefährdungen (vgl. Asbestrechtsprechung).
  • Unzumutbare Beeinträchtigungen, die durch objektive Kriterien, also unabhängig von individuellen Empfindlichkeiten, belegt werden (Geruchsproblematik).

Gemeinsame weitere Voraussetzungen für agB: In allen Fällen darf den Grundstückeigentümer kein eigenes Verschulden am Schaden treffen. Die Belastung darf beim Kauf nicht erkennbar gewesen sein. Bestehen realisierbare Schadensersatzansprüche gegen Dritte, müssen diese geltend gemacht werden. Bei der Höhe der agB ist der Grundsatz „neu für alt“ zu berücksichtigen. Wertsteigerungen sind anzurechnen.

Baumängel sind ebenso wenig außergewöhnlich wie die üblichen Instandsetzungs- und Modernisierungsmaßnahmen sowie auf altersbedingter Abnutzung beruhende Schäden. Ein Baumangel liegt aber nicht vor, wenn die heute verbotenen Baumaterialen im Zeitpunkt der Errichtung erlaubt waren. Der bloße Kauf eines ursprünglich ohne Baumangel errichteten Gebäudes nach dem Verbot der Materialien kann dem Steuerpflichtigen nicht vorgeworfen werden, wenn er den Mangel (z.B. die Gerüche) beim Kauf nicht erkannt hat und keine Schadensersatzansprüche gegen den Verkäufer bestehen.

Die Gebäudesanierung auf Rezept hat der BFH vermieden, da er den neuen § 64 EStDV bei Gebäudesanierungen nach seinem Wortlaut grundsätzlich für nicht anwendbar hält.

Beweisprobleme: Der BFH bleibt dabei, dass keine im Voraus erstellten amtlichen Gutachten notwendig sind, die Steuerpflichtigen aber die Feststellungslast für alle Abzugsvoraussetzungen tragen. Faktisch dürften Gutachten unvermeidbar sein, wenn das FA agB bestreitet.

Anwendung auf die Streitfälle: Im Hausschwammfall war die unmittelbar drohende Unbewohnbarkeit des Gebäudes ausschlaggebend für agB. Im Asbestfall muss das FG nach näherer Maßgabe die konkrete Gesundheitsgefahr feststellen, da diese bei Asbest nicht selbstverständlich ist und die bloße abstrakte Gefährdung durch Asbest nicht genügt. Im „Geruchsfall“ muss das FG – wenn der Geruch beim Kauf nicht erkannt wurde – im ersten Schritt ebenfalls die konkrete Gesundheitsgefahr durch giftige Dämpfe prüfen. Sollte sie zu verneinen sein, kommt es darauf an, ob die Geruchsbelästigung objektiv unzumutbar ist.

Beraterhinweis: Mit der Fallgruppe „unzumutbare Beeinträchtigung“ hat der BFH einen Oberbegriff geschaffen, der vom Wortlaut her sehr weit gefasst ist und letztlich als Generalklausel anzusehen ist. Damit muss bei allen Sanierungsmaßnahmen an selbstgenutzten Wohneigentum näher geprüft werden, ob eine agB in Betracht kommt.

Zentrale Schwäche der BFH-Rechtsprechung ist die Nachweisproblematik. Der BFH hat beiden Finanzgerichten die medizinisch/technische Sachkunde abgesprochen und gerichtliche Gutachter verlangt. Gleichzeitig führt er aus, dass Privatgutachten nicht als Nachweis genügen und auf Möglichkeiten wie ein Beweissicherungsverfahren oder amtliche technische Gutachten im Auftrag der Steuerpflichtigen hingewiesen (durch wen? Absprache mit dem FA, welche Gutachter akzeptiert werden?). Die Rechtsprechung dürfte damit im steuerlichen Massenverfahren kaum alltagstauglich sein. Der BMF könnte wohl versuchen, sie so weit als möglich – z.B. durch baldige Gesetzesänderungen oder rückwirkende Neuregelungen in § 64 EStDV – zu unterlaufen.

VRiFG Anton Siebenhüter, Augsburg

Verlag Dr. Otto Schmidt vom 28.06.2012 11:16

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