Otto Schmidt Verlag


Einspruchseinlegung durch einfache E-Mail ohne qualifizierte elektronische Signatur

Hat das FA einen Zugang für die Übermittlung elektronischer Dokumente eröffnet, kann gem. § 357 Abs. 1 Satz 1 AO n.F. ein Einspruch mit einfacher E-Mail eingelegt werden, ohne dass diese mit einer qualifizierten elektronischen Signatur versehen werden muss. § 87a Abs. 3 Sätze 1 und 2 AO sind auf die Einlegung eines Einspruchs nicht anzuwenden.

BFH v. 13.5.2015 - III R 26/14

Der Sohn S der Klägerin K beendete im Juni 2012 seine schulische Ausbildung mit dem Abitur. Mit Bescheid vom 17.1.2013 hob die Familienkasse die zugunsten der K für S erfolgte Kindergeldfestsetzung für die Monate August bis November 2012 auf und forderte das insoweit bereits ausbezahlte Kindergeld zurück, da ein Berücksichtigungstatbestand nach § 32 Abs. 4 Satz 1 EStG nicht mehr vorliege. Im Bescheid war die E-Mail-Adresse der Familienkasse angegeben. Hiergegen erhob K Einspruch mit einfacher E-Mail vom 23.1.2013 (ohne qualifizierte elektronische Signatur) unter Berufung auf eine Arbeitsuchendmeldung vom 24.9.2012, den die Familienkasse als unbegründet zurückwies. Das FG wies die Klage als unbegründet ab, da der angegriffene Bescheid mangels wirksamer Anfechtung Bestandskraft erlangt habe. Der BFH gab der Revision der K statt und verwies die Sache zur erneuten Entscheidung an das FG zurück.

Schriftlichkeit des Einspruchs: Gem. § 357 Abs. 1 Satz 1 AO ist der Einspruch u.a. schriftlich einzureichen. Es genügt, wenn aus dem Schriftstück hervorgeht, wer ihn eingelegt hat (§ 357 Abs. 1 Satz 2 AO). Einlegung durch Telegramm ist zulässig (§ 357 Abs. 1 Satz 3 AO). Gem. § 87a Abs. 1 Satz 1 AO ist die Übermittlung elektronischer Dokumente zulässig, soweit der Empfänger hierfür einen Zugang eröffnet hat. Nach § 87a Abs. 3 Satz 1 AO kann eine durch Gesetz für Anträge, Erklärungen oder Mitteilungen an die Finanzbehörden angeordnete Schriftform, soweit nicht durch Gesetz etwas anderes bestimmt ist, durch die elektronische Form ersetzt werden. In diesem Fall ist das elektronische Dokument mit einer qualifizierten elektronischen Signatur nach dem Signaturgesetz zu versehen (§ 87a Abs. 3 Satz 2 AO).

Keine eigenhändige Unterschrift erforderlich: Nach der Rspr. des BFH umfasst die für den Einspruch geforderte Schriftlichkeit nicht auch das Erfordernis einer eigenhändigen Unterschrift des Einspruchsführers. Dies folgt vor allem aus § 357 Abs. 1 Satz 2 AO. Danach reicht es aus, wenn aus dem Schriftstück hervorgeht, wer den Einspruch eingelegt hat. Insofern findet § 126 Abs. 1 BGB, wonach bei einer durch Gesetz vorgeschriebenen schriftlichen Form die Urkunde von dem Aussteller eigenhändig durch Namensunterschrift oder mittels notariell beglaubigten Handzeichens unterzeichnet werden muss, keine Anwendung. Das bedeutet, dass der schriftliche Einspruch auch ohne Unterschrift des Einspruchsführers wirksam ist, sofern das Schriftstück aus seinem sonstigen Inhalt den Einspruchsführer und den Gegenstand des Einspruchs erkennen lässt.

Elektronischer Einspruch auch ohne qualifizierte Signatur: Wird der Einspruch elektronisch eingelegt, setzt dessen Wirksamkeit keine qualifizierte elektronische Signatur nach dem Signaturgesetz voraus. § 87a Abs. 3 Satz 2 AO findet für die Einlegung eines Einspruchs keine Anwendung. Diese Auslegung steht im Einklang mit dem Wortlaut der einschlägigen Vorschriften.

§ 357 Abs. 1 Satz 1 AO fordert nur eine schriftliche Einlegung des Einspruchs. Dabei kann aus dem Begriff "schriftlich" nicht ohne Weiteres auf ein die eigenhändige Unterschrift umfassendes "Schriftform"-Erfordernis geschlossen werden. Vielmehr ist in den Fällen, in denen das Gesetz Begriffe wie "Schriftstück" oder "schriftlich" verwendet, im Wege der Auslegung zu ermitteln, ob die schriftliche Erklärung eine der Funktionen (Abschluss-, Perpetuierungs-, Identitäts-, Echtheits-, Verifikations-, Beweis- und Warnfunktion) erfüllen muss, die der Unterschrift zugeordnet werden, und aus diesem Grund auch eine Unterschrift zu fordern ist. Ein solches Unterschriftserfordernis besteht im Falle der Einspruchseinlegung ‑ wie unter 2. ausgeführt ‑ jedoch gerade nicht. Demgegenüber bezieht sich § 87a Abs. 3 Satz 1 AO auf die Substitution der durch Gesetz angeordneten "Schriftform" durch die "elektronische Form". Nur in diesem Fall ist das von der Schriftform umfasste Unterschriftserfordernis gem. § 87a Abs. 3 Satz 2 AO durch die elektronische Signatur zu ersetzen. Der Wortlaut des § 87a Abs. 3 Satz 1 und 2 AO steht daher der Zulassung eines einfachen elektronischen Dokuments nicht entgegen, wenn das Gesetz für Anträge oder Erklärungen nicht die Schriftform verlangt, sondern eine Erklärung genügen lässt, die zwar schriftlich, d.h. in Text- oder Papierform erfolgen, aber keine eigenhändige Unterschrift enthalten muss.

Auslegungsergebnis der Normen: Für diese Auslegung sprechen auch der im Gesetzgebungsverfahren zum Ausdruck gekommene Wille des Gesetzgebers sowie der Sinn und Zweck und die Systematik der betroffenen Regelungen.

aa) Nach der Begründung zum 3. VwVfGÄndG sollten einerseits allgemeine Schriftformerfordernisse in Verwaltungsverfahren stets durch eine mit einer qualifizierten elektronischen Signatur verbundene elektronische Form ersetzt werden können, so dass ein solches elektronisches Dokument gesetzlich angeordneten Schriftformerfordernissen genügen und die der Schriftform zugeordneten Funktionen erfüllen soll. Andererseits sollte durch die Ergänzung des Begriffs "schriftlich" zum Begriffspaar "schriftlich oder elektronisch" auch die Möglichkeit der Nutzung einfacher elektronischer Kommunikation eröffnet werden, soweit der Schriftform im jeweiligen Normkontext über z.B. den Dokumentations- und Nachweischarakter hinaus keine eigenständige, vor allem rechtliche Bedeutung zukommt. Dieses Grundverständnis lag auch dem an § 3a VwVfG angelehnten § 87a AO zugrunde. Entsprechend sollten abweichende Regelungen, die z.B. eine Verpflichtung der Finanzbehörden vorsehen, elektronische Anträge oder Erklärungen entgegenzunehmen, vorrangig gegenüber § 87a AO berücksichtigt werden. Hierfür spricht auch die Begründung zum Entwurf der Bundesregierung zum Gesetz zur Förderung der elektronischen Verwaltung. Danach sollte die Ergänzung des § 357 Abs. 1 Satz 1 AO lediglich eine Klarstellung und keine Rechtsänderung bewirken. Entsprechend der bisherigen Handhabung durch die Finanzverwaltung sollte der Einspruch weiterhin elektronisch ohne qualifizierte elektronische Signatur eingelegt werden können.

Für diese Auslegung spricht ferner die durch das Gesetz zur Förderung der elektronischen Verwaltung vom 25.7.2013 erfolgte Einfügung einer Legaldefinition des Begriffes "elektronische Form" in § 87a Abs. 3 Satz 2 AO. Danach genügt der elektronischen Form ein elektronisches Dokument mit einer qualifizierten elektronischen Signatur. Damit sollte ‑ ohne Änderung des Regelungsgehalts ‑ klargestellt werden, dass "elektronische Form" nicht ‑ wie möglicherweise im allgemeinen Sprachgebrauch ‑ als Abgrenzung zu papiergebundenen Verfahren verstanden wird, sondern es sich um eine Formvorschrift handelt (elektronische Form = elektronisches Dokument + qualifizierte elektronische Signatur), die das Gegenstück zur "Schriftform" beschreiben soll. Insoweit ist die vom FG vertretene Auffassung, wonach auch nach der ab 1.8.2013 in Kraft getretenen Änderung des § 357 Abs. 1 Satz 1 AO eine Einspruchseinlegung nicht mit einfacher E-Mail, sondern nur mit den in § 87a Abs. 3 AO vorgesehenen Kommunikationsmitteln möglich sein soll, zwar in sich konsequent. Sie missachtet jedoch zum einen, dass der Gesetzgeber in § 357 Abs. 1 Satz 1 AO nur den Begriff "elektronisch" und gerade nicht den Begriff "elektronische Form" eingefügt hat. Zum anderen widerspricht diese Auslegung auch dem im Gesetzgebungsverfahren zur Änderung des § 357 Abs. 1 Satz 1 AO klar zum Ausdruck gekommenen Willen des Gesetzgebers.

Zweck der Formvorschrift des § 357 Abs. 1 AO: § 357 AO verfolgt den Zweck, nur geringe formale Anforderungen an die wirksame Einlegung eines Einspruchs zu stellen. Die niedrigen Formanforderungen sollen es auch dem nicht schriftgewandten oder rechtlich versierten Steuerbürger ermöglichen, eine Überprüfung des von ihm für unrichtig erachteten Steuerverwaltungsakts zu erreichen. Nichts anderes ergibt sich aus dem Umstand, dass § 357 Abs. 1 Satz 3 AO nur das Telegramm als besondere Form der Einspruchseinlegung ausdrücklich erwähnt. Hierin kommt keine Ablehnung anderer Telekommunikationsformen zum Ausdruck, sondern zeigt die grundsätzliche Offenheit gegenüber neuen Kommunikationsformen, auch wenn § 357 Abs. 1 Satz 3 AO nicht an jede technische Neuentwicklung im Kommunikationsbereich angepasst wurde.

Keine Anwendbarkeit des § 87a Abs. 3 AO; Eine Einschränkung kann § 87a Abs. 1 AO durch den spezielleren § 87a Abs. 3 AO nur insoweit erfahren, als der Anwendungsbereich des § 87a Abs. 3 AO eröffnet ist. Wo das Gesetz kein formales, die eigenhändige Unterschrift umfassendes Schriftformerfordernis aufstellt, vermag § 87a Abs. 3 AO den Anwendungsbereich des § 87a Abs. 1 AO nicht zu beschränken. Im Übrigen ist kein Grund ersichtlich, warum an einen elektronisch eingelegten Einspruch weitergehende Anforderungen im Hinblick auf die zu erfüllenden Form­funktionen zu stellen sein sollten als an einen schriftlich eingelegten Einspruch. Auch bei einem schriftlich, aber ohne Unterschrift eingelegten Einspruch genügt es, wenn sich aus dem weiteren Inhalt des Schreibens ergibt, wer der Einspruchsführer ist und dass dieser die Absicht hat, Einspruch einzulegen. Entsprechende Anhaltspunkte können ‑ wie der Streitfall zeigt ‑ auch aus einem per einfacher E-Mail eingelegten Einspruch gewonnen werden (z.B. E-Mail-Adresse des Einspruchsführers, die der Behörde bereits aus der bisherigen Korrespondenz bekannt ist und Name unter dem E-Mailtext).

Fehlende Spruchreife: Die Sache ist nicht spruchreif. Das FG wird im zweiten Rechtsgang die noch fehlenden tatsächlichen Feststellungen zum Vorliegen eines Berücksichtigungstatbestands nach § 32 Abs. 4 Satz 1 EStG nachzuholen haben.

Beraterhinweis: Der BFH stellt mit dieser Entscheidung klar, dass ein Einspruch in elektronischer Form, also durch E-Mail, auch ohne qualifizierte elektronische Signatur zulässig ist. Grund für diese Auslegung des § 357 Abs. 1 ist, dass gem. § 87a Abs. 3 S. 2 AO diese Signatur nur erforderlich ist, wenn das Gesetz für Erklärungen die „elektronische Form“ vorschreibt. Für die Einspruchseinlegung reicht es jedoch, dass der Einspruch „elektronisch“ erfolgt. Es ist jedoch darauf hinzuweisen, dass diese bürgerfreundliche Erleichterung allerdings nicht für eine eventuell nachfolgende Klageerhebung gilt: § 52a FGO ist formstrenger; Einzelheiten zur Möglichkeit der elektronischen Klageerhebung lassen sich der Rechtsbehelfsbelehrung der jeweiligen Einspruchsentscheidung entnehmen.

RD a.D. Michael Marfels, Nordkirchen

Verlag Dr. Otto Schmidt vom 03.09.2015 17:19

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