Otto Schmidt Verlag


Zur Steuerfreiheit von Umsätzen privater Kliniken

Die Steuerbefreiung der mit dem Betrieb eines Krankenhauses eng verbundenen Umsätze nach § 4 Nr. 16 Buchst. b UStG in der bis zum 31.12.2008 geltenden Fassung i.V.m. § 67 AO war hinsichtlich der 40%-Grenze unionsrechtskonform. 

BFH v. 18.3.2015 – XI R 8/13

Die Klägerin K war eine GmbH mit einem Arzt und einem Rechtsanwalt als Gesellschafter und betrieb in den Streitjahren 2003 – 2006 ein privates Krankenhaus für Psychosomatik, Psychotherapie und Krisenintervention. Sie behandelte privat versicherte Patienten und Selbstzahler. Zur Behandlung von Kassenpatienten i.S.d. § 108 SGB V war sie nicht zugelassen. Die Voraussetzungen für eine Steuerbefreiung nach § 4 Nr. 16 Buchst. b UStG a.F. erfüllte K nicht. Das FA war im Unterschied zu K der Auffassung, dass ebenfalls die Voraussetzungen für eine Steuerfreiheit nach § 4 Nr. 14 Satz 3 UStG a.F. nicht gegeben seien und eine direkte Berufung auf das Unionsrecht ausscheide. Die Revision des FA war begründet. Auch der BFH widersprach einer Steuerfreiheit der Umsätze der K.

Keine Steuerfreiheit nach § 4 Nr. 14 Satz 3 UStG a.F.: Handelt es sich um Umsätze eines privaten Krankenhauses, das nicht nur von Ärzten betrieben wird, findet die Befreiungsvorschrift des § 4 Nr. 14 UStG a.F. grundsätzlich keine Anwendung. Eine Steuerfreiheit kommt insoweit lediglich nach § 4 Nr. 16 Buchst. b UStG a.F. in Frage (vgl. BFH v. 18.3.2004 – V R 53/00, BStBl. II 2004, 677).

Keine Steuerfreiheit nach § 4 Nr. 16 Buchst. b UStG a.F. i.V.m. § 67 AO: Nach § 4 Nr. 16 Buchst. b UStG a.F. waren steuerfrei, die mit dem Betrieb der Krankenhäuser eng verbundenen Umsätze, wenn bei Krankenhäusern im vorangegangenen Kalenderjahr die in § 67 Abs. 1 oder 2 AO bezeichneten Voraussetzungen erfüllt wurden. Da K weder in den Anwendungsbereich des Krankenhausentgeltgesetzes (KHEntgG) noch in den der Bundespflegesatzverordnung (BPflV) fiel, nicht nach Fallpauschalen abrechnete und keine Pflegesatzvereinbarungen mit den Krankenkassen geschlossen hatte, waren im Urteilsfall die Voraussetzungen des § 67 Abs. 1 AO nicht erfüllt. Mangels einer von K vorgenommenen der BPflV entsprechenden Vergleichsberechnung der Pflegesätze auf Selbstkostenbasis scheidet auch eine Steuerfreiheit nach § 4 Nr. 16 Buchst. b UStG a.F. i.V.m. § 67 Abs. 2 AO aus.

Keine Berufung auf Unionsrecht: K konnte sich auch nicht unmittelbar auf die Steuerbefreiungsvorschrift des Art. 13 Teil A Abs. 1 Buchst. b der 6. EG-RL (Art. 132 Abs. 1 Buchst. b MwStSystRL) berufen. Danach befreien die Mitgliedstaaten von der Steuer die Krankenhausbehandlung und die ärztliche Heilbehandlung sowie die mit ihnen eng verbundenen Umsätze, die von Einrichtungen des öffentlichen Rechts geleistet werden. Die genannten Umsätze sind auch dann steuerfrei, wenn sie unter Bedingungen, welche mit den Bedingungen für diese Einrichtungen in sozialer Hinsicht vergleichbar sind, von Krankenanstalten, Zentren für ärztliche Heilbehandlung und Diagnostik und anderen anerkannten Einrichtungen gleicher Art durchgeführt bzw. bewirkt werden.

Anerkannte Einrichtungen: Hinsichtlich der Voraussetzungen, unter denen nicht öffentlich-rechtlichen Einrichtungen eine Anerkennung gewährt werden kann, haben die Mitgliedstaaten ein Ermessen. Insoweit haben die nationalen Gerichte zu prüfen, ob die Ermessensgrenzen eingehalten worden sind. Mit Blick auf die EuGH-Rechtsprechung kam der BFH zu dem Ergebnis, dass keine Ermessensüberschreitung darin zu sehen ist, dass nach den Vorschriften des § 4 Nr. 16 Buchst. b UStG a.F. i.V.m. § 67 Abs. 2 AO für eine Steuerbefreiung mindestens 40% der jährlichen Belegungs- oder Berechnungstage auf Patienten entfallen müssen, bei denen für die Krankenhausleistungen kein höheres Entgelt als nach § 67 Abs. 1 AO für allgemeine Krankenhausleistungen berechnet wird.

Neutralitätsgrundsatz: Die 40%-Grenze des § 4 Nr. 16 Buchst. b UStG a.F. i.V.m. § 67 AO verstößt auch nicht gegen den Grundsatz der mehrwertsteuerrechtlichen Neutralität. Nach der Rechtsprechung des EuGH erfordert der Neutralitätsgrundsatz bezüglich der Umsetzung des Art. 13 Teil A Abs. 1 Buchst. b der 6. EG-RL, dass alle Einrichtungen, die keine des öffentlichen Rechts sind, in Bezug auf ihre Anerkennung bei der Erbringung vergleichbarer Leistungen gleich behandelt werden. Dies war nach nationalem Recht gegeben, denn die Bedingungen nach § 4 Nr. 16 Buchst. b UStG a.F. i.V.m. § 67 Abs. 1 und 2 AO, unter denen Krankenhausleistungen steuerfrei waren, fanden gleichermaßen auf alle unter das Privatrecht fallende Betreiber von Krankenhäusern Anwendung. Zwar bietet die unionsrechtliche Regelung keine Grundlage dafür, dass § 4 Nr. 16 Buchst. b UStG a.F. auf die Verhältnisse des vorangegangen Kalenderjahrs abstellte. Für den Streitfall ist dies jedoch nicht von Belang (vgl. BFH v. 19.3.2013 – XI R 47/07, BFHE 240, 439).

Rechtslage ab 1.1.2009: Ein weiterer Fall des BFH (v. 18.3.2015 – XI R 38/13) betraf eine von einer GmbH & Co. KG (Klägerin K) betriebene Privatklinik. Dort wurden von niedergelassenen Ärzten operative Eingriffe an gesetzlich und privat versicherten Patienten vorgenommen. Zu klären war, ob die Umsätze der K aus dem Jahr 2009 steuerfrei waren.

Keine Steuerfreiheit gem. § 4 Nr. 14 Buchst. b Satz 1 UStG: Da es sich bei K nicht um eine Einrichtung des öffentlichen Rechts handelte, kam eine Steuerfreiheit der Umsätze nach Satz 1 der am 1.1.2009 in Kraft getretenen Fassung des § 4 Nr. 14 Buchst. b UStG nicht in Betracht.

Keine Steuerfreiheit nach § 4 Nr. 14 Buchst. b Satz 2 UStG: Fehlt es an einer Einrichtung des öffentlichen Rechts, können die in § 4 Nr. 14 Buchst. b Satz 1 UStG bezeichneten Leistungen – wie Krankenhausbehandlungen und ärztliche Heilbehandlungen sowie damit eng verbundene Umsätze – unter bestimmen Voraussetzungen nach § 4 Nr. 14 Buchst. b Satz 2 UStG steuerfrei sein. Im Urteilsfall war jedoch keine der Varianten gegeben: Denn die von K betriebene Klinik war im Streitjahr 2009 nicht als Krankenhaus i.S.v. § 108 SGB V zugelassen. K verfügte auch nicht über eine Zulassung als medizinisches Versorgungszentrum i.S.v. § 95 Abs. 1 SGB V. Ebenfalls nicht erfüllt waren die Voraussetzungen der Regelung des § 115 SGB V über dreiseitige Verträge und Rahmenempfehlungen zwischen Krankenkassen, Krankenhäusern und Vertragsärzten. K war auch nicht gem. § 34 SGB VII von den Trägern der gesetzlichen Unfallversicherung an der Versorgung beteiligt worden.

Unmittelbare Berufung auf das Unionsrecht: Nach Ansicht des BFH konnte sich K jedoch unmittelbar auf Art. 132 Abs. 1 Buchst. b MwStSystRL berufen. Insoweit bezog sich der XI. Senat auf eine Entscheidung des V. Senats (v. 23.10.2014 – V R 20/14), wonach § 4 Nr. 14 Buchst. b Satz 2 Doppelbuchst. aa UStG nicht den unionsrechtlichen Vorgaben in Art. 132 Abs. 1 Buchst. b MwStSystRL entspricht. Denn der gesetzgeberische Ermessenspielraum ist nach Ansicht des V. Senats deswegen überschritten, weil gem. § 4 Nr. 14 Buchst. b Satz 2 Doppelbuchst. aa UStG i.V.m. §§ 108, 109 SGB V die Steuerfreiheit der Leistungserbringung in Krankenhäusern, die von Unternehmern betrieben werden, die keine Einrichtungen des öffentlichen Rechts sind, unter einen sozialversicherungsrechtlichen Bedarfsvorbehalt gestellt wird, der mit dem Unionsrecht nicht vereinbar ist.

Voraussetzungen des Art. 132 Abs. 1 Buchst. b MwStSystRL: Nach Ansicht des BFH handelte es sich bei K um eine ordnungsgemäß anerkannte Einrichtung i.S.v. Art. 132 Abs. 1 Buchst. b MwStSystRL. Wesentlich sind insoweit das Bestehen spezifischer Vorschriften (wie § 73a SGB V), das mit den Tätigkeiten des betreffenden Steuerpflichtigen verbundene Gemeinwohlinteresse, die Steuerfreiheit vergleichbarer Unternehmer sowie die Übernahme der Kosten für die von K erbrachten Leistungen durch Krankenkassen oder andere Einrichtungen der sozialen Sicherheit. Darüber hinaus erfolgten die Heil- und Krankenhausbehandlungsleistungen der K in sozialer Hinsicht unter vergleichbaren Bedingungen wie bei Krankenhäusern, die in öffentlich-rechtlicher Trägerschaft stehen oder nach § 108 SGB V zugelassen sind.

Beraterhinweis: Ist das nationale Recht mit dem Unionsrecht nicht vereinbar, so kann sich ein Steuerpflichtiger vielfach auf Letzteres berufen. Dies führt jedoch nur dann zu einer Steuerfreiheit, wenn im konkreten Fall die Voraussetzungen der unionsrechtlichen Vorschrift erfüllt sind. Bei Privatkliniken, die ausschließlich Leistungen an privat Versicherte und Selbstzahler erbringen, dürfte eine Berufung auf Art. 132 Abs. 1 Buchst. b MwStSystRL erfolglos sein (vgl. FG Köln v. 22.5.2913 – 8 K 3374/10). Offen gelassen hat der BFH (XI R 38/13) die Frage, ob sich das Erfordernis der Anerkennung in Art. 132 Abs. 1 Buchst. b MwStSystRL nur auf andere Einrichtungen und damit nicht auf Krankenanstalten sowie Zentren für ärztliche Heilbehandlung und Diagnostik bezieht (so auch BFH v. 23.10.2014 – V R 20/14, BFH/NV 2015, 631). Insoweit besteht Rechtsunsicherheit.

RAin Hildegard Billig, Düsseldorf

Verlag Dr. Otto Schmidt vom 01.07.2015 15:08

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