Otto Schmidt Verlag


Möglichkeit des Zugriffs auf Kassendaten einer Apotheke im Rahmen einer Außenprüfung

Die Grundsätze ordnungsgemäßer Buchführung verpflichten Einzelhändler wie z.B. Apotheker, im Rahmen der Zumutbarkeit sämtliche Geschäftsvorfälle einschließlich der über die Kasse bar vereinnahmten Umsätze einzeln aufzuzeichnen. Verwendet ein Einzelhändler, der in seinem Betrieb im allgemeinen Waren von geringem Wert an ihm nicht bekannte Kunden über den Ladentisch gegen Barzahlung verkauft, eine PC‑Kasse, die detaillierte Informationen zu den einzelnen Verkäufen aufzeichnet und eine dauerhafte Speicherung ermöglicht, so sind die damit bewirkten Einzelaufzeichnungen auch zumutbar. Die Finanzverwaltung ist in diesem Fall nach § 147 Abs. 6 AO im Rahmen einer Außenprüfung berechtigt, Zugriff auf die Kasseneinzeldaten zu nehmen.

BFH v. 16. 12. 2014 - X R 42/13

Die Klägerin K erzielte in den Jahren 2007 bis 2009 gewerbliche Einkünfte aus dem Betrieb einer Apotheke. Als nach §§ 238 ff. HGB Buchführungspflichtige verwendete sie ein speziell für Apotheken entwickeltes, PC-gestütztes Erlöserfassungssystem mit integrierter Warenwirtschaftsverwaltung der Firma X (X). Die Tageseinnahmen wurden über modulare PC-Registrierkassen der Firma X erfasst, dann durch Tagesendsummenbons (Z-Bons) mit anschließender Nullstellung ausgewertet und als Summe in ein manuell geführtes Kassenbuch eingetragen. Zusammen mit der Prüfungsanordnung für die Streitjahre bat das FA um die Vorlage der ggf. in elektronischer Form gefertigten Buchhaltung auf einem maschinell verwertbaren Datenträger und die Vorlage bestimmter Daten aus dem Warenwirtschaftssystem der X – u.a. die "Einzeldaten der Registrierkasse (Journal der EDV-Kasse sowie Daten der Z-Bons)" und die "Einzeldaten des Warenverkaufs" – in elektronisch verwertbarer Form. K übersandte daraufhin eine CD mit von der Firma X bereitgestellten Daten des Kassensystems. Die Datei mit der Einzeldokumentation der Verkäufe hatte sie zuvor entfernt, da sie der Ansicht war, das FA habe kein entsprechendes Zugriffsrecht. Daraufhin forderte der Prüfer K u.a. auf, die von der Firma X gelieferten Daten über die Warenverkäufe (vk_verkaeufe…csv) bereitzustellen, weil diese als Bestandteil der Grundaufzeichnungen dem Datenzugriff nach § 147 Abs. 1 Nr. 1 i.V.m. Abs. 6 AO unterlägen. Dies verweigerte K und erhob nach erfolglosem Einspruch Klage, der das FG stattgab. Der BFH gab der Revision des FA statt und wies die Klage ab.

Aufzeichnungspflicht als Voraussetzung für Datenanforderung: Voraussetzung für die Datenanforderung ist das Bestehen einer Aufzeichnungspflicht. Die Befugnisse aus § 147 Abs. 6 AO stehen dem FA nur in Bezug auf solche Unterlagen zu, die der Stpfl. nach § 147 Abs. 1 AO aufzubewahren hat. Der sachliche Umfang der Aufbewahrungspflicht in § 147 Abs. 1 AO wird wiederum grundsätzlich begrenzt durch die Reichweite der zugrunde liegenden Aufzeichnungspflicht. Im Streitfall ist K zur Aufzeichnung ihrer einzelnen Geschäftsvorfälle einschließlich der Kassenvorgänge verpflichtet.

Grundsätze der ordnungsgemäßen Buchführung: Die der K als Buchführungspflichtige obliegenden handelsrechtlichen Buchführungspflichten gelten über § 140 AO auch für die Besteuerung. Die Buchführung muss einem sachverständigen Dritten innerhalb angemessener Zeit einen Überblick über die Geschäftsvorfälle und über die Lage des Unternehmens vermitteln können (§ 238 Abs. 1 Satz 2 HGB). Die Geschäftsvorfälle müssen sich in ihrer Entstehung und Abwicklung verfolgen lassen (§ 238 Abs. 1 Satz 3 HGB). Die Eintragungen in den Büchern und die sonst erforderlichen Aufzeichnungen müssen vollständig, richtig, zeitgerecht und geordnet vorgenommen werden (§ 239 Abs. 2 HGB).

Einzelaufzeichnung jeden Kassenvorgangs: Hieraus folgt, dass grds. jedes einzelne Handelsgeschäft – einschl. der sich auf die jeweiligen Handelsgeschäfte beziehenden Kassenvorgänge – einzeln aufzuzeichnen sind, um zu jeder Zeit einen zuverlässigen Einblick in den Ablauf aller Geschäfte geben zu können mit der Möglichkeit der späteren Überprüfung. Dafür bedarf es prinzipiell nicht nur der Aufzeichnung der in Geld bestehenden Gegenleistung, sondern auch des Inhalts des Geschäfts und des Namens des Vertragspartners. Dies gilt auch für bar erlangte Kasseneinnahmen, da der nach den GoB aufzeichnungspflichtige Geschäftsvorfall gerade nicht nur der am Ende eines Tages insgesamt vereinnahmte Betrag (Tageslosung) ist.

Beachtung des Prinzips der Zumutbarkeit: Zur Wahrung der Zumutbarkeitsgrenze hat der BFH die Einzelaufzeichnungspflicht für Einzelhandelsgeschäfte – in Betrieben, in denen Waren von geringerem Wert an eine unbestimmte Vielzahl nicht bekannter und auch nicht feststellbarer Personen verkauft werden – dahingehend eingeschränkt, dass die baren Betriebseinnahmen in der Regel nicht einzeln aufgezeichnet zu werden brauchen.

Keine Einschränkung bei Verwendung elektronischer Kassensysteme: Die Beachtung der Zumutbarkeitsgrenze ist jedoch im Streitfall zu verneinen. Der Stpfl. ist zwar in der Wahl des Aufzeichnungsmittels der Kasseneinnahmen frei und kann entscheiden, ob er seine Warenverkäufe manuell oder unter Zuhilfenahme technischer Hilfsmittel – wie eben einer elektronischen Registrier- oder PC-Kasse – erfasst. Entscheidet er sich für ein modernes PC-Kassensystem, das zum einen sämtliche Kassenvorgänge einzeln und detailliert aufzeichnet und zum anderen auch eine langfristige Aufbewahrung (Speicherung) der getätigten Einzelaufzeichnungen ermöglicht, kommt er gerade damit der ihm obliegenden Verpflichtung zur Aufzeichnung der einzelnen Verkäufe nach. Er kann sich in diesem Fall nicht (mehr) auf die Unzumutbarkeit der Aufzeichnungsverpflichtung berufen. Bei Verwendung einer PC-Kasse ist die mit ihr bewirkte Einzelaufzeichnung auch zumutbar.

Aufzeichnungspflichten der AO: Auch aus den §§ 143 ff. AO ergibt sich nichts anderes. § 145 AO hat für diejenigen Stpfl., die bereits nach HGB buchführungspflichtig sind, keine eigene Bedeutung, da diese den handelsrechtlichen GoB unmittelbar unterworfen sind, und ist mit den handelsrechtlichen GoB abgestimmt. K ist als Ist-Kaufmann bereits aufgrund der GoB ausdrücklich gesetzlich zu Aufzeichnungen verpflichtet.

Auch aus der Zusammenschau der §§ 143 und 144 AO ergibt sich nicht, Einzelhändler wie K von einer Verpflichtung zur Einzelaufzeichnung auszunehmen, auch wenn § 143 AO alle gewerblichen Unternehmer zur gesonderten Aufzeichnung des Wareneingangs, § 144 AO dagegen nur Großhändler zur gesonderten Aufzeichnung des Warenausgangs in Gestalt der zur gewerblichen Weiterverwendung bestimmten Waren verpflichtet (wird näher ausgeführt).

Aufbewahrungspflicht: Als Folge der Pflicht, die baren Betriebseinnahmen einzeln aufzuzeichnen, unterliegen die von K mittels der PC-Kasse gefertigten Aufzeichnungen der Aufbewahrungspflicht des § 147 Abs. 1 Nr. 1 AO, zumal sie auf Erfüllung der o.g. Aufzeichnungspflichten beruhen. Bei den vorliegend mit Hilfe einer PC-Kasse einzeln aufgezeichneten Bareinnahmen handelt es sich um Grundaufzeichnungen i.S.d. § 147 Abs. 1 Nr. 1 AO und keineswegs um "freiwillige" Aufzeichnungen. Zu "freiwilligen" Aufzeichnungen kommt es auch nicht etwa deshalb, weil die Anschaffung der Kasse mit den damit verbundenen Aufzeichnungsmöglichkeiten primär aus betriebswirtschaftlichen Gründen erfolgt ist. Davon unabhängig sind gem. § 147 Abs. 1 Nr. 4 AO insbesondere auch die Tagesendsummenbons (Z‑Bons) als Beleg über die Buchung der verdichteten Tagessummen aufzubewahren.

Vorlagepflicht der Aufzeichnungen: Da K zur Aufzeichnung der einzelnen Verkäufe und zur Aufbewahrung der entsprechenden Aufzeichnungen verpflichtet war, durfte das FA im Rahmen der Außenprüfung gem. § 147 Abs. 6 Satz 2 Alt. 2 i.V.m. Abs. 1 Nr. 1 AO, die mit Hilfe eines Datenverarbeitungssystems (PC‑Kasse) erstellten Daten auf einem maschinell verwertbaren Datenträger zur Prüfung anfordern.  Unschädlich ist zunächst, dass die Daten mittels eines der eigentlichen Buchführung vorgelagerten (Kassen‑)Systems erstellt wurden, da dem Datenzugriff grundsätzlich auch die Daten aus vorgeschalteten Systemen oder Nebensystemen unterfallen. Dies ist jedenfalls dann der Fall, wenn die in einem Vorsystem – wie einem Kassensystem – erzeugten (steuerrelevanten und aufbewahrungspflichtigen) Daten in verdichteter Form in das eigentliche Buchführungssystem übergeben werden.

Ausreichende Bestimmtheit des Vorlageersuchens: Die Anforderung ist auch nicht zu unbestimmt, auch wenn das FA keine Daten, sondern eine Datei angefordert hat. Bei verständiger Würdigung beinhaltet auch eine "Datei" – also ein Bestand inhaltlich zusammengehöriger Daten, der auf einem Datenträger oder Speichermedium abgelegt und gespeichert ist – "Daten" i.S.d. § 147 Abs. 6 AO. Die Datenzugriffsmöglichkeit des FA setzt zwingend voraus, dass die zunächst "flüchtigen" Daten (im Streitfall die Informationen im Zusammenhang mit den einzelnen Verkaufsvorgängen) systematisch in einer Datei abgelegt werden und so erhalten bleiben. Dass die Datei ggf. für den Datenzugriff "neu" erzeugt werden muss, ist ebenfalls kein Hinderungsgrund, sondern vielmehr Folge der der Finanzverwaltung in § 147 Abs. 6 Satz 2 Alternative 2 AO eingeräumten Möglichkeit der Anforderung eines Datenträgers. Dem FA war zudem bekannt, dass das von K verwandte Apothekenkassensystem des Anbieters X vorsah, die Daten des Warenverkaufsjournals zur Ermöglichung des Datenzugriffs des FA in einer speziellen Datei ("vk_verkaeufe…csv") abzulegen. Dementsprechend durfte das FA davon ausgehen, in dieser Datei befänden sich die steuerrelevanten Kassendaten (Grundaufzeichnungen). Der Senat hat keine Bedenken, dass das FA in diesem Fall zur Bestimmung der Datenanforderung den vom System vorgegebenen Dateinamen verwandt hat, zumal das FA mehrfach unmissverständlich klargestellt hat, es gehe um die "Einzeldaten der Registrierkasse (Journal der EDV-Kasse)" bzw. um die "von der Firma X gelieferten Daten über die Warenverkäufe" und der Bestandteil "vk_verkaeufe" die Steuerrelevanz der (Grund‑)Aufzeichnungen impliziert.

Kein Verstoß gegen Übermaßverbot: Mit der Anforderung der "Einzeldaten der Registrierkasse (Journal der EDV-Kasse)" und der "von der Firma X gelieferten Daten über die Warenverkäufe" verstößt das FA auch nicht gegen das Übermaßverbot. Mit der Bereitstellung der o.g. standardisierten Datei für den Datenexport im Rahmen der digitalen Außenprüfung hat X für K die dieser obliegende Qualifizierung der steuerlich relevanten Kassendaten übernommen. Einzelne in der Datei enthaltene nicht steuerrelevante Daten (z.B. Patientendaten) müssen von ihr ggf. vorher selektiert werden. Ist ihr dies nicht möglich, kann sie den Zugriff auf die Datei "vk_verkaeufe…csv" mit den Kasseneinzeldaten nicht verweigern. Sie trägt die Verantwortung und damit auch das Risiko, wenn sie steuerrelevante und nicht steuerrelevante Daten ununterscheidbar vermengt haben sollte.

Beraterhinweis: Auch wenn nach der AO nur Großhändler zur Aufzeichnung von Warenausgängen verpflichtet sind, so gilt nach den für einen Ist-Kaufmann geltenden GoB die handelsrechtliche Aufzeichnungspflicht, die über § 140 AO auch steuerrechtlich zu beachten ist. Zwar besteht für kleine Einzelhändler, die Bargeschäfte mit namentlich nicht bekannten Kunden tätigen, aufgrund der Beachtung der Zumutbarkeitsgrenze keine Aufzeichnungspflicht. Werden aber dennoch auch für jedes Bargeschäft elektronische Aufzeichnungen geführt, die jeden Geschäftsvorfall dokumentieren, ist das Zumutbarkeitsprinzip nicht zu beachten. Wenn die Daten der einzelnen Geschäftsvorfälle tatsächlich in dem PC-Kassensystem vorhanden sind, hat der Stpfl. seine handelsrechtlichen und damit auch steuerlichen Aufzeichnungspflichten erfüllt und ist zur Herausgabe der Datei, die diese Daten enthält, verpflichtet, um die einzelnen Geschäftsvorfälle im Rahmen einer Außenprüfung überprüfen zu können.

RD a.D. Michael Marfels, Nordkirchen

Verlag Dr. Otto Schmidt vom 08.05.2015 11:37

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