Otto Schmidt Verlag


Steuerfreiheit bei einem innergemeinschaftlichen Reihengeschäft mit zwei Lieferungen

Bei einem innergemeinschaftlichen Reihengeschäft mit drei Beteiligten (A, B und C) und zwei Lieferungen (A an B sowie B an C) setzt die erforderliche Zuordnung der (einen) innergemeinschaftlichen Beförderung oder Versendung des Gegenstands zu einer der beiden Lieferungen eine umfassende Würdigung aller Umstände des Einzelfalls und insbesondere die Feststellung voraus, ob der Ersterwerber (B) dem Zweiterwerber (C) die Befähigung, wie ein Eigentümer über den Gegenstand zu verfügen, im Inland übertragen hat. Dabei kommt es auf die objektiven Umstände an; hiervon abweichende Absichtsbekundungen können im Rahmen der Prüfung des Vertrauensschutzes von Bedeutung sein.

Verbleiben nach der erforderlichen Sachverhaltsaufklärung durch das FG, bei der insbesondere der Ersterwerber (B) zur Sachverhaltsaufklärung herangezogen werden kann, nicht behebbare Zweifel daran, dass der Ersterwerber (B) dem Zweiterwerber (C) die Verfügungsmacht noch im Inland übertragen hat, ist die Warenbewegung der ersten Lieferung (A an B) zuzuordnen.

BFH v. 25.2.2015 – XI R 15/14

Die Klägerin K war Organträgerin der in Deutschland ansässigen A-GmbH. Bei dieser bestellte B, die ihren Sitz in den USA hatte und über eine feste Niederlassung in Portugal verfügte, zwei Maschinen. Nachdem B von A aufgefordert worden war ihre USt-IdNr. anzugeben, erklärte B, sie habe die Maschinen an C – ein in Finnland ansässiges Unternehmen – veräußert. Daher teilte B der A die USt-IdNr. der C mit. Die Ware wurde von einer von B beauftragten Spedition nach L (Deutschland) verbracht und dann nach Finnland verschifft. K betrachtete die Lieferung A an B – im Unterschied zum FA – als steuerfreie innergemeinschaftliche Lieferung.

Mit Beschluss vom 10.11.2010 hatte der BFH (XI R 11/09, BStBl. II 2011, 237) den Fall zunächst dem EuGH vorgelegt und nach dessen Entscheidung (EuGH v. 27.9.2012 – Rs. C-587/10, UR 2012, 832) die Sache an das FG zurückverwiesen (BFH v. 28.5.2013 – XI R 11/09, BFH/NV 2013, 1524). Gegen das der Klage der K stattgebende finanzgerichtliche Urteil (FG Sachsen v. 12.3.2014 – 2 K 1127/13) legte das FA Revision ein. Diese Revision hat der BFH nunmehr mit der Besprechungsentscheidung als unbegründet zurückgewiesen.

Innergemeinschaftliche Lieferung: Nach § 4 Nr. 1 Buchst. b UStG sind innergemeinschaftliche Lieferungen i.S.d. § 6a UStG steuerfrei. Für das Vorliegen einer innergemeinschaftlichen Lieferung ist u.a. erforderlich, dass der Unternehmer oder der Abnehmer den Gegenstand der Lieferung in das übrige Gemeinschaftsgebiet befördert oder versendet hat.

Reihengeschäft: Im Urteilsfall war ein Reihengeschäft mit zwei Lieferungen (A an B und B an C) gegeben. Schließen mehrere Unternehmer über denselben Gegenstand Umsatzgeschäfte ab und gelangt dieser bei der Beförderung oder Versendung unmittelbar vom ersten Unternehmer (A) an den letzten Abnehmer (C), ist nach § 3 Abs. 6 Satz 5 UStG die Beförderung oder Versendung des Gegenstands nur einer der Lieferungen zuzuordnen. Daher konnte A im Urteilsfall nur dann eine steuerfreie innergemeinschaftliche Lieferung ausgeführt haben, wenn die innergemeinschaftliche Versendung der Maschinen von Deutschland nach Finnland der ersten Lieferung (A an B) zuzuordnen war.

Zuordnung der Versendung: Bezüglich der Zuordnung einer erfolgten innergemeinschaftlichen Versendung verwies der BFH auf § 3 Abs. 6 Satz 6 UStG: Wird der Gegenstand der Lieferung durch einen Abnehmer (B) befördert oder versendet, der zugleich Lieferer (an C) ist, ist die Beförderung oder Versendung der Lieferung an ihn (A an B) zuzuordnen (§ 3 Abs. 6 Satz 6 Halbs. 1 UStG). Das bedeutet, der Abnehmer (B) wird nicht als Lieferer an den letzten Abnehmer (C), sondern als Abnehmer der Vorlieferung (A an B) tätig. Diese grundsätzliche Zuordnung der Versendung zur ersten Lieferung (A an B) gilt nicht, wenn der Abnehmer (B) nachweist, dass er den Gegenstand als Lieferer befördert oder versendet hat (§ 3 Abs. 6 Satz 6 Halbsatz 2 UStG). Nach Ansicht des BFH ergibt sich aus der Rechtsprechung des EuGH, dass auch auf unionsrechtlicher Ebene die Zuordnung der Warenbewegung zur ersten Lieferung der Regelfall ist und die Zuordnung zur zweiten Lieferung die Ausnahme.

Unionsrechtskonforme Auslegung des § 3 Abs. 6 Satz 6 UStG: Der BFH betonte jedoch, dass die Regelung des § 3 Abs. 6 Satz 6 UStG unionsrechtskonform auszulegen ist. Der Nachweis, dass der erste Abnehmer (B) den Gegenstand als Lieferer befördert oder versendet hat, muss sich aus einer umfassenden Würdigung aller besonderen Umstände des Einzelfalls ergeben. Wesentlich ist insoweit der Zeitpunkt, zu dem die Befähigung, wie ein Eigentümer über den Gegenstand zu verfügen, dem Endempfänger (C) übertragen worden ist (vgl. EuGH v. 27.9.2012 – Rs. C-587/10, UR 2012, 832): Erlangt der zweite Abnehmer (C) die Verfügungsmacht über die Ware bereits im Inland, so ist die Versendung oder Beförderung der zweiten Lieferung zuzuordnen. Eine solche Sachverhaltskonstellation hätte zur Folge, dass die erste Lieferung (A an B) nicht steuerfrei wäre.

Objektive Umstände sind von Belang: Mit Bezugnahme auf die Rechtsprechung des EuGH stellte der BFH klar, dass es bei der Prüfung, ob eine steuerfreie innergemeinschaftliche Lieferung gegeben ist, auf die objektiven Umstände ankommt. Für eine Zurechung der Beförderung zur zweiten Lieferung (B an C) ist es nicht ausreichend, wenn der erste Abnehmer (B) vor der Beförderung seinem Lieferer (A) erklärt, die Ware sei bereits an den Endabnehmer (C) weiterverkauft worden.

Vertrauensschutz: Erklärungen des ersten Abnehmers (B) können – wenn die objektiven Voraussetzungen für eine Steuerbefreiung nicht vorliegen – hinsichtlich der Prüfung des Vertrauensschutzes nach § 6a Abs. 4 UStG wesentlich sein.

Urteilsfall: Im Urteilsfall war die Warenbewegung der Lieferung A an B zuzuordnen. Der BFH folgte dem FG darin, dass die gesetzliche Vermutung des § 3 Abs. 6 Satz 6 Halbsatz 1 UStG erst dann widerlegt sei, wenn der Erstabnehmer (B) tatsächlich nachweise, dass er den Gegenstand als Lieferer befördert oder versendet habe. Bloße Anhaltspunkte seien insoweit nicht ausreichend.

Fallvariante: Ein weiteres Urteil des BFH vom 25.2.2015 (XI R 30/13) betraf ein Reihengeschäft, bei dem der letzte Abnehmer (C) die Beförderung des Liefergegenstands übernahm. Auch hier stellte sich die Frage, welcher Lieferung die Warenbewegung zuzuordnen war. Die Vermutungsregelung des § 3 Abs. 6 Satz 6 UStG konnte bei dieser Sachlage nicht zur Anwendung kommen. Zur Beantwortung der Frage musste ermittelt werden, wann und wo der letzte Abnehmer (C) die Verfügungsmacht über die Ware erhalten hatte. Wesentlich war auch hier, ob die Übertragung der Befähigung, wie ein Eigentümer über die Gegenstände zu verfügen, durch den ersten Abnehmer (B) auf C erfolgt war, bevor der Gegenstand der Lieferung das Inland verlassen hatte. Holt der Endabnehmer (C) den Gegenstand der Lieferung beim Lieferer (A) persönlich ab, so wird dem letzten Abnehmer (C) dadurch zwar oftmals Verfügungsmacht verschafft werden, doch dies kann im jeweiligen Einzelfall auch anders sein.

Beraterhinweis: Nach Ansicht des BFH ist die Tatsache, dass der letzte Abnehmer eines Reihengeschäfts die Beförderung oder Versendung des Liefergegenstands übernommen hat, nicht allein entscheidend dafür, welcher Lieferung die Beförderung oder Versendung zuzuordnen ist (a.A. Abschn. 3.14. Abs. 8 Satz 2 UStAE). Der BFH wertet es als ein Indiz für die Zuordnung, wenn alle an einem Reihengeschäft beteiligten Personen – sofern sie fremde Dritte sind – übereinstimmend davon ausgehen, die Warenbewegung sei einer bestimmten Lieferung zuzurechnen. Mit Blick auf die Vertrauensschutzregelungen des Umsatzsteuerrechts kann es für den Lieferer (A) sinnvoll sein, sich vom Erstabnehmer (B) schriftlich versichern zu lassen, dass er die Verfügungsmacht nicht auf einen Dritten übertragen wird, bevor der Gegenstand der Lieferung den Liefermitgliedstaat physisch verlassen hat.

RA Hildegard Billig, Düsseldorf

Verlag Dr. Otto Schmidt vom 24.04.2015 12:09

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