Otto Schmidt Verlag


Entfernungspauschale für Fahrten zwischen Wohnung und Betriebsstätte bei Gewinneinkünften auch bei nur einem Auftraggeber

Aufwendungen für regelmäßige PKW-Fahrten eines Gewerbetreibenden oder Freiberuflers zu seinem einzigen Auftraggeber sind nur in Höhe der Entfernungspauschale als Betriebsausgaben abziehbar. Betriebsstätte i.S.d. § 4 Abs. 5 Satz 1 Nr. 6 EStG ist ‑ abweichend von § 12 AO ‑ bei einem im Wege eines Dienstvertrags tätigen Unternehmer, der nicht über eine eigene Betriebsstätte verfügt, der Ort, an dem oder von dem aus die beruflichen oder gewerblichen Leistungen erbracht werden. Betrieblich genutzte Räume, die sich in der im Übrigen selbstgenutzten Wohnung des Stpfl. befinden, können wegen ihrer engen Einbindung in den privaten Lebensbereich nicht als Betriebsstätte i.S.d. § 4 Abs. 5 Satz 1 Nr. 6 EStG angesehen werden.

BFH v. 22. 10.2014 - X R 13/13

Der Kläger erzielt als Einzelunternehmer Einkünfte aus Gewerbebetrieb. Im Streitjahr 2008 hatte er lediglich einen einzigen Auftraggeber, für den er u.a. die Finanzbuchhaltung und das EDV-System betreute. Er suchte dessen Betrieb an vier bis fünf Tagen wöchentlich auf; weitere betriebliche Tätigkeiten führte er in Räumen durch, die im Obergeschoss des von ihm und seiner Lebensgefährtin bewohnten EFH liegen. K machte die Kosten für den zu seinem Betriebsvermögen gehörenden PKW auch insoweit in voller Höhe geltend, als sie auf die Fahrten zwischen dem EFH und dem Betrieb des Auftraggebers entfielen. Das FA setzte hingegen unter Hinweis auf § 4 Abs. 5 Satz 1 Nr. 6, § 9 Abs. 1 Satz 3 Nr. 4 EStG nur die Entfernungspauschale als BA an. Das FG gab der Klage statt, da die Abzugsbeschränkung nicht anwendbar sei, weil K im Betrieb des Auftraggebers keine eigene Betriebsstätte unterhalten habe. Zwar sei der Begriff der Betriebsstätte in der bisherigen Rspr. der für die Gewinneinkünfte zuständigen Senate des BFH abweichend von der gesetzlichen Definition in § 12 AO ausgelegt worden. Daran könne aber angesichts der neueren Rspr. des VI. Senats des BFH, wonach eine betriebliche Einrichtung eines Kunden des Arbeitgebers nicht als regelmäßige Arbeitsstätte des Arbeitnehmers anzusehen sei, nicht mehr festgehalten werden, so dass die Definition des § 12 AO auch für Zwecke der Anwendung des § 4 Abs. 5 Satz 1 Nr. 6 EStG uneingeschränkt heranzuziehen sei. Der BFH gab der Revision des FA statt und verwies die Sache zur erneuten Entscheidung an das FG zurück.

Begriff der Betriebsstätte: Der Kläger hat bei seinem Auftraggeber eine Betriebsstätte i.S.d. § 4 Abs. 5 Satz 1 Nr. 6 Satz 1 EStG unterhalten. Nach ständiger Rspr. der für die Gewinneinkünfte zuständigen Senate des BFH ist als Betriebsstätte bei einem im Wege eines Dienstvertrags tätigen Unternehmer, der nicht über eine eigene Betriebsstätte verfügt, der Ort anzusehen, an dem er die geschuldete Leistung zu erbringen hat, in der Regel also der Betrieb des Auftraggebers.

Ausnahmen von der Abzugsbeschränkung auch bei Gewinneinkünften: Die für Arbeitnehmer entwickelten Ausnahmen von der ‑ für PKW-Nutzer ‑ mit der Anwendung des § 9 Abs. 1 Satz 3 Nr. 4 EStG verbundenen Abzugsbeschränkung gelten allerdings auch zugunsten der Bezieher von Gewinneinkünften. Dies ist bisher vor allem für Steuerpflichtige entschieden worden, die an ‑ so die Terminologie der damaligen Rspr. ‑ ständig wechselnden Einsatzstellen tätig waren.

Abweichender Betriebsstättenbegriff bei der Entfernungspauschale: Die dargestellte, zu § 4 Abs. 5 Satz 1 Nr. 6 EStG entwickelte Definition der Betriebsstätte weicht zwar vom allgemeinen Betriebsstättenbegriff des § 12 AO ab, der eine nicht nur vorübergehende Verfügungsmacht des Stpfl. über die von ihm genutzte Einrichtung voraussetzt. Diese normspezifische Gesetzesauslegung ist jedoch im Hinblick auf den mit § 4 Abs. 5 Satz 1 Nr. 6 EStG verfolgten Zweck, die Bezieher von Gewinneinkünften in Bezug auf regelmäßige Fahrten mit Arbeitnehmern gleichzustellen, geboten. Demgegenüber dient der Betriebsstättenbegriff des § 12 AO im Wesentlichen der Abgrenzung von Besteuerungsbefugnissen zwischen verschiedenen Steuergläubigern (z.B. Zerlegung der GewSt nach § 28 GewStG, nationales Besteuerungsrecht von Steuerausländern nach § 49 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. a EStG, Betriebsstättenbegriff nach DBA), was für den Regelungsbereich des § 4 Abs. 5 Satz 1 Nr. 6 EStG indes nicht von Bedeutung ist.

Unterschiede zwischen Betriebsstätte und regelmäßiger Arbeitsstätte: An der dargestellten Auslegung des § 4 Abs. 5 Satz 1 Nr. 6 EStG ist  ungeachtet der neueren Rspr. des VI. Senats des BFH zu dem in § 9 Abs. 1 Satz 3 Nr. 4 EStG verwendeten Begriff der regelmäßigen Arbeitsstätte festzuhalten: Der VI. Senat hat für die Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit angenommen, regelmäßige Arbeitsstätte könne nur eine betriebliche Einrichtung des Arbeitgebers sein, nicht aber die betriebliche Einrichtung eines Kunden des Arbeitgebers (z.B. BFH v. 10.7.2008 - VI R 21/07, BStBl. II 2009, 818). Dies soll selbst dann gelten, wenn der Arbeitnehmer jahrzehntelang ausschließlich in derselben Einrichtung des Kunden des Arbeitgebers tätig wird (BFH v. 13.6.2012 - VI R 47/11, BStBl. II 2013, 169). Dennoch hat der BFH bei den Gewinneinkünften hinsichtlich des Begriffs der Betriebsstätte an der dargestellten, langjährigen Auslegung des § 4 Abs. 5 Satz 1 Nr. 6 EStG festgehalten (z.B. BFH v. 25.7.2012 - X B 11/11). Der erkennende Senat schließt sich dem an.

Keine Divergenzanfrage erforderlich: Eine Abweichung von der neueren Rechtsprechung des VI. Senats liegt darin schon deshalb nicht, weil umgekehrt auch der VI. Senat bei Begründung seiner neueren Rspr. keine Abweichung von der ‑ wesentlich älteren – Rspr.  aller für die Gewinneinkünfte zuständigen Senate des BFH zum Betriebsstättenbegriff des § 4 Abs. 5 Satz 1 Nr. 6 EStG gesehen und folgerichtig von einer Anfrage nach § 11 Abs. 3 FGO bei diesen Senaten abgesehen hat. Vor allem aber ist das vom VI. Senat für Zwecke der Besteuerung von Arbeitnehmern entwickelte Differenzierungskriterium, ob deren Arbeitgeber bei dem Kunden, in dessen Räumen der Arbeitnehmer tätig sei, eine eigene Betriebsstätte unterhalte oder nicht, auf die Gewinneinkünfte nicht übertragbar. Denn dort fehlt es bei typisierender Betrachtung an dem für die Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit typischen Dreiecksverhältnis zwischen dem Arbeitnehmer, seinem Arbeitgeber und dem Kunden des Arbeitgebers. Vielmehr ist allein das zweipolige Rechtsverhältnis zwischen dem Gewerbetreibenden und seinem Kunden maßgebend. Zudem fehlt es an einem Direktionsrecht eines Arbeitgebers, das der VI. Senat als entscheidend für seine Differenzierung angesehen hat. Der Gewerbetreibende ist vielmehr regelmäßig selbst Herr seiner Entscheidungen.

Teilweise Änderung der Rechtslage ab 2014 ohne Auswirkung auf den Betriebsstättenbegriff: Im Übrigen hat der Gesetzgeber der neueren Rspr. des VI. Senats mit Wirkung ab dem Veranlagungszeitraum 2014 durch Änderungen in § 9 Abs. 1 Satz 3 Nr. 4, Abs. 4 EStG teilweise die Grundlage entzogen. Der erkennende Senat erachtet es aber auch im Interesse der Kontinuität der Rechtsanwendung nicht für sachgerecht, die höchstrichterliche Rspr. zur Auslegung des Betriebsstättenbegriffs des § 4 Abs. 5 Satz 1 Nr. 6 EStG für Sachverhalte, die in der Vergangenheit liegen, zu ändern ‑ zumal dies ohnehin erst nach einer Anfrage bei den meisten für Gewinneinkünfte zuständigen Senaten bzw. nach Anrufung des GrS möglich wäre ‑, um dann für Veranlagungszeiträume ab 2014 aufgrund der gesetzgeberischen Reaktion auf die Rspr. des VI. Senats wieder zu der bisherigen Handhabung zurückzukehren. Auch die Finanzverwaltung will für die Zeit ab 2014 weiterhin ausdrücklich den dargestellten, normspezifischen Betriebsstättenbegriff i.S.d. § 4 Abs. 5 Satz 1 Nr. 6 EStG anwenden.

Betrieb des Auftraggebers ist Betriebsstätte: Vorliegend hatte der Kläger nach den Feststellungen des FG nur einen einzigen Auftraggeber und hat dessen Betrieb an vier bis fünf Tagen wöchentlich aufgesucht. Damit stellt der Betrieb des Auftraggebers für Zwecke des § 4 Abs. 5 Satz 1 Nr. 6 EStG in Anwendung der dargestellten ständigen höchstrichterlichen Rspr. zugleich eine Betriebsstätte des Klägers dar. Es handelt sich auch nicht um eine ständig wechselnde Einsatzstelle.

Fehlende Spruchreife: Die Sache ist nicht spruchreif, weil es für die Entscheidung des Streitfalls darauf ankommt, ob der Kläger auch in den von seiner Lebensgefährtin angemieteten Räumen des im Übrigen selbstgenutzten EFH eine Betriebsstätte unterhalten hat, das FG diese Frage aber ausdrücklich offengelassen hat.

Fahrten zwischen zwei Betriebsstätten nur bei jeweiliger räumlicher Trennung von der Wohnung: Sind auch die Räume im Einfamilienhaus als Betriebsstätte anzusehen, stellen die Fahrten des Klägers zu seinem Auftraggeber Wege zwischen zwei Betriebsstätten dar. Derartige Aufwendungen fallen nach ständiger Rspr. nicht unter die Abzugsbeschränkung des § 4 Abs. 5 Satz 1 Nr. 6 EStG. Die Sachverhalte, die den beiden vorstehend zitierten Entscheidungen zugrunde lagen, waren allerdings dadurch gekennzeichnet, dass die Betriebsstätten von den jeweils selbstgenutzten Wohnungen räumlich getrennt waren; eine solche räumliche Trennung ist für die Annahme von Fahrten zwischen zwei Betriebsstätten zwingend erforderlich.

Keine Betriebsstätte im selbstgenutzten EFH: Sind die Räume wegen ihrer engen Einbindung in den privaten Lebensbereich hingegen nicht als Betriebsstätte anzusehen, überlagert die Nutzung des Gebäudes als Wohnung die dort auch verwirklichten betrieblichen Zwecke. In einem solchen Fall kann nicht davon gesprochen werden, dass der Stpfl. seine auswärtige Betriebsstätte von einer in der Wohnung befindlichen Betriebsstätte aufsucht; Ausgangs- und Endpunkt der Fahrten ist vielmehr die Wohnung. Damit würde es sich bei den hier streitigen Fahrtkosten um Aufwendungen für Wege zwischen Wohnung und Betriebsstätte handeln, die unter die Abzugsbeschränkung des § 4 Abs. 5 Satz 1 Nr. 6 EStG fallen. Insbesondere ein häusliches Arbeitszimmer ist stets derart in den privaten Bereich eingebunden, dass seine Existenz die Anwendung des § 4 Abs. 5 Satz 1 Nr. 6 EStG nicht ausschließt. Auch dies dient der Gleichbehandlung der Bezieher von Gewinneinkünften mit Arbeitnehmern, bei denen allein die Existenz eines häuslichen Arbeitszimmers nicht dazu führt, dass die Entfernungspauschale auf ihre Wege zwischen der Wohnung und der regelmäßigen Arbeitsstätte keine Anwendung mehr findet. Schon nach dem eigenen Vorbringen des Klägers im Klageverfahren spricht zwar Vieles dafür, dass die Räume im EFH lediglich als häusliches Arbeitszimmer anzusehen sind und ihre betriebliche Nutzung der Anwendung des § 4 Abs. 5 Satz 1 Nr. 6 EStG daher nicht entgegensteht. Da das FG hierzu aber keine Feststellungen getroffen hat, ist dem Senat eine eigene Entscheidung verwehrt.

Beraterhinweis: Der BFH hat hiermit entschieden, dass auch für regelmäßige Fahrten eines Betriebsinhabers zwischen seinem häuslichen Büro und dem Sitz seines einzigen Auftraggebers nur die Entfernungspauschale anzusetzen ist. Er hält damit an der bisherigen Rsr. der für die Gewinneinkünfte zuständigen Senate zum Begriff der „Betriebsstätte“ fest. Zugleich erfolgt eine Abgrenzung zu der für Arbeitnehmer geltenden Rspr. des VI. Senats, der den Parallelbegriff der „regelmäßigen Arbeitsstätte“ stark eingeschränkt hat, indem er die betriebliche Einrichtung eines Kunden des Arbeitgebers nicht als regelmäßige Arbeitsstätte des Arbeitnehmers ansieht, so dass dann die Entfernungspauschale nicht anwendbar ist.

Mit Wirkung ab dem 1.1.2014 gilt gem. § 9 Abs. 4 EStG der neue Begriff der „ersten Tätigkeitsstätte“, der von den Grundsätzen der zwischenzeitlichen BFH-Rechtsprechung abweicht. Für Arbeitnehmer ist es damit zu einer mehrfachen Änderung der Rechtslage gekommen. Für Betriebsinhaber hat der BFH demgegenüber klargestellt, dass keine Änderung der Rechtslage eingetreten ist.

Für Betriebsinhaber, die nur einen Auftraggeber haben und für ihre regelmäßigen Fahrten einen Pkw nutzen, bedeutet die nunmehrige Entscheidung für die Zeit bis einschließlich 2013 eine Einschränkung der Abzugsmöglichkeiten im Vergleich zu Arbeitnehmern, weil die tatsächlichen Pkw-Kosten die Entfernungspauschale übersteigen.

RD a.D. Michael Marfels, Nordkirchen

Verlag Dr. Otto Schmidt vom 26.02.2015 11:58

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