Otto Schmidt Verlag


Regelmäßige Arbeitsstätte in der Probezeit bei befristeter Beschäftigung

Der in einer dauerhaften, ortsfesten betrieblichen Einrichtung seines Arbeitgebers beschäftigte Arbeitnehmer ist nicht allein deshalb auswärts tätig, weil er eine Probezeit vereinbart hat, unbedingt versetzungsbereit oder befristet beschäftigt ist.

BFH v. 6.11.2014 – VI R 21/14

Der Kläger war im Streitjahr 2011 als Werkzeugmechaniker am Betriebssitz seines Arbeitgebers nichtselbständig tätig. Das Arbeitsverhältnis war auf ein Jahr befristet. Die Probezeit betrug sechs Monate. Nach Ablauf der Befristung wurde das Arbeitsverhältnis nicht fortgesetzt. Er machte für das Streitjahr als Werbungskosten für die Probezeit Verpflegungsmehraufwendungen und Fahrtkosten nach Dienstreisegrundsätzen geltend. Im angefochtenen Einkommensteuerbescheid vom 20. 4. 2012 berücksichtigte das beklagte FA als Werbungskosten lediglich den Pauschbetrag gem. § 9a EStG i.H.v. 1.000 €. Nach erfolglosem Einspruch verfolgte der Kläger mit seiner Klage sein ursprüngliches Anliegen weiter. Darüber hinaus begehrte er auch die Wegekosten, die ihm in den sich an die Probezeit anschließenden restlichen sechs Monaten des befristeten Arbeitsverhältnisses entstanden sind, nach Dienstreisegrundsätzen zum Werbungskostenabzug zuzulassen.

Der BFH wies die vom FG zugelassene Revision des Klägers als unbegründet zurück. Das FG habe zu Recht entschieden, dass Aufwendungen des Klägers für Fahrten zwischen seiner Wohnung und seiner Tätigkeitsstätte am Betriebssitz seines Arbeitgebers nur im Rahmen der Entfernungspauschale als Werbungskosten bei den Einkünften aus nichtselbständiger Arbeit berücksichtigt werden könnten und Mehraufwendungen für Verpflegung ebenfalls nicht einkünftemindernd anzusetzen seien.

Voraussetzungen einer regelmäßigen Arbeitsstätte: Eine regelmäßige Arbeitsstätte kann nur eine ortsfeste, dauerhafte betriebliche Einrichtung des Arbeitgebers sein, der der Arbeitnehmer zugeordnet ist und die er nicht nur gelegentlich, sondern mit einer gewissen Nachhaltigkeit, d.h. fortdauernd und immer wieder (dauerhaft) aufsucht. Regelmäßig handelt es sich dabei um den Betrieb des Arbeitgebers oder einen Zweigbetrieb, nicht aber um die Tätigkeitsstätte in einer betrieblichen Einrichtung des Kunden des Arbeitgebers (st. Rspr., z.B. BFH v. 20.3.2014 – VI R 74/13, BStBl. II 2014,854, m.w.N.).

Ist der Arbeitnehmer nicht an einer solchen dauerhaften betrieblichen Einrichtung tätig, liegt regelmäßig eine Auswärtstätigkeit vor, weil der Arbeitnehmer entweder vorübergehend von seiner Wohnung und dem ortsgebundenen Mittelpunkt seiner dauerhaft angelegten beruflichen Tätigkeit entfernt tätig wird oder weil er schon über keinen dauerhaft angelegten ortsgebundenen Bezugspunkt für seine berufliche Tätigkeit verfügt, sondern nur an ständig wechselnden Tätigkeitsstätten oder auf einem Fahrzeug eingesetzt wird (z.B. BFH v. 26.2.2014 – VI R 54/13, BFH/NV 2014, 1199; v. 26.2.2014 – VI R 68/12, BFH/NV 2014, 1029, m.w.N.).

Dauerhafte berufliche Tätigkeit des Klägers in einer regelmäßigen Arbeitsstätte: Nach diesen Grundsätzen war der Kläger nicht auswärts, sondern am Betriebssitz -einer dauerhaften betrieblichen Einrichtung- seines Arbeitgebers und damit in einer regelmäßigen Arbeitsstätte i.S. des § 9 Abs. 1 S. 3 Nr. 4 EStG tätig. Er hat diese Einrichtung während seines Arbeitsverhältnisses nicht nur gelegentlich, sondern mit einer gewissen Nachhaltigkeit, d.h. fortdauernd und immer wieder (dauerhaft) aufgesucht. Der Umstand, dass der Kläger seine Tätigkeit dort nur auf ein Jahr befristet ausgeübt hat und zudem die ersten sechs Monate seines Beschäftigungsverhältnisses mit einer Probezeit belegt waren, steht der Dauerhaftigkeit der Zuordnung nach dem Betriebssitz des Arbeitgebers nicht entgegen. Denn ein in einer dauerhaften, ortsfesten betrieblichen Einrichtung seines Arbeitgebers tätiger Arbeitnehmer ist nicht allein deshalb auswärts, also vorübergehend von seiner Wohnung und dem ortsgebundenen Mittelpunkt seiner dauerhaft angelegten beruflichen Tätigkeit entfernt tätig, weil er eine Probezeit vereinbart hat, unbedingt versetzungsbereit oder befristet beschäftigt ist (vgl. BFH v. 15.5.2013 – VI R 18/12, BStBl. II 2013, 838 betreffend Leiharbeitnehmer; Geserich, FR 2012, 783, 785 f.; a.A. Schmidt/Loschelder, EStG, 33. Aufl., § 9 Rz. 116 zum Probearbeitsverhältnis).

Regeltypus einer „Innendiensttätigkeit“ ist erfüllt: Der Einwand des Klägers, in solchen Fällen fehle es an der für eine regelmäßige Arbeitsstätte erforderlichen "Planungssicherheit", löst seine Tätigkeit nicht aus dem Regeltypus einer "Innendiensttätigkeit" (Leistungsort im Betrieb oder einer Betriebsstätte des Arbeitgebers) heraus. Zudem ist die Vorhersehbarkeit wechselnder Tätigkeitsstätten und die "Möglichkeit", Wegekosten zu mindern, nicht Tatbestandsmerkmale der in § 9 Absatz ein S. 3 Nr. 4 EStG geregelten Entfernungspauschale. Der Umstand, dass sich ein Arbeitnehmer in unterschiedlicher Weise auf die immer gleichen Wege einstellen und so auf eine Minderung der Wegekosten etwa durch die Bildung von Fahrgemeinschaften, die Nutzung öffentlicher Verkehrsmittel und gegebenenfalls sogar durch die entsprechende Wohnsitznahme hinwirken kann, beschreibt lediglich generalisierend und typisierend den Regelfall, nach der sich die Regelung des §§ 9 Abs. 1 S. 3 Nr. 4 EStG als sachgerechte und folgerichtige Ausnahme vom objektiven Nettoprinzip erweist (vgl. BFH v. 17.6.2010 – VI R 35/08, BStBl. II 2010, 852, m.w.N.). Hingegen bleiben individuelle  Zufälligkeiten und Besonderheiten in der tatsächlichen Ausgestaltung eines Arbeitsverhältnisses und damit insbesondere auch dessen zeitliche Befristung hierbei unberücksichtigt (vgl. BFH v. 15.5.2013 – VI R 18/12, BStBl. II 2013, 838).

Abgrenzung zur bisherigen Rechtsprechung des BFH: Der BFH grenzt den Streitfall von den vom Kläger für sein Begehren herangezogenen Urteilen (BFH v. 8.8.2013 – VI R 72/12, BStBl. II 2014, 68; v. 8.8.2013 - VI R 27/12, BFH/NV 2014, 308 und v. 24. 9. 2013 – VI R 51/12, BStBl. II 2014, 342) ab. In diesen Fällen hatte der BFH zwar entschieden, dass ein Arbeitnehmer, der für ein oder zwei Jahre (wiederholt) befristet seiner Berufstätigkeit an einer anderen betrieblichen Einrichtung seines Arbeitgebers nachgeht, und ein Beamter, der von seinem Arbeitgeber für drei Jahre an eine andere als seine bisherige Tätigkeitsstätte abgeordnet oder versetzt wird, an den neuen Tätigkeitsorten keine regelmäßigen Arbeitsstätten begründet. Indes war in diesen Verfahren zu entscheiden, ob der Arbeitnehmer nur -unter Beibehaltung seiner bisherigen regelmäßigen Arbeitsstätte- "vorübergehend" in einer anderen betrieblichen Einrichtung seines Arbeitgebers tätig wurde oder von Anbeginn dauerhaft an den neuen Beschäftigungsort entsandt worden ist und dort eine (neue) regelmäßige Arbeitsstätte begründet hat. Ein solcher Sachverhalt liegt jedoch im Streitfall nicht vor.

Beraterhinweis: Folge einer Auswärtstätigkeit ist, dass die Kosten für beruflich veranlasste Fahrten gemäß § 9 Abs. 1 S. 1 EStG uneingeschränkt zum Abzug zuzulassen sind. Denn ein Arbeitnehmer, der auswärts tätig ist, hat typischerweise nicht die Möglichkeit, seine Wegekosten gering zu halten (st. Rspr., z.B. BFH v. 10.4.2014 – VI R 11/13, BStBl. II 2014, 804, m.w.N.).

Während der Probezeit bzw. bei befristeter Beschäftigung sind Fahrtkosten zum Betriebssitz des Arbeitgebers, dem der Arbeitnehmer hingegen grundsätzlich dauerhaft zugeordnet ist, nur nach § 9 Abs. 1 S. 3 Nr. 4 EStG abziehbar. Mehraufwendungen für Verpflegung sind gem. § 9 Abs. 5 S. 1 EStG i.V.m. § 4 Abs. 5 S. 1 Nr. 5 S. 1 und 2 EStG nicht als Werbungskosten bei den Einkünften aus nichtselbständiger Arbeit zu berücksichtigen. Zutreffend hat der BFH im Streitfall eine Auswärtstätigkeit verneint. Die Voraussetzungen für eine Auswärtstätigkeit sind nur dann erfüllt, wenn der Arbeitnehmer eine regelmäßige Arbeitsstätte besitzt und von dieser sodann auswärts zum Einsatz gelangt. Der Kläger hat hingegen, wenn auch nur für die Dauer seines befristeten Beschäftigungsverhältnisses bzw. in der Probezeit, die Tätigkeitsstätte nicht nur gelegentlich, sondern fortdauernd und immer wieder aufgesucht.

Der Gesetzgeber hat inzwischen durch die ab dem 1.1.2014 erlassene Regelung in § 9 Abs. 4 S. 3 EStG i.d.F. des Gesetzes zur Änderung und Vereinfachung der Unternehmensbesteuerung und des steuerlichen Reisekostenrechts (v. 20.2.2013, BGBl. I 2013, 285) diese auch von der Finanzverwaltung in Übereinstimmung mit der höchstrichterlichen Rechtsprechung vertretene Rechtsauffassung in das Einkommensteuerrecht übernommen. Danach ist auch dann von einer dauerhaften Zuordnung zu einer regelmäßigen Arbeitsstätte auszugehen, wenn diese Zuordnung für die gesamte Dauer des betreffenden, gegebenenfalls befristeten Dienstverhältnisses erfolgt und der Arbeitnehmer an dieser Tätigkeitsstätte im Übrigen unbefristet tätig werden soll.

Die Zuordnung durch den Arbeitgeber zu einer Tätigkeitsstätte muss auf Dauer angelegt sein (Prognose). Die typischen Fälle einer dauerhaften Zuordnung sind nach § 9 Abs. 4 S. 3 EStG die unbefristete Zuordnung des Arbeitnehmers zu einer bestimmten betrieblichen Einrichtung, die Zuordnung für die gesamte Dauer des - befristeten oder unbefristeten - Dienstverhältnisses oder die Zuordnung über einen Zeitraum von 48 Monaten hinaus. Die Zuordnung „bis auf Weiteres“ ist eine Zuordnung ohne Befristung und damit dauerhaft. Entscheidend sollen alle dabei allein die Festlegung des Arbeitgebers und die im Rahmen des Dienstverhältnisses erteilten Weisungen sein (BMF, Schr. v. 24.10.2014 – IV C 5 – S2353/14/10002, BStBl. I 2014, 1412, Rz. 13). Für die Beurteilung, ob eine dauerhafte Zuordnung vorliegt, ist die auf die Zukunft gerichtete prognostische Betrachtung (ex-ante-Betrachtung) maßgebend. Die Änderung einer Zuordnung durch den Arbeitgeber ist mit Wirkung für die Zukunft zu berücksichtigen (BMF, Schr. v. 24.10.2014, a.a.O., Rz. 14).

RiBFH a.D. Dieter Steinhauff, München

Verlag Dr. Otto Schmidt vom 30.01.2015 14:24

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