Otto Schmidt Verlag


Anwendung des Abgeltungsteuersatzes bei Kapitalerträgen aus Darlehen zwischen Angehörigen i.S.d. § 15 AO

Die Privilegierung der Kapitaleinkünfte, die nach § 32d Abs. 1 EStG i.H.v. 25 % besteuert werden, gegenüber anderen progressiv besteuerten Einkunftsarten ist verfassungsgemäß. Die Anwendung des gesonderten Steuertarifs für Kapitaleinkünfte gem. § 32d Abs. 1 EStG ist nicht schon deshalb nach § 32d Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 Buchst. a EStG ausgeschlossen, weil Gläubiger und Schuldner der Kapitalerträge Angehörige i.S.d. § 15 AO sind. Dies gilt auch für solche Kapitalerträge, die aus der Stundung einer Kaufpreisforderung erzielt werden, wenn keine Anhaltspunkte für eine missbräuchliche Gestaltung vorliegen. Diese einschränkende Auslegung des Ausschlusstatbestands entspricht dem Willen des Gesetzgebers und ist auch aus verfassungsrechtlichen Gründen geboten.

Gewährt der Stpfl. seinen Abkömmlingen bzw. seinem Ehegatten ein Darlehen zur Anschaffung einer fremdvermieteten Immobilie und ist der Darlehensvertrag nach dem Maßstab des Fremdvergleichs der Besteuerung zugrunde zu legen, kann nicht bereits aufgrund des Fehlens einer Besicherung oder der Regelung über eine Vorfälligkeitsentschädigung auf eine missbräuchliche Gestaltung zur Ausnutzung des Abgeltungsteuersatzes geschlossen werden. Dies gilt auch dann, wenn aufgrund des Steuersatzgefälles bei dem Gläubiger und Schuldner der Kapitalerträge ein sog. Gesamtbelastungsvorteil entsteht.

BFH v. 29.4.2014 – VIII R 9/13; VIII R 44/13; VIII R 35/13

Im Urteilsfall VIII R 9/13 schlossen die Eheleute E (Kläger) in den Jahren 2007 und 2008 mit ihrem Sohn (S) und ihren volljährigen Enkeln (E 1 und E 2) schriftliche Verträge über die Gewährung festverzinslicher Darlehen in Höhe von 650.000 € (S), 110.000 € (E 1) und 100.000 € (E 2) ab. Die unbesicherten Darlehen dienten der Anschaffung fremd vermieteter Objekte durch die Darlehensnehmer. Eine Vereinbarung über eine Vorfälligkeitsentschädigung wurde nicht getroffen. Das FA unterwarf die Kapitalerträge der E der tariflichen ESt und lehnte den Ansatz des gesonderten Steuertarifs für Kapitaleinkünfte i.H.v. 25 %  gem. § 32d Abs. 1 EStG aufgrund des Ausschlusstatbestands des § 32d Abs. 2 Nr. 1a EStG ab. Die Klage hiergegen blieb erfolglos.

Im Urteilsfall VIII R 44/13 lag ein vergleichbarer Sachverhalt vor: Auch hier schloss der Kläger K mit seiner Ehefrau und den volljährigen Kindern schriftliche verzinsliche Darlehensverträge für die Anschaffung fremd vermieteter Immobilien ab, ohne eine Vereinbarung über eine Vorfälligkeitsentschädigung bei vorzeitiger Tilgung der Darlehen zu treffen oder die Besicherung des Darlehens mit Grundpfandrechten zu vereinbaren. Auch hier lehnten FA und FG die Anwendung des gesonderten Steuertarifs ab.

Im Urteilsfall VIII R 35/13 veräußerte die Klägerin K ihre Beteiligungen an zwei Personengesellschaften an ihren Bruder; der Kaufpreis sollte aufgrund einer bereits in den Gesellschaftsverträgen vereinbarten verzinslichen Stundung in drei Raten gezahlt werden. Das FA und das FG unterwarfen die Stundungszinsen der tariflichen ESt, da es sich bei dem Schuldner der Kapitalerträge um eine nahestehende Person handle.

Der BFH gab den Revisionen der Kläger in den drei Verfahren statt und entschied, dass die ESt vom FA neu zu berechnen ist, indem die jeweiligen Kapitaleinkünfte nicht mit der tariflichen Steuer, sondern mit dem gesonderten Steuersatz i.H.v. 25 % zu besteuern sind.

Steuerliche Anerkennung der Darlehensverträge: Da die Darlehen der Finanzierung des Erwerbs von Immobilien zur Erzielung von Vermietungseinkünften durch die Darlehensnehmer dienten, die Darlehensnehmer volljährig und wirtschaftlich unabhängig waren, die schriftlich fixierten Vereinbarungen tatsächlich gewollt waren und abredegemäß durchgeführt wurden, ist es revisionsrechtlich nicht zu beanstanden, dass das FG bei einer Gesamtwürdigung die Darlehen der Besteuerung zugrunde gelegt hat, obwohl sie nicht besichert waren und keine Regelung über eine Vorfälligkeitsentschädigung vereinbart worden war.

Ausschluss des gesonderten Steuertarifs: Gem. § 32d Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 Buchst. a EStG gilt der gesonderte Steuertarif des § 32d Abs. 1 EStG nicht für Kapitaleinkünfte i.S.d. § 20 Abs. 1 Nr. 7 EStG, wenn Gläubiger und Schuldner der Kapitalerträge einander nahestehende Personen sind. Das BMF hat diesen Ausnahmetatbestand dahingehend eingeschränkt, dass der Abgeltungsteuersatz nur dann ausgeschlossen sein soll, wenn die den Kapitalerträgen entsprechenden Aufwendungen beim Schuldner BA oder WK im Zusammenhang mit Einkünften sind, die der inländischen Besteuerung unterliegen. Dies ist vorliegend der Fall, sodass entscheidungserheblich ist, ob die Kläger als Darlehensgeber und deren Abkömmlinge bzw. Ehepartner als Darlehensnehmer einander nahestehende Personen i.S.d. gesetzlichen Regelung sind.  

Einander nahestehende Personen: Bei diesem Begriff handelt es sich um einen auslegungsbedürftigen unbestimmten Rechtsbegriff, da eine gesetzliche Definition im EStG fehlt. Die gesetzlichen Definitionen in § 1 Abs. 2 AStG und § 138 InsO sind aufgrund des unterschiedlichen Zwecks der Regelungen nicht analog anwendbar (wird ausgeführt). Nach dem Wortsinn fallen unter diesen Begriff alle natürlichen und juristischen Personen, die zueinander in enger Beziehung stehen. Hierzu gehören auch Angehörige i.S.d. § 15 AO, da bei diesem Personenkreis bereits das auf der Verwandtschaft, dem Verlöbnis oder der Eheschließung beruhende Näheverhältnis auf eine enge Bindung schließen lässt.

Engere Auslegung erforderlich: Diese weite Auslegung des gesetzlichen Tatbestands widerspricht jedoch dem Willen des Gesetzgebers. Nach der Gesetzesbegründung zu § 32d Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 Buchst. a EStG soll ein Näheverhältnis nur dann vorliegen, wenn z.B. die Person auf den Stpfl. oder umgekehrt einen beherrschenden Einfluss ausüben kann. Danach ist ein lediglich aus der Familienangehörigkeit oder Ehe abgeleitetes persönliches Interesse nicht ausreichend, um ein Näheverhältnis i.S.d. § 32d Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 Buchst. a EStG zu begründen. Legt man diese engere Auslegung des Begriffs der „nahestehenden Person“ zugrunde, ist der Ausschlusstatbestand in den jeweiligen Fällen nicht erfüllt. Es lag zwischen den Klägern und den Darlehensnehmern kein Beherrschungsverhältnis vor. Selbst wenn man davon ausgeht, dass grundsätzlich jede – also auch eine natürliche – Person beherrscht werden kann, setzt dies voraus, dass der beherrschten Person aufgrund eines absoluten Abhängigkeitsverhältnisses im Wesentlichen kein eigener Entscheidungsspielraum verbleibt. Dies gilt auch für Beziehungen zwischen Eheleuten untereinander und zwischen Eltern und Kindern. Dass dies bei den Klägern und deren wirtschaftlich unabhängigen Abkömmlingen bzw. Ehepartnern der Fall war, ist nicht ersichtlich. Es gibt weder Anhaltspunkte dafür, dass die Kläger und die Darlehensnehmer (Kinder und Enkelkinder bzw. Ehepartner) auf den jeweils anderen einen außerhalb der Geschäftsbeziehung begründeten Einfluss ausübten, noch dass die Vertragsparteien ein eigenes wirtschaftliches Interesse an der Erzielung der Einkünfte des anderen hatten. Eine missbräuchliche Gestaltung zur Ausnutzung des gesonderten Steuertarifs für Kapitaleinkünfte liegt danach nicht vor.

Verfassungsmäßigkeit des gesonderten Steuertarifs: Gegen die Ungleichbehandlung der Kapitaleinkünfte, die nach dem Abgeltungsteuersatz gem. § 32d Abs. 1 EStG besteuert werden, gegenüber anderen Einkunftsarten, die nach dem progressiven ESt-Tarif des § 32a Abs. 1 EStG besteuert werden, bestehen keine verfassungsrechtlichen Bedenken. Der Gesetzgeber ist von Verfassungs wegen nicht gehindert, die ihrer Natur nach nicht einer bestimmten Person zugeordnete und geografisch nicht gebundene Erwerbsgrundlage „Finanzkapital“ dadurch zu erfassen, dass er alle Kapitaleinkünfte an der Quelle besteuert und mit einer Definitivsteuer belastet, die in einem linearen Satz den absetzbaren Aufwand und den Progressionssatz in Durchschnittswerten typisiert (BVerfG v. 27.6.1991 – 2 BvR 1493/89, BVerfGE 84, 239).

Verfassungsrechtlich gebotene einschränkende Auslegung des Ausschlusstatbestands: Diese nach dem Willen des Gesetzgebers erforderliche o.g. Einschränkung des § 32d Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 Buchst. a EStG ist auch aus verfassungsrechtlichen Gründen geboten. Es läge eine mit Art. 6 Abs. 1 GG unvereinbare Diskriminierung der Familie vor, wenn der Ausschluss des gesonderten Steuertarifs für Kapitaleinkünfte nach § 32d Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 Buchst. a EStG ausschließlich an bestimmte enge familienrechtliche Beziehungen i.S.d. § 15 AO geknüpft wäre und – anders als bei fremden Dritten – auch dann eintreten würde, wenn der Darlehensvertrag einem Fremdvergleich standhält (so aber BMF v. 9.10.2012 – IV C 1 - S 2252/10/10013 – DOK 2011/0948384, BStBl. I 2012, 953). Eine solche Benachteiligung von Familienangehörigen wäre sachlich nicht gerechtfertigt. Zwar ist es zulässig, Verträge zwischen Familienangehörigen wegen der grundsätzlich gleichgerichteten Interessen nur dann der Besteuerung zugrunde zu legen, wenn sie dem sog. Fremdvergleich standhalten (zivilrechtlich wirksame, klare und eindeutige Vereinbarung, die inhaltlich wie unter Fremden ausgestaltet ist; tatsächliche Durchführung). Ist dies aber – wie vorliegend – der Fall, ist es verfassungsrechtlich unzulässig, eine missbräuchliche Ausnutzung des Abgeltungsteuersatzes durch Ehegatten und Familienangehörige in jedem Fall unwiderlegbar zu vermuten. Dies gilt auch dann, wenn einzelne Sachverhaltsmerkmale der Darlehensgewährung vom Üblichen abweichen, sodass nicht bereits aufgrund der fehlenden Besicherung und Regelung über eine Vorfälligkeitsentschädigung auf eine missbräuchliche Ausnutzung des Abgeltungsteuersatzes geschlossen werden kann.

Gesamtbelastungsvorteil unerheblich: Eine sachliche Rechtfertigung für den Ausschluss des Abgeltungsteuersatzes für Angehörige i.S.d. § 15 AO ergibt sich auch nicht aus einem Gesamtbelastungsvorteil, der entstehen kann, wenn die steuerliche Entlastung des Darlehensnehmers durch den Schuldzinsenabzug höher ist als die steuerliche Belastung des Darlehensgebers. Eine solche Vorstellung von der Familie als einheitlichem „Bilanzraum“ beruht auf unzutreffenden Voraussetzungen; denn abgesehen von der durch die Regelung der Unterhaltspflichten (§§ 1360 ff. BGB) bedingten „Unterhaltsgemeinschaft“ begründen Ehe und Familie als solche bei der Einkünfteermittlung keine Vermögensgemeinschaft. Das „nahe persönliche Verhältnis“ führt nicht notwendig oder typischerweise zu einer Wirtschaftsgemeinschaft oder einer wirtschaftlichen Abhängigkeit, durch die Familienangehörige in die Rolle unselbstständiger „Strohmänner“ gedrängt würden. Dies gilt auch bei Personen, die nicht unter den Schutz des Art. 6 Abs. 1 GG fallen, sodass Maßstab für die Prüfung der Verfassungsmäßigkeit des Ausschlusses des Abgeltungsteuersatzes der Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1 GG ist. Dieser Vorteil ist keine Tatsachenbasis für die Feststellung, dass eine missbräuchliche Gestaltung zur Ausnutzung der Steuersatzspreizung vorliegt, da die unterschiedliche steuerliche Belastung von Kapitalerträgen im Vergleich zu den mit dem progressiven Steuersatz besteuerten Einkünften im System der mit der Abgeltungsteuer eingeführten Schedule angelegt ist. Zudem wird die ESt vom Grundsatz der Individualbesteuerung beherrscht, sodass eine Gesamtbetrachtung der Steuerbelastung und Steuerentlastung verschiedener Stpfl. i.d.R. allenfalls dann gerechtfertigt sein kann, wenn ein Missbrauchstatbestand erfüllt ist, was hier jedoch nicht der Fall ist.

Kein Beherrschungsverhältnis im Urteilsfall VIII R 35/13: In diesem Sachverhalt gibt es weder Anhaltspunkte dafür, dass zwischen der Klägerin und ihrem Bruder ein Abhängigkeitsverhältnis bestand, noch dass sie auf den jeweils anderen einen außerhalb der Geschäftsbeziehung begründeten Einfluss ausübten, noch dass die Vertragsparteien ein eigenes wirtschaftliches Interesse an der Erzielung der Einkünfte des anderen hatten. Die ratenweise Auszahlung und Stundung des Auseinandersetzungsguthabens im Falle des Ausscheidens eines Gesellschafters war bereits bei der Gründung der KG im Gesellschaftsvertrag geregelt worden. Zu diesem Zeitpunkt waren weder die Klägerin noch deren Bruder an der KG beteiligt, sodass nicht ersichtlich ist, dass sie auf die gesellschaftsvertragliche Verankerung und Ausgestaltung der Stundungsvereinbarung Einfluss nehmen konnten. Eine missbräuchliche Gestaltung zur Ausnutzung des Abgeltungsteuersatzes ist danach auch hier nicht gegeben. 

Beraterhinweis: Der BFH trifft mit diesen drei Urteilen eine wichtige Entscheidung zur Anwendung des gesonderten Steuertarifs von 25 % auf Kapitaleinkünfte. Er legt den Ausschlusstatbestand des § 32d Abs. 2 Nr. 1 Buchst. a EStG, wonach der gesonderte Steuertarif nicht bei Kapitalerträgen gilt, bei denen Gläubiger und Schuldner einander nahestehende Personen sind, einengend dahingehend aus, dass es für die Anwendung dieses Ausschlusstatbestands nicht ausreichend ist, dass Gläubiger und Schuldner Angehörige i.S.d. § 15 AO sind. Dies ist nur dann der Fall, wenn ein Familienangehöriger auf einen anderen einen beherrschenden Einfluss hat, was aber bei Verträgen, die einem Fremdvergleich standhalten, i.d.R. nicht gegeben ist. Im Übrigen steht der steuerlichen Anerkennung von Darlehensverträgen zwischen nahen Angehörigen nicht entgegen, dass keine Vereinbarungen über Vorfälligkeitsentschädigungen bei vorzeitiger Darlehensrückzahlung getroffen bzw. keine dinglichen Sicherheiten vereinbart worden sind.

RD a.D. Michael Marfels, Nordkirchen

Service BFH v. 29.4.2014 – VIII R 9/13; VIII R 44/13; VIII R 35/13

Verlag Dr. Otto Schmidt vom 29.08.2014 11:17

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