Otto Schmidt Verlag


Keine Haftung nach § 71 AO bei Subventionsbetrug

Wer einen Subventionsbetrug begeht oder an einer solchen Tat teilnimmt, haftet nicht nach § 71 AO für die zu Unrecht gewährte Investitionszulage (Änderung der Senatsrechtsprechung). Ein deliktischer Schadensersatzanspruch nach § 823 Abs. 2 BGB, § 830 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 BGB i.V.m. § 264 Abs. 1 Nr. 1, § 27 StGB kann nicht mittels eines Haftungsbescheids nach § 191 Abs. 1 AO geltend gemacht werden.

BFH v. 19.12.2013 – III R 25/10

Der Kläger (K) wurde für eine zu Unrecht gewährte Investitionszulage i.H.v. 520.000 DM gem. § 71 AO wegen Beihilfe zum Subventionsbetrug durch das FA in Anspruch genommen. K hatte für eine nicht existierende GmbH als Lieferantin einen fingierten Liefervertrag mit einer AG abgeschlossen. Diese leistete eine Anzahlung i.H.v. 6,5 Mio. DM, welche entsprechend einer Absprache, sogleich wieder an die AG zurückfloss. Die AG brachte den fingierten Lieferanspruch anschließend im Rahmen einer Sachgründung in eine GmbH ein, der hierfür antragsgemäß eine Investitionszulage gewährt wurde. Zuvor hatte K erklärt, dass er die Zahlung bestätige und mit der Übernahme des Vertrags durch die GmbH einverstanden sei. Das FA meldete nach Eröffnung des Gesamtvollstreckungsverfahrens über das Vermögen der GmbH den Anspruch auf Rückzahlung der Investitionszulage zwar zum Forderungsverzeichnis an. Der Anspruch wurde auch festgestellt. Jedoch erfolgten keine Zahlungen. Nach Einstellung des Gesamtvollstreckungsverfahrens wurde K wegen Beihilfe zum Subventionsbetrug rechtskräftig verurteilt und vom FA nach § 71 AO bezüglich der für die nicht geleistete Anzahlung gewährten Investitionszulage als Haftungsschuldner in Anspruch genommen.

Nach erfolglosem Einspruch und Klage hob der BFH die Vorentscheidung, den Haftungsbescheid sowie die Einspruchsentscheidung auf. Zu Unrecht sei das FG – allerdings im Einklang mit der bisherigen Senatsrechtsprechung – davon ausgegangen, K hafte nach § 7 Abs. 1 InvZulG 1993 i.V.m. § 71 AO. Ebenso wenig könne ein gegebenenfalls vorliegender deliktischer Schadensersatzanspruch nach § 823 Abs. 2, § 830 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 BGB i.V.m. § 264 Abs. 1 Nr. 1, § 27 StGB mittels eines Haftungsbescheids geltend gemacht werden.

Bisherige Rechtsprechung: Nach bisheriger Auffassung des für das Investitionszulagenrecht zuständigen III. Senats des BFH war auf eine Person, die sich als Gehilfe eines Subventionsbetrugs strafbar gemacht hat, die Haftungsnorm des § 71 AO entsprechend anwendbar (BFH v. 27.4.1999 – III R 21/96, BStBl. II 1999,670 zu § 5 Abs. 5 Satz 1 InvZulG 1982 (= § 7 Abs. 1 Satz1 InvZulG 1993)). Die in der Gesetzesverweisung angeordnete entsprechende Anwendung der Steuervergütungsvorschriften sei so zu verstehen, dass der Fall des Subventionsbetrugs im Rahmen der Haftung nach § 71 AO abgabenrechtlich wie ein Fall der Steuerhinterziehung zu behandeln sei, weshalb sich die Frage einer analogen Rechtsanwendung nicht stelle.

Auffassung der Finanzverwaltung: Die Verwaltung hat sich dieser Rechtsprechung angeschlossen (BMF v. 28.6.2001 - IV A 5-InvZ 1271-21/01, BStBl. I 2001, 379, Tz. 188).

Aufgabe der Rechtsprechung: Die in § 7 Abs. 1 Satz 1 InvZulG enthaltene (allgemeine) Verweisung, nach der die für Steuervergütungen geltenden Vorschriften der AO entsprechend anzuwenden sind, erlaubt es nach ihrem Wortsinn nicht, das auf die "Erschleichung" einer Investitionszulage gerichtete Verhalten als eine Steuerhinterziehung i.S.d. § 71 AO zu behandeln. Die Investitionszulage ist keine Steuer i.S.d. § 3 Abs. 1 AO. Der Gesetzgeber hat die Investitionszulage materiell-rechtlich auch nicht als eine Steuervergütung ausgestaltet. Es fehlt - anders als z.B. für das Kindergeld (vgl. § 31 Satz 3 EStG) - eine Norm, welche die Investitionszulage als Steuervergütung qualifiziert. Etwas anderes ergibt sich auch nicht aus der in den Investitionszulagengesetzen enthaltenen Gesetzesverweisung (z.B. § 5 Abs. 5 Satz 1 InvZulG 1982, § 7 Abs. 1 Satz 1 InvZulG 1993). Durch diese Verweisungsnorm wird die Investitionszulage abgabenrechtlich nicht in eine Steuervergütung umqualifiziert, sondern allgemein das Investitionszulageverfahren geregelt (BGH v. 6.6.2007 - 5 StR 127/07, HFR 2007, 1157, zur Eigenheimzulage), weshalb der Gesetzgeber in Anbetracht des in § 1 Abs. 1 Satz 1 AO geregelten Anwendungsbereichs der AO und des Umstands, dass die Investitionszulage gerade keine Steuervergütung ist, in § 7 Abs. 1 Satz 1 InvZulG 1993 folgerichtig nur eine entsprechende Anwendung der Steuervergütungsvorschriften der AO angeordnet hat.

Subventionsbetrug ist keine Steuerhinterziehung: Aufgrund der Verweisung in § 7 Abs. 1 Satz 1 InvZulG 1993 sind zwar auch die Haftungsnormen der §§ 69 ff. AO entsprechend anwendbar. Nach dem Wortsinn des § 71 AO scheitert dessen Anwendung auf die Investitionszulage aber daran, dass das auf die "Erschleichung" einer Investitionszulage gerichtete Verhalten strafrechtlich keine Steuerhinterziehung, sondern ein Betrug (§ 263 StGB) bzw. ein Subventionsbetrug (§ 264 StGB) ist (vgl. BGH v. 7.2.1984 - 1 StR 10/83, HFR 1984, 391). Sie gehört zu den Subventionen i.S.d. § 264 Abs. 7 StGB und nicht zu den Steuern oder Steuervorteilen.

Kein anderes Ergebnis aufgrund § 370 Abs. 4 Satz 2 AO: Nach § 370 Abs. 4 Satz 2 AO sind zwar auch Steuervergütungen Steuervorteile. Die Investitionszulage ist aber materiell-rechtlich gerade keine Steuervergütung. Etwas anderes ergibt sich auch nicht aus § 9 InvZulG 1993, wonach die Vorschriften der AO über die Verfolgung von Steuerstraftaten entsprechend gelten. Hierdurch werden nur die Verfahrensvorschriften der §§ 385 ff. AO, einschließlich der Ermittlungszuständigkeit der Finanzbehörden (vgl. § 386 Abs. 2 AO), für anwendbar erklärt (ebf. BGH v. 6.6.2007 - 5 StR 127/07, HFR 2007, 1157, zur Eigenheimzulage).

Keine Rechtfertigung durch § 7 Abs. 1 Satz 1 InvZulG 1993: Die in § 7 Abs. 1 Satz 1 InvZulG 1993 angeordnete "entsprechende" Anwendung des § 71 AO rechtfertigt es nicht, von dem tatbestandlichen Erfordernis einer Steuerhinterziehung abzusehen oder das auf die "Erschleichung" einer Investitionszulage gerichtete Verhalten als eine Steuerhinterziehung i.S.d. § 71 AO zu behandeln. Es handelt sich zwar um eine Rechtsgrund- und nicht um eine Rechtsfolgenverweisung. Entgegen der bisherigen Rechtsprechung reicht der Subventionsbetrug als Rechtsgrund indes nicht aus. Der Gesetzgeber hat bewusst davon abgesehen, im InvZulG - im Gegensatz zu anderen Zulagen- und Prämiengesetzen - auch eine entsprechende Anwendung des § 370 Abs. 1 bis Abs. 4 AO anzuordnen, weil er die Investitionszulage unter den besonderen strafrechtlichen Schutz des § 264 StGB gestellt hat.

Keine analoge Anwendung des § 71 AO: Eine Analogie setzt voraus, dass sich zum einen eine Gesetzeslücke feststellen lässt, zum anderen, dass sich aus dem Gesetzeswortlaut bzw. Gesamtzusammenhang oder aus den Gesetzesmaterialien eindeutig Rechtsprinzipien ergeben, nach denen diese Lücke zu schließen wäre (BFH v.14.2.2007 - II R 66/05, BStBl. II 2007, 621, m.w.N.). Durch § 9 InvZulG 1993 (bzw. § 5a InvZulG 1977) werden nur die Verfahrensvorschriften der §§ 385 ff. AO, einschließlich der Ermittlungszuständigkeit der Finanzbehörden (vgl. § 386 Abs. 2 AO), für anwendbar erklärt (ebf. BGH v. 6.6.2007 - 5 StR 127/07, HFR 2007, 1157, zur Eigenheimzulage). Hieraus lässt sich aber nicht der Schluss ziehen, dass der Subventionsbetrug abgabenrechtlich wie eine Steuerhinterziehung zu behandeln sei.

Kein anderes Ergebnis aufgrund § 7 Abs. 1 Satz 1 InvZulG 1993: Anders als in dieser Bestimmung hat der Gesetzgeber im EGAO 1977 für andere Zulagen- und Prämien-Gesetze, in denen ebenfalls - wie im InvZulG - die Steuervergütungsvorschriften der AO für entsprechend anwendbar erklärt werden, normiert, dass auch § 370 Abs. 1 bis 4 AO entsprechend gilt (z.B. Art. 5 Nr. 5 und 6 EGAO 1977 zum BerlinFG, Art. 50 Nr. 5 EGAO 1977 zum Wohnungsbau-Prämiengesetz, Art. 83 Nr. 1 und 2 EGAO 1977 zum Dritten Vermögensbildungsgesetz).

Keine Haftung nach § 71 AO aufgrund von zivilrechtlichen Schadensersatzansprüchen: § 191 Abs. 1 AO erfasst nicht nur die Haftung für Steuerschulden, sondern generell die Haftung für Ansprüche aus dem Steuerschuldverhältnis (§ 37 Abs. 1 AO; BFH v. 26.9.2012 - VII R 3/11, BFH/NV 2013, 337, zu § 71 AO; v. 11.11.2008 - VII R 19/08, BStBl. II 2009, 342, zu § 69 AO). Gemäß § 7 Abs. 1 InvZulG 1993 sind die für Steuervergütungen geltenden Vorschriften entsprechend anzuwenden, weshalb auch der Anspruch auf Rückzahlung der Investitionszulage wie ein Anspruch aus dem Steuerschuldverhältnis zu behandeln (vgl. § 37 Abs. 1, Abs. 2 AO) und das Haftungsverfahren nach § 191 AO im Grundsatz auch auf die Investitionszulage anwendbar ist. Jedoch ist der zivilrechtliche Schadensersatzanspruch nach § 823 Abs. 2, § 830 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 BGB i.V.m. § 264 Abs. 1 Nr. 1, § 27 StGB kein gesetzlicher Haftungsanspruch i.S.d. § 191 Abs. 1 AO. Zwar können sich gesetzliche Haftungsansprüche i.S.d. § 191 AO sowohl aus dem Steuer- als auch aus dem Zivilrecht ergeben (ständige Rechtsprechung, z.B. BFH v. 23.10.1985 - VII R 187/82, BStBl. II 1986, 156; v. 9.5.2006 - VII R 50/05, BStBl. II 2007, 600).

Erstmalige Klärung durch den BFH: Die Frage, ob auch zivilrechtliche Schadensersatzansprüche nach § 823 BGB unter § 191 AO fallen, war höchstrichterlich bislang noch nicht entschieden. Das Fachschrifttum ist uneinheitlich. Nach der Auslegung des BGH (BGH v. 1.12.1988 - IX ZR 61/88, BGHZ 106, 134) fallen unter die zivilrechtlichen Haftungsansprüche i.S.d. § 191 AO einerseits gesellschaftsrechtliche u.ä. Bestimmungen und andererseits solche Bestimmungen, die wie § 25 HGB oder § 419 BGB für anderweitig entstandene Steuerschulden, die Einstandspflicht eines Dritten begründen. Maßgeblich ist, dass selbst die abgabenrechtlichen Haftungsnormen, denen nach der Rechtsprechung des BFH Schadensersatzcharakter zukommt, letztlich in ihrer vom Gesetz vorgegebenen abstrakt-generellen Struktur keine Schadensersatznormen sind.

Haftungsnormen mit Schadensersatzcharakter: Abgabenrechtliche Haftungsnormen mit Schadensersatzcharakter sind namentlich die §§ 69 und 71 AO. Insbesondere die Haftung nach § 71 AO und die nach § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. § 264 StGB ähneln sich sehr. In beiden Fällen soll gegenüber demjenigen, der eine vorsätzliche Straftat begangen hat, eine Ersatzmöglichkeit bestehen. Unterschiede bestehen aber in dem gesetzlich - abstrakt-generell - normierten Haftungsumfang. In Fällen des § 71 AO richtet sich der Haftungsumfang danach, inwieweit das strafrechtlich erhebliche Verhalten für den Steuerausfall (BFH v. 26.9.2012 – VII R 3/11, BFH/NV 2013, 337), in Fällen des § 69 AO, inwieweit die Pflichtverletzung für den Steuerausfall ursächlich ist (BFH v. 5.9.1989 - VII R 61/87, BStBl. II 1989, 979). Auf diese steuerliche Haftung können im zivilrechtlichen Schadensersatzrecht anerkannte Aspekte (Grundsatz des Vorteilsausgleichs, Berücksichtigung des Mitverschuldens nach § 254 BGB, eines hypothetischen Kausalverlaufs oder die Lehre vom Schutzzweck der verletzten Norm) nicht uneingeschränkt übertragen werden (vgl. BFH v. 26.9.2012 - VII R 3/11, BFH/NV 2013, 337, m.w.N.; v. 5.6.2007 - VII R 65/05, BStBl. II 2008, 273). Vielmehr entstehen die Haftungsansprüche nach den §§ 69 und 71 AO gem. § 38 AO, wenn deren Tatbestandsmerkmale erfüllt sind (vgl. BFH v. 26.9.2012 - VII R 3/11, BFH/NV 2013, 337). Entscheidend ist, dass der Gesetzgeber die genannten abgabenrechtlichen Haftungsnormen, auch wenn sie Schadensersatzcharakter besitzen, auf der Rechtsfolgenseite abstrakt-generell nicht als Schadensersatzansprüche ausgestaltet hat.

Beraterhinweis: Mit der Besprechungsentscheidung hat der BFH zwei Grundsatzfragen geklärt. Hinsichtlich der nunmehr verneinten Anwendbarkeit des § 71 AO auf einen Subventionsbetrug hat er in weit reichendem Maße seine bisherige gegenteilige Rechtsprechung überzeugend geändert. Soweit der BFH erstmals den Anwendungsbereich des § 191 Abs. 1 AO einschränkend dahin auslegt, dass darunter keine deliktischen Schadensersatzansprüche fallen, hat er damit ebenfalls eine für das abgabenrechtliche Haftungsrecht wichtige, im Schrifttum umstrittene Rechtsfrage verbindlich geklärt. Der BFH merkt an, aufgrund der Sachnähe des FA als der für die Verwaltung der Investitionszulage (§ 7 Abs. 1 InvZulG 1993) und der für die Verfolgung eines hiermit im Zusammenhang stehenden Subventionsbetrugs (§ 9 InvZulG 1993 i.V.m. § 385 ff. AO) zuständigen Behörde möge es zwar zweckmäßig sein, dem FA auch die Möglichkeit des Erlasses eines Haftungsbescheids einzuräumen, dies ändere jedoch an dem gefundenen Ergebnis nichts.

Es bleibt abzuwarten, ob der Gesetzgeber auch für das Investitionszulagenrecht – wie in anderen Zulagen- und Prämiengesetzen – eine entsprechende Anwendung des § 370 Abs. 1 bis Abs. 4 AO in Übereinstimmung mit der bisherigen Rechtsprechung des BFH anordnet, nicht zuletzt auch im Hinblick auf die verlängerte Festsetzungsfrist nach § 169 Abs. 2 Satz 2 AO. 

Richter am BFH a.D. Dieter Steinhauff, München

Service: BFH v. 19.12.2013 – III R 25/10

Verlag Dr. Otto Schmidt vom 30.04.2014 08:54

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