Otto Schmidt Verlag


Erneuter Vorlagebeschluss des BFH wegen Treaty override

Das BVerfG muss in einem weiteren Fall darüber entscheiden, ob eine Vorschrift im Einkommensteuerrecht mit dem Grundgesetz vereinbar ist. Diesmal handelt es sich um § 50d Abs. 10 Satz 1 EStG 2002 und um die Neufassung dieser Vorschrift in § 50d Abs. 10 Satz 3 EStG 2009 i.d.F. des AmtshilfeRLUmsG. Mit Beschluss vom 10.1.2012 (BFH v. 10.1.2012 – I R 66/09, StBW 2012, 500) hatte der BFH das BVerfG bereits um eine Entscheidung zu § 50d Abs. 8 EStG 2002/2004 angerufen. In beiden Fällen hatte der Gesetzgeber Regelungen getroffen, um das nach einem DBA einem anderen Staat zugeordnete Besteuerungsrecht für Einkünfte eines in Deutschland unbeschränkt Steuerpflichtigen wieder nach Deutschland zurückzuholen. Der Grund für diese gesetzliche „Überholung“ der Doppelbesteuerungsabkommen (sog. „treaty overriding“) ist eine nach Auffassung des nationalen Gesetzgebers zu niedrige bzw. fehlende Besteuerung im anderen Abkommensstaat (§ 50d Abs. 8 EStG) bzw. die Durchsetzung des deutschen Betriebsstättenbegriffs unter Einbeziehung von § 15 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 Satz 1 EStG bei § 50d Abs. 10 EStG. Der BFH ist der Auffassung, dass die beiden Fassungen des § 50d Abs. 10 EStG gegen Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 20 Abs. 3 und Art. 25 GG verstoßen. Ebenso sieht er die Anordnung der rückwirkenden Geltung für diese beiden Regelungen als Verstoß gegen das verfassungsrechtliche Rückwirkungsverbot in Art. 20 Abs. 3 GG an. Er hat daher das BVerfG um Entscheidung über die verfassungsrechtliche Wirksamkeit dieser Vorschriften ersucht.

BFH v. 11.12.2013 – I R 4/13

An einer deutschen GmbH & Co. KG war ein atypischer stiller Gesellschafter mit Wohnsitz in Italien beteiligt. Dieser stille Gesellschafter bezog aus der KG in 2000 einen Gewinnanteil von 15.000 DM sowie Zinsen für ein der Gesellschaft gewährtes Darlehen und sein dort geführtes Verrechnungskonto von ca. 719.000 DM. Das FA der KG bezog neben dem Gewinnanteil auch die Zinsen in die einheitliche und gesonderte Gewinnfeststellung ein und besteuerte sie mit dem Gewinnanteil in Deutschland. Hiergegen wandte sich die KG mit der Klage. Sie führte aus, dass nach dem DBA-Italien das Besteuerungsrecht für die Zinsen nicht bei Deutschland liege. Auch ein Quellensteuerabzug war nach ihrer Auffassung gem. § 50d Abs. 10 EStG 2002 n.F. nicht zulässig. Das FG München gab der Klage statt (FG München v. 8.11.2012 - 10K 1984/11, EFG 2013, 455), hiergegen erhob das FA die Revision.
Der BFH sah sich vorerst an einer Entscheidung über die Revision gehindert, da nach seiner Auffassung die vom FA für die Steuerpflicht in Deutschland angeführten Vorschriften in § 50d Abs. 10 EStG 2002 n.F. gegen das GG verstoßen. Er legte diese Frage und die zeitlich rückwirkende Anwendungsregelung in § 52 Abs. 59a Satz 11 EStG dem BVerfG zur Entscheidung vor.
Besteuerungsrecht für Darlehenszinsen steht Deutschland nach DBA-Italien nicht zu: Der BFH stellt zunächst klar, dass ungeachtet der Regelung in § 50d Abs. 10 EStG 2002 n.F. das Besteuerungsrecht für die Zinsen gem. Art. 11 Abs. 1 DBA-Italien bei dem italienischen Staat liegt. Die Zinsen stammen aus Deutschland und wurden einer in Italien ansässigen Person gezahlt, die Voraussetzungen der Zuteilungsnorm sind damit erfüllt. An dieser Besteuerungszuordnung ändert auch § 15 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 Halbs. 2 EStG nichts, obwohl diese Vorschrift die Einkünfte zu den Unternehmensgewinnen nach Art. 7 Abs. 1 DBA-Italien rechnet. Die speziellere Vorschrift nach Art. 11 DBA-Italien hat für die Einkünftezuordnung Vorrang, dies gilt auch gegen nationale abweichende Regelungen. Der BFH verweist für diese Auffassung auch auf Art. 3 Abs. 2 OECD-MA und seine ständige Urteilspraxis, insbesondere auf die Entscheidungen vom 17.10.2007 (BFH v. 17.10.2007 – I R 5/06, FR 2008, 729) und vom 10.8.2006 (BFH v. 10.8.2006 - II R 59/05, BStBl. II 2009, 758), die beide zur Zuordnung von Darlehenszinsen und Darlehensforderungen ergangen sind. Die in Art. 11 Abs. 5 DBA-Italien vorgesehene Rückverweisung wegen des Betriebsstättenvorbehalts kommt hier nicht zur Anwendung. Der atypische stille Gesellschafter hat in Deutschland durch seine Beteiligung an der Personengesellschaft zwar eine Betriebsstätte, die Darlehensforderung gehört aber nicht tatsächlich zur Betriebsstätte. Dies wäre nur möglich, wenn das Darlehen aus Sicht der Betriebsstätte ein Aktivposten wäre. Hierzu verweist der BFH auf sein Urteil vom 17.10.2007 (BFH v. 17.10.2007 – I R 5/06, FR 2008, 729) und die hierzu vertretene Auffassung von Frotscher in IStR 2009, 594.
Regelung in § 50d Abs. 10 EStG 2002 n.F. rechnet Sondervergütungen dem Unternehmensgewinn zu: Die Zurechnung der Sondervergütungen wurde als Reaktion auf die vorgenannte Rechtsprechung mit dem JStG 2009 entgegen dem DBA-Italien in dem neu geschaffenen § 50d Abs. 10 EStG verändert. Danach gelten Vergütungen gem. § 15 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 Satz 1 Halbs. 2 und Nr. 3 Halbs. 2 EStG für Zwecke der Anwendung eines Abkommens als Unternehmensgewinne. Eine Ausnahme von dieser Regelung tritt nur dann ein, wenn das betreffende Abkommen für diese Vergütungen entsprechende Zuteilungsvorschriften enthält. Diese Änderung der Besteuerungszuordnung sollte nach § 52 Abs. 59a Satz 8 EStG 2002 n.F. für alle noch nicht rechtskräftigen Einkommensteuer- und Körperschaftsteuerfälle gelten. In der späteren Gesetzesfassung des EStG sind diese Vorschriften in § 50d Abs. 10 EStG 2009 a.F. und § 52 Abs. 59a Satz 10 EStG 2009 n.F. enthalten.
Da der atypisch stille Gesellschafter Zinseinkünfte von der KG erhalten hat, liegen Sondervergütungen vor, die unter der geänderten Gesetzesfassung fiktiv dem Unternehmensgewinn gem. Art. 7 DBA-Italien zuzurechnen sind. Für diese Gewinne hat Deutschland aber wegen der inländischen Betriebsstätte das Besteuerungsrecht. Das FA hat die Besteuerung der Zinseinkünfte demnach zutreffend entsprechend der nationalen Gesetzgebung vorgenommen.
Zuordnung der Sondervergütungen zum Unternehmensgewinn als Verstoß gegen Völkervertragsrecht: Der BFH vertritt die Auffassung, dass die Vorschriften in § 50d Abs. 10 EStG gegen das DBA-Italien und damit gegen das Völkervertragsrecht verstoßen Mit diesen Regelungen wird die Verteilung der Einkünfte zur Besteuerung auf die beiden Staaten entgegen dem Abkommen einseitig aufgehoben.
Dieses Treaty overriding wird nach bisher überwiegender Rechtsauffassung in Deutschland nicht als Verstoß gegen die Verfassung angesehen. Der BFH sieht diese Auffassung aber als falsch an und beurteilt sie als einen Verstoß gegen die Verfassung. Er verweist dazu auch auf die neuere Rechtsprechung des BVerfG und vielfältige Stimmen in der Literatur gegen die bisherige vorherrschende Meinung. Danach muss der Gesetzgeber aufgrund des Rechtsstaatsgebots in Art. 20 Abs. 3 GG das Völkervertragsrecht beachten. Hiervon kann es nur eine Ausnahme geben, wenn dadurch ein Verstoß gegen tragende Verfassungsgrundsätze vermieden werden kann. Als Folge dieser geänderten Rechtsauffassung sieht der BFH in beiden Vorschriften – § 50d Abs. 10 Satz 1 EStG 2002 n.F. und § 50d Abs. 10 Satz 1 EStG 2009 n.F. – einen Völkerrechtsverstoß, der zur Nichtigkeit der Regelungen führt. Für dieses Treaty overriding gibt es auch keinen Rechtfertigungsgrund aus Gründen der Gleichbehandlung von in- und ausländischen Mitunternehmen oder von Einzelunternehmen und Mitunternehmerschaften.
Rückwirkende Anwendung widerspricht dem Rechtsstaatsgebot: Für den Fall, dass das BVerfG die vom BFH angenommene Grundgesetzwidrigkeit der maßgeblichen Zurechnungsnormen nicht als solche beurteilt, hat sich der BFH auch mit der in § 52 Abs. 59a Satz 8 EStG 2002 n.F. und § 52 Abs. 59a Satz 11 EStG 2009 n.F. vorgesehenen Rückwirkung für alle noch nicht bestandskräftigen Fälle befasst. Er sieht in diesen Rückwirkungen einen Verstoß gegen Art. 20 Abs. 3 GG, für das es keinen rechtfertigenden Grund gibt. Eine verfassungsgemäße Auslegung der Gesetztestexte entgegen ihrem Wortlaut kommt nicht in Betracht. Die zeitliche Rückwirkung zum Nachteil der Steuerpflichtigen ist daher ebenfalls nichtig.
Vorlage beim BVerfG erforderlich: Da der BFH in beiden Fällen seine Rechtsprechung nicht auf die nationalen Gesetzesvorschriften stützen kann und will, musste er die Feststellung der Verfassungswidrigkeit gem. Art. 100 Abs. 1 GG i.V.m. § 80 Abs. 2 BVerfGG dem BVerfG zur Entscheidung vorlegen.
Beraterhinweis: Die Vorlagebeschlüsse des BFH können für alle noch nicht rechtskräftigen Fälle der Hinzurechnung von Sondervergütungen an ausländische Gesellschafter als Begründung für Einsprüche oder Anträge auf Änderung dienen. Dies gilt nicht nur für die Anwendung des DBA-Italien, sondern grundsätzlich auch beim Wohnsitz eines Gesellschafters in einem anderen DBA-Staat. Der BFH weist aber ausdrücklich in seiner Urteilsbegründung darauf hin, dass in verschiedenen Abkommen Sonderregelungen für Vergütungen von Mitunternehmerschaften an Gesellschafter enthalten sind. In diesen Fällen ist das Abkommensrecht vorrangig anzuwenden und die nationalen Regelungen in § 50d Abs. 10 EStG kommen gar nicht zur Anwendung. Diese Sonderregelungen bestehen insbesondere in den Abkommen mit Österreich und der Schweiz aber auch darüber hinaus mit weiteren Staaten, mit denen die Abkommen in den letzten Jahren neu verhandelt wurden.
Zum DBA-Türkei ist ein weiterer Fall von Treaty override bei Einkünften aus nichtselbständiger Arbeit beim BVerfG anhängig (Vorlagebeschluss des BFH v. 10.1.2012 – I R 66/09, StBW 2012, 500). Diese Vorlage betrifft die Anwendung des § 50d Abs. 8 EStG.
WP/StB Jürgen Dräger, Hamburg

Verlag Dr. Otto Schmidt vom 19.02.2014 12:53

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