Otto Schmidt Verlag


Umfang einer Rechtsbehelfsbelehrung

Es reicht aus, wenn die Rechtsbehelfsbelehrung hinsichtlich der Formerfordernisse für die Einlegung eines Einspruchs den Wortlaut des § 357 Abs. 1 S. 1 AO wiedergibt.

BFH v. 20.11.2013 – X R 2/12

Das beklagte FA schätzte den gesondert festzustellenden Gewinn des Gewerbetriebs des Klägers (K) für die Streitjahre 2006 und 2007 unter dem Vorbehalt der Nachprüfung. Nachdem K im Dezember 2010 seine Gewinnermittlungen für alle Streitjahre eingereicht hatte, hob das FA mit Bescheiden vom 30.3.2011 die Vorbehalte der Nachprüfung für die Streitjahre 2006 und 2007 auf. Am gleichen Tag erließ das FA einen Feststellungsbescheid für das Streitjahr 2008. Alle drei Bescheide waren mit dem Wortlaut des § 357 Abs. 1 Satz 1 AO entsprechenden Rechtsbehelfsbelehrungen versehen. Daneben enthielten die Bescheide die E-Mail-Adresse des FA. Infolge der bereits am 14.1.2011 ergangenen Aufforderung, Nachweise hinsichtlich der Gewinnermittlungen zu übersenden, bat K am 20.5.2011, die Schätzungen zurückzunehmen. Er habe krankheitsbedingt erst verspätet antworten können. Auf einen Hinweis des FA auf die Möglichkeit der Wiedereinsetzung in den vorigen Stand reagierte K nicht. Das Schreiben des K vom 20.5.2011 wertete das FA als Einsprüche gegen die Bescheide vom 30.3.2011, die es durch Entscheidung vom 26.7.2011 als unzulässig verwarf. Die hiergegen erhobene Klage hatte Erfolg.
Der BFH gab der Revision des FA statt und wies die Klage nach Aufhebung des erstinstanzlichen Urteils als unbegründet ab. Die Rechtsbehelfsbelehrungen der Bescheide vom 30.3.2011 seien nicht unvollständig, weil sie nicht auf die Möglichkeit der Einlegung eines Einspruchs per E-Mail hinwiesen. Das als Einspruch zu wertende Schreiben des K vom 20.5.2011 wahre indes nicht die einmonatige Einspruchsfrist. Eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand sei nicht zu gewähren. Die Jahresfrist des § 356 Abs. 2 AO sei nicht anwendbar, da die Rechtsbehelfsbelehrungen richtig und vollständig seien.
Auslegung als Einspruch: Auch außerprozessuale Verfahrenserklärungen sind entsprechend § 133 BGB auszulegen. Das Begehren des K im Schreiben vom 20.5.2011, die Schätzungen zurückzunehmen, ist als Einspruch (§ 350 AO) anzusehen, der schriftlich und damit formgerecht i.S.d. § 357 Abs. 1 Satz 1 AO eingelegt worden ist.
Keine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand: Der Einspruch war indes nicht innerhalb der Monatsfrist gem. § 355 Abs. 1 Satz 1 AO eingelegt worden. Eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gem. § 110 Abs. 1 Satz 1 AO war - auch von Amts wegen - nicht zu gewähren, da K Tatsachen zur Begründung eines solchen Antrags trotz eines Hinweises des FA nicht dargelegt hatte. Die bloße Erwähnung einer Krankheit im Einspruchsschreiben zwang das FA nicht zu einer Prüfung der Wiedereinsetzung von Amts wegen. Krankheit vermag nur ausnahmsweise eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand begründen. Ein Nachschieben von Wiedereinsetzungsgründen nach Ablauf dieser Antragsfrist ist unzulässig (BFH v. 26.2.2004 – VI B 101/01). Lediglich die Glaubhaftmachung der schlüssig dargelegten Gründe darf noch – spätestens – im Klageverfahren erfolgen (§ 110 Abs. 2 Satz 2 AO). Für Amtsermittlungen ist in einem solchen Verfahren grundsätzlich kein Raum (BFH v. 23.1.2008 – I B 101/07, BFH/NV 2008, 1290).
Keine Verlängerung der Einspruchsfrist: Die Einspruchsfrist war nicht gem. § 356 Abs. 2 Satz 1 AO auf ein Jahr seit Bekanntgabe der Bescheide verlängert worden, da die Rechtsbehelfsbelehrungen der Bescheide vom 30.3.2011 vollständig und richtig erteilt worden sind. Hinsichtlich der Anforderungen an die Form der Einspruchseinlegung reicht es insoweit aus, dass die Rechtsbehelfsbelehrungen den Wortlaut des § 357 Abs. 1 Satz 1 AO wiedergeben.
Der BFH hat bereits mehrfach entschieden, dass die Rechtsbehelfsbelehrung auch dann noch vollständig und richtig ist, wenn sie hinsichtlich der Form der Einlegung des Rechtsbehelfs nur den Wortlaut des Gesetzes wiederholt, und zwar auch in Bezug auf die Einlegung des Rechtsbehelfs per E-Mail. Der X. Senat des BFH knüpft hierbei an seine Entscheidung vom 7.3.2006 (BFH v. 7.3.2006 - X R 18/05, AO-StB 2006, 136) an und schließt sich der Rechtsprechung des III. und I. Senats des BFH an.
Zum notwendigen Inhalt der Rechtsbehelfsbelehrung: Die Rechtsbehelfsbelehrung muss dem verfassungsrechtlichen Anspruch auf wirkungsvollen Rechtsschutz (Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 20 Abs. 3 GG; Art. 19 Abs. 4 GG) Rechnung tragen. Sie soll aber auch so einfach und klar wie möglich sein (BFH v. 7.3.2006 – X R 18/05, AO-StB 2006, 136). Unrichtig ist eine Belehrung daher erst dann, wenn sie in wesentlichen Aussagen unzutreffend oder derart unvollständig oder missverständlich gefasst ist, dass hierdurch - bei objektiver Betrachtung - die Möglichkeit zur Fristwahrung gefährdet erscheint (BFH v. 9.11.2009 – IV B 54/09, BFH/NV 2010,448, m.w.N.).
Allerdings muss eine Rechtsbehelfsbelehrung auch Angaben, die nicht zwingend vorgeschrieben sind, richtig, vollständig und unmissverständlich darstellen (BFH v. 21.6.2007 – III R 70/06, BFH/NV 2007,2064, m.w.N.).
Beraterhinweis: Bislang hatte der BFH nur im Rahmen von Nichtzulassungsbeschwerden (BFH v. 2.2.2010 – III B 20/09, BFH/NV 2010,830; v. 12.10.2012 – III B 66/12, BFH/NV 2013,177) sowie in einem Verfahren wegen Aussetzung der Vollziehung (BFH v. 24.3.1999 – I B 113/98, BFH/NV 1999, 1314) entschieden. Durch die Entscheidungen in diesen Verfahren wird das Gericht indes in der Hauptsache, auch wenn bereits in diesen Verfahren eine gründliche Sach- und Rechtsprüfung vorgenommen worden ist, rechtlich nicht gebunden.
Der X. Senat des BFH hätte somit im Rahmen der bei ihm anhängigen Revisionsverfahren (X R 2/12 und X R 42/12), ohne Divergenzanfragen an den I. und III. Senat des BFH (§ 11 Abs. 3 Satz 1 FGO), über die Rechtsfrage sachlich noch abweichend entscheiden dürfen.
Der X. Senat des BFH hat in Anknüpfung an sein Urteil vom 7.3.2006 (BFH v. 7.3.2006 - X R 18/05, AO-StB 2006, 136) indes keine Veranlassung gesehen, bei Angaben in der Rechtsbehelfsbelehrung, die nicht Pflichtangaben nach § 356 Abs. 1 AO sind, höhere Anforderungen an die Detailliertheit der Rechtsbehelfsbelehrung zu stellen als bei solchen Angaben, die notwendiges Element der Rechtsbehelfsbelehrung sind. So betrifft die Frist eine Pflichtangabe. Reicht es aber bezüglich der - im Einzelfall sehr komplizierten - Berechnung der Frist aus, den Wortlaut der einschlägigen Bestimmung wiederzugeben, so muss dies erst recht gelten, wenn Angaben zur Form gemacht werden, die schon dem Grunde nach nicht zwingender Bestandteil der Rechtsbehelfsbelehrung sind. Ein weiteres Revisionsverfahren ist beim VI. Senat des BFH unter dem Az. VI R 65/13 anhängig.
Die Verfahrenslage hat sich durch das Gesetz zur Förderung der elektronischen Verwaltung sowie zur Änderung weiterer Vorschriften vom 25.7.2013 (BGBl. I, 2013, 2749) insoweit geändert, als durch Art. 7 Nr. 4 des Gesetzes mit Wirkung vom 26.7.2013 (Art. 31 Abs. 1) in § 357 Abs. 1 Satz 1 AO nach dem Wort „schriftlich“ die Wörter „oder elektronisch“ eingefügt worden sind. Damit muss künftig auch eine den Wortlaut des Gesetzes entsprechende ordnungsgemäße Rechtsbehelfsbelehrung die Möglichkeit einer elektronischen Einlegung des Einspruchs i.S.d. § 87a AO enthalten. Zugleich hat der Gesetzgeber damit den im AEAO zu § 357 Nr. 1 Satz 2 schon bisher gebilligten Verzicht auf die Beifügung einer qualifizierten elektronischen Signatur nach dem Signaturgesetz (vgl. § 87a Abs. 3 Satz 2 AO) bestätigt (Begründung in BT-Drucks. 17/11473, S. 52 zu Art. 7 Nr. 4 a).
Die erforderliche Zugangseröffnung nach § 87a Abs. 1 Satz 1 AO erfolgt konkludent durch die Angabe der E-Mail-Adresse durch das FA (AEAO zu § 87a Nr. 1 Abs. 1).
Richter am BFH a.D. Dieter Steinhauff, München

Verlag Dr. Otto Schmidt vom 22.01.2014 16:21

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