Otto Schmidt Verlag


Festsetzungsverjährung bei leichtfertig unrichtiger Gewinnermittlung durch steuerlichen Berater

Die Voraussetzungen für eine Verlängerung der Festsetzungsfrist nach § 169 Abs. 2 Satz 2 AO sind nicht erfüllt, wenn der Steuerberater bei der Erstellung der Einkommensteuererklärung den Gewinn leichtfertig fehlerhaft ermittelt, da der Steuerberater mangels eigener Angaben gegenüber dem FA nicht Täter einer leichtfertigen Steuerverkürzung ist. Der Steuerpflichtige darf i.d.R. auf die richtige und vollständige Vorbereitung der Steuererklärung durch den Steuerberater vertrauen, wenn er diesem die erforderlichen Informationen vollständig verschafft hat. Er ist grundsätzlich nicht verpflichtet, die vom Steuerberater vorbereitete Steuererklärung in allen Einzelheiten nachzuprüfen. Dessen leichtfertiges Handeln kann weder nach straf- oder bußgeldrechtlichen noch nach steuerrechtlichen Grundsätzen dem Steuerpflichtigen zugerechnet werden.

BFH v. 29.10.2013 - VIII R 27/10

Der Kläger (K) ist selbständig tätiger Arzt und war als Gesellschafter einer Laborgemeinschaft an deren Verlust des Jahres 1996 lt. Mitteilung der Gemeinschaft mit 12.000 DM beteiligt, die lt. deren Information in der Anlage GSE zur Einkommensteuererklärung 1996 geltend gemacht werden sollten, was auch geschah. Zudem wurde dieser Betrag in der durch den Steuerberater erstellten und im Jahre 1998 abgegebenen Steuererklärung und Gewinnermittlung (Überschussrechnung) des K als Betriebsausgabe berücksichtigt. K wurde erklärungsgemäß veranlagt. Die doppelte Berücksichtigung des Verlustes wurde anlässlich einer im Mai 2003 angeordneten (erweiterten) Außenprüfung festgestellt, was im Oktober 2006 zu einem gem. § 173 Abs. 1 Nr. 1 AO geänderten Einkommensteuerbescheid 1996 führte, in dem der Gewinn durch Streichung der BA erhöht wurde. Die Klage gegen die steuererhöhende Änderung wurde abgewiesen.

Der BFH gab der Revision des K statt und hob den geänderten Einkommensteuerbescheid 1996 wegen Ablaufs der Festsetzungsfrist auf.

Berechnung der Festsetzungsfrist: Nach § 170 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 AO beginnt die Festsetzungsfrist, wenn eine Steuererklärung einzureichen ist, mit Ablauf des Kalenderjahrs, in dem die Steuererklärung eingereicht wird. Die Festsetzungsfrist beträgt für die Einkommensteuer vier Jahre (§ 169 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 AO). Bei Steuerhinterziehung verlängert sie sich auf zehn Jahre, bei leichtfertiger Steuerverkürzung auf fünf Jahre (§ 169 Abs. 2 Satz 2 AO).

Im Streitfall begann die Festsetzungsfrist für die Einkommensteuer 1996 gem. § 170 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 AO mit Ablauf des Jahres 1998 (Abgabe der Erklärung) und endete am 31.12.2002, sodass durch die erweiterte Prüfungsanordnung vom Mai 2003 der Ablauf der Festsetzungsfrist nicht nach § 171 Abs. 4 AO gehemmt werden konnte. Die Rechtmäßigkeit des Einkommensteuerbescheids hängt somit davon ab, ob zumindest eine leichtfertige Steuerverkürzung gem. § 378 AO vorlag, da nur in diesem Fall die Prüfungsanordnung vor Eintritt der Festsetzungsverjährung ergangen wäre.

Keine leichtfertige Steuerverkürzung durch Steuerberater: Zu Unrecht ist das FG davon ausgegangen, dass der Steuerberater den objektiven Tatbestand des § 378 Abs. 1 Satz 1 AO i.V.m. § 370 Abs. 1 AO erfüllt hat. Ob eine Steuerhinterziehung oder leichtfertige Steuerverkürzung vorliegt, bestimmt sich nach den §§ 370, 378 AO. Hängt die Rechtmäßigkeit eines Steuerbescheids von der Verlängerung der Festsetzungsfrist auf fünf Jahre und somit vom Vorliegen einer leichtfertigen Steuerverkürzung ab, müssen zur Rechtmäßigkeit des Bescheids die objektiven und subjektiven Tatbestandsmerkmale des § 378 AO erfüllt sein, so dass die im Steuerrecht vorkommenden Begriffe des Straf- bzw. Ordnungswidrigkeitenrechts materiell-rechtlich wie im Strafrecht zu beurteilen sind. Hierbei ist die Frage der Tatbestandserfüllung als strafrechtliche Vorfrage nicht nach der StPO, sondern nach den Normen der AO und FGO zu prüfen.

Begriff der leichtfertigen Steuerverkürzung: Nach § 378 Abs. 1 Satz 1 AO handelt ordnungswidrig, wer als Steuerpflichtiger oder bei Wahrnehmung der Angelegenheiten eines Steuerpflichtigen eine der in § 370 Abs. 1 AO bezeichneten Taten leichtfertig begeht. Danach kann der Steuerberater nur dann eine Ordnungswidrigkeit begehen, wenn er den objektiven Tatbestand des § 370 Abs. 1 AO erfüllt.

Der Tatbestand der Hinterziehung ist in § 370 AO (anders als in der RAO) eindeutig umschrieben. § 370 AO legt eindeutig fest, welche Handlung oder Unterlassung vorliegen muss, damit der Erfolg der Tat, u.a. die Verkürzung von Steuern, tatbestandsmäßig verwirklicht wird. Die Tathandlung besteht u.a. darin, dass dem FA über steuerlich erhebliche Tatsachen unrichtige oder unvollständige Angaben gemacht werden. Durch die Formulierung „für sich oder einen anderen“ wird klargestellt, dass die Steuerhinterziehung auch von einem anderen als dem Steuerpflichtigen begangen werden kann.

Steuerberater kein Täter der Steuerverkürzung: Der Tatbestand des § 370 Abs. 1 Nr. 1 AO setzt voraus, dass der Täter dem FA gegenüber über steuerlich erhebliche Tatsachen unrichtige Angaben macht. Bei der maßgebenden engen Auslegung des Tatbestands begeht der Steuerberater keine Ordnungswidrigkeit nach § 378 AO, wenn er die Steuererklärung seines Mandanten lediglich vorbereitet und diese vom Steuerpflichtigen unterzeichnet und eingereicht wird, weil es an eigenen Angaben des Steuerberaters gegenüber dem FA fehlt. Durch die Einreichung der vom Steuerpflichtigen unterzeichneten Steuererklärung hat nicht der Steuerberater, sondern der Steuerpflichtige entsprechend seiner steuerrechtlichen Verpflichtung Angaben gegenüber dem FA gemacht. Es ist seine Erklärung, für die er mit seiner Unterschrift die Verantwortung übernommen hat, nicht die des Steuerberaters. Dies gilt selbst im Falle eines sog. Mitwirkungsvermerks des Steuerberaters, weil sich die Mitwirkung bei der Anfertigung der Steuererklärung auf die Vorbereitung der Steuererklärung beschränkt und eine vom Steuerberater gegenüber seinem Mandanten geschuldete und erbrachte Leistung darstellt. Der eine andere Auffassung vertretende IV. Senat des BFH hat der Abweichung von seiner Rechtsprechung zugestimmt.

Keine Verkürzung durch Unterlassen: Der Steuerbe-rater hat das FA auch nicht über steuerlich erhebliche Tatsachen in Unkenntnis gelassen, da er nicht erkannt hat, dass die Laboraufwendungen doppelt steuerlich geltend gemacht wurden.

Keine mittelbare Täterschaft: Der Steuerberater hat eine leichtfertige Steuerverkürzung nach § 378 AO i.V.m. § 370 Abs. 1 Nr. 1 AO auch nicht in mittelbarer Täterschaft begangen. Bei Ordnungswidrigkeiten gilt der Einheitstäterbegriff nach § 14 OWiG. Beteiligen sich mehrere an einer Ordnungswidrigkeit, so handelt jeder von ihnen ordnungswidrig. Eine Beteiligung an der Ordnungswidrigkeit eines anderen setzt nach der Rechtsprechung des BGH voraus, dass der andere vor-sätzlich handelt. Dies ist vorliegend nicht der Fall, da für ein vorsätzliches Handeln des Klägers, der selbst dem FA unrichtige Angaben gemacht und dadurch Steuern verkürzt hat, keine Anhaltspunkte bestehen. Eine mittelbare Täterschaft des Steuerberaters scheidet danach aus.

Keine Anwendung des § 9 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 OWiG: Eine bußgeldrechtliche Verantwortung des Steuerberaters ergibt sich auch nicht aus § 9 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 OWiG, wonach eine Ordnungswidrigkeit auch der begehen kann, der von dem Inhaber eines Betriebs ausdrücklich beauftragt wird, in eigener Verantwortung die dem Betriebsinhaber obliegenden Aufgaben wahrzunehmen und er aufgrund dieses Auftrags handelt. Der Normadressat, dem die Bußgelddrohung ursprünglich gilt, muss durch besondere persönliche Merkmale gekennzeichnet sein. Im vorliegenden Fall ist der Umstand, dass der Kläger die Steuererklärung unterschreibt und beim FA einreicht, kein persönliches Merkmal, sondern eine die Ordnungswidrigkeit begründende Handlung (unrichtige Angaben), sodass der Tatbestand des § 9 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 OWiG nicht erfüllt ist. Zudem fehlt es an der ausdrücklichen Beauftragung, wenn der Steuerberater lediglich mit der Gewinnermittlung und Vorbereitung der Steuererklärung beauftragt ist und lediglich im Innenverhältnis tätig wird.

Keine Steuerhinterziehung durch „Dritten“: Zwar greift die verlängerte Festsetzungsfrist auch dann ein, wenn nicht der Steuerschuldner selbst, sondern ein Dritter die Steuer hinterzogen oder leichtfertig verkürzt hat. Aus dem Wortlaut des § 169 Abs. 2 Satz 2 AO „Steuer hinterzogen“, § 169 Abs. 2 Satz 3 AO „begangen“ und § 378 Abs. 1 AO „begeht“ ergibt sich jedoch, dass eine Verlängerung der Festsetzungsfrist nur eintritt, wenn die dritte Person den objektiven und subjektiven Tatbestand einer der in § 370 Abs. 1 AO bezeichneten Taten erfüllt. Da im vorliegenden Fall weder der Steuerberater noch dessen Steuerfachangestellte den objektiven Tatbestand des § 370 Abs. 1 Nr. 1 AO erfüllt haben, sind die Voraussetzungen für eine Verlängerung der Festsetzungsfrist insoweit nicht erfüllt.

Keine Steuerverkürzung durch K: Auch das Handeln des K selbst führt nicht zu einer Verlängerung der Festsetzungsfrist. Zwar hat er den objektiven Tatbestand des § 370 Abs. 1 Nr. 1 AO erfüllt, da er dem FA in Bezug auf seine Laboraufwendungen falsche Angaben gemacht und dadurch Steuern verkürzt hat. Jedoch hat er auf der Basis der Feststellungen des FG nicht leichtfertig gehandelt. Zwar ist der Steuerpflichtige verpflichtet, die von seinem steuerlichen Berater vorbereitete Erklärung darauf zu überprüfen, ob sie alle Angaben tatsächlicher Art enthält. Dies gilt auch bei der leichtfertigen Steuerverkürzung. Er darf jedoch i.d.R. darauf vertrauen, dass der Steuerberater die Steuererklärung richtig und vollständig vorbereitet, wenn er diesem die für die Erstellung der Steuerklärung erforderlichen Informationen vollständig verschafft hat. Er ist grundsätzlich nicht verpflichtet, die vorbereitete Steuererklärung in allen Einzelheiten nachzuprüfen. Dies ist im Streitfall geschehen, da er dem Steuerberater auch die Information der Laborgemeinschaft (Eintragung des Verlustes in der Anlage GSE; Hinweis, dass Zahlung an die Gemeinschaft erfolgsneutral zu behandeln seien) übermittelt hatte. Die Erfassung der Zahlungen auch in der Überschussrechnung war auf den ersten Blick nicht zu erkennen, so dass dem K auch bei gewissenhafter und ihm zumutbarer Prüfung nicht erkennbar war, dass die von ihm unterschriebene Erklärung unrichtig war. Denn hierzu hätte er die Erfassung der Einnahmen und Aus-gaben im Einzelnen nachprüfen müssen.

Keine Zurechnung des leichtfertigen Handelns des Steuerberaters: Dem K kann das hier nach den nicht zu beanstandenden Feststellungen des FG vorliegende leichtfertige Handeln des Steuerberaters weder nach straf- oder bußgeldrechtlichen noch nach steuerrechtlichen Grundsätzen zugerechnet werden. Die Frage, ob eine leichtfertige Steuerverkürzung vorliegt, beantwortet sich allein nach den persönlichen Fähigkeiten des Täters. Der Schuldvorwurf ist danach rein subjektiv geprägt und nicht übertragbar. Folglich scheidet eine Zurechnung des Verschuldens des Steuerberaters nach dem Straf- und Ordnungswidrigkeitenrecht aus.

Das leichtfertige Handeln des Steuerberaters kann dem K auch nicht nach steuerrechtlichen Grundsätzen zugerechnet werden, da bei der Anwendung des § 169 Abs. 2 Satz 2 AO die Frage, ob der subjektive Tatbestand des § 378 AO erfüllt ist, allein nach den materiell-rechtlichen Bestimmungen des Straf- und Ordnungswidrigkeitenrechts zu entscheiden ist. Steuerrechtlich zugerechnet werden kann ein Verschulden nur dann, wenn es sich auf eine Norm des Steuerrechts, wie z.B. § 173 Abs. 1 Nr. 2 AO oder § 110 Abs. 1 Satz 2 AO, § 152 Abs. 1 Satz 3 AO bezieht, nicht jedoch, wenn das Verschulden Voraussetzung für die Erfüllung des subjektiven Tatbestands einer Straftat oder Ordnungswidrigkeit ist.

Beraterhinweis: Aus dem Urteil ergibt sich in Abweichung von bisher anderslautender Rechtsprechung des BFH, dass ein leichtfertiges Handeln des Steuerberaters bei der Erstellung einer Steuererklärung weder strafrechtlich noch steuerlich dem Steuerpflichtigen zugerechnet werden kann. Der Steuerberater kann auch nicht Täter einer leichtfertigen Steuerverkürzung sein, wenn er bei der Erstellung der Erklärung für einen Mandanten leichtfertig handelt. Folglich greift in diesen Fällen nicht die verlängerte Festsetzungsfrist.

RD a.D. Michael Marfels, Nordkirchen

Service: BFH v. 29.10.2013 - VIII R 27/10

Verlag Dr. Otto Schmidt vom 07.01.2014 16:45

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