Otto Schmidt Verlag


Regelmäßige Arbeitsstätte bei unbefristeter / befristeter Versetzung

Bei einer absehbaren Verweildauer von vier Jahren an einer betrieblichen Einrichtung des Arbeitgebers nach einer unbefristeten Versetzung ist eine auf Dauer und Nachhaltigkeit angelegte regelmäßige Arbeitsstätte anzunehmen. Ein Arbeitnehmer (Beamter), der von seinem Arbeitgeber für drei Jahre an eine andere als seine bisherige Tätigkeitsstätte abgeordnet oder versetzt wird, begründet dort keine regelmäßige Arbeitsstätte i.S.d. § 9 Abs. 1 Satz 3 Nr. 4 EStG.

BFH v. 8.8.2013 - VI R 59/12
BFH v. 8.8.2013 - VI R 72/12

Im ersten Urteilsfall (VI R 59/12) ist streitig, ob bei einer zeitlich unbefristeten Versetzung an eine Einrichtung des Arbeitgebers diese zur regelmäßigen Arbeitsstätte wird, wenn eine Rückversetzung zur bisherigen Einrichtung lediglich in Aussicht gestellt ist.
Der Kläger (K1) in diesem Verfahren war als Polizeibeamter in NRW bei der Kreispolizeibehörde I tätig. Ab 1.10.2000 wurde er als Fachlehrer zum Polizeiausbildungsinstitut in H versetzt, und zwar voraussichtlich bis zum 1.10.2004. Diese Versetzung wurde mehrfach verlängert unter Zuweisung jeweils neuer Aufgaben bei der genannten Ausbildungsstätte, zuletzt Ende März 2009 bis 31.8.2013. Als jeweils anschließende Wunschbehörde von K1 wurde bei den einzelnen Versetzungsverfügungen seine ursprüngliche Dienststelle, die Kreispolizeibehörde in I angegeben. Nach dem Willen des Dienstherrn soll das in der Aus- und Fortbildung eingesetzte Polizeipersonal infolge der erforderlichen Rotation grundsätzlich nur vier Jahre an dem Ausbildungsinstitut tätig sein, ggf. mit einer Verlängerung um zwei Jahre. Anschließend sollen die Dozenten wieder unter Berücksichtigung der jeweiligen "Wunschbehörde" versetzt werden. Das FA sah in dem Polizeiausbildungsinstitut im Streitjahr 2008 die regelmäßige Arbeitsstätte des K1 und begrenzte den Werbungskosten-Abzug für die Wege von der Wohnung dorthin auf die Entfernungspauschale. Einspruch und Klage blieben erfolglos.
Der BFH wies die Revision des K1 als unbegründet zurück.
Entfernungspauschale und Begriff der regelmäßigen Arbeitsstätte: Aufwendungen des Arbeitnehmers für die Wege zwischen Wohnung und regelmäßiger Arbeitsstätte sind gem. § 9 Abs. 1 Satz 3 Nr. 4 EStG nur mit der dort genannten Entfernungspauschalen als Werbungskosten abziehbar. Regelmäßige Arbeitsstätte ist nach der Rechtsprechung des BFH jede ortsfeste dauerhafte betriebliche Einrichtung des Arbeitgebers, der der Arbeitnehmer zugeordnet ist und die er nicht nur gelegentlich, sondern mit einer gewissen Nachhaltigkeit, d.h. fortdauernd und immer wieder aufsucht; dies ist regelmäßig der Betrieb oder Zweigbetrieb des Arbeitgebers. Die Entfernungspauschale, die geringer ist als die tatsächlichen Kosten, findet ihre Rechtfertigung darin, dass sich der Arbeitnehmer bei einer regelmäßigen Arbeitsstätte in unterschiedlicher Weise auf die immer gleichen Wege einstellen und so auf eine Minderung der Wegekosten hinwirken kann.
Tatsächliche Kosten bei fehlender regelmäßiger Arbeitsstätte: Liegt dagegen keine solche regelmäßige Arbeitsstätte vor, auf die sich der Arbeitnehmer einstellen kann, ist eine Durchbrechung der Abziehbarkeit beruflich veranlasster Mobilitätskosten gem. § 9 Abs. 1 Satz 1 EStG sachlich nicht gerechtfertigt, z.B. insbesondere bei Auswärtstätigkeiten, da dann der Arbeitnehmer typischerweise nicht die Möglichkeiten hat, seine Wegekosten gering zu halten, insbesondere scheidet ein Familienumzug an die Tätigkeitsstätte aus.
Vorübergehende Auswärtstätigkeit: Eine solche liegt u.a. vor, wenn der Arbeitnehmer vorübergehend außerhalb seiner Wohnung und seiner regelmäßigen Arbeitsstätte (§ 9 Abs. 1 Satz 3 Nr. 4 EStG) beruflich tätig wird; dies gilt auch bei einer vorübergehend längerfristigen Berufstätigkeit an einer anderen betrieblichen Einrichtung des Arbeitgebers. Denn eine vorübergehende Tätigkeitsstätte wird nicht durch bloßen Zeitablauf zum Tätigkeitsmittelpunkt bzw. zur regelmäßigen Arbeitsstätte des Arbeitnehmers. Vielmehr wird eine betriebliche Einrichtung des Arbeitgebers nur dann zur regelmäßigen Arbeitsstätte, wenn der Arbeitgeber seinen Arbeitnehmer dieser Tätigkeitsstätte dauerhaft zugeordnet hat.
Ob der Arbeitnehmer lediglich   unter Beibehaltung seiner bisherigen regelmäßigen Arbeitsstätte   "vorübergehend" in einer anderen betrieblichen Einrichtung seines Arbeitgebers tätig wird oder von Anbeginn dauerhaft an den neuen Beschäftigungsort als neue regelmäßige Arbeitsstätte entsandt wurde, ist nach den Einzelfallumständen unter Berücksichtigung der der Auswärtstätigkeit zugrunde liegenden Vereinbarungen zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer zu beurteilen. Entscheidend ist, ob der Arbeitnehmer voraussichtlich an seine regelmäßige Arbeitsstätte zurückkehren und dort seine berufliche Tätigkeit fortsetzen wird. Denn das Gesetz gibt derzeit noch (anders als in dem ab 1.1.2014 geltenden § 9 Abs. 4 EStG n.F.) keine zeitliche Obergrenze für die Annahme einer vorübergehenden Auswärtstätigkeit vor.
Im zweiten Urteilsfall (VI R 72/12) wurde der Kläger (K2) als Finanzbeamter mit Wirkung vom 1.8.1993 vom FA B an die Landesfinanzschule Niedersachsen (LFS) abgeordnet, und zwar “längstens bis zum 31.7.1996 ". Der Abordnung folgte dann eine Versetzung mit Wirkung vom 1.11.1993 an die LFS, die bis zum 31.7.1996 befristet war. Dem folgte dann die Abordnung und gleichzeitige Versetzung von der LFS an das FA B mit Wirkung vom 1.4.1997 für die Dauer von drei Monaten. Der Kläger begehrte vergeblich mit Einspruch und Klage die Anerkennung der Fahrten vom Wohnort zur LFS als Reisekosten.
Der BFH gab der Revision dieses Klägers statt und erkannte die Fahrtkosten als Dienstreisekosten an.
Entscheidung im zweiten Streitfall: Nach Wiederholung der Gründe zum Begriff der regelmäßigen Arbeitsstätte und der auswärtigen Tätigkeit gem. dem o.g. ersten Urteil stellt der BFH fest, dass nach den Feststellungen des FG die Tätigkeit des K2 an der LFS lt. Versetzungsverfügung "nach derzeitigem Stand ... bis zum 31.7.1996 vorgesehen" sei, die Versetzung also zeitlich befristet war, auch wenn nach dem niedersächsischen Beamtenrecht eine Versetzung grundsätzlich auf unbestimmte Zeit erfolgt. Infolge der Befristung der verfügten Versetzung liegt keine regelmäßige Arbeitsstätte i.S.d. § 9 Abs. 1 Satz 3 Nr. 4 EStG vor, so dass Kläger auswärts tätig war.

Beraterhinweis: M.E. enthalten die Entscheidungen des BFH keine Überraschung, sondern entsprechen den bisher gültigen Definitionen der Begriffe „regelmäßige Arbeitsstätte“ und „auswärtige Tätigkeit“. Im ersten Urteil war entscheidend, dass die Versetzung des Polizeibeamten nur „voraussichtlich“ befristet war und der Kläger tatsächlich wesentlich länger an dem Ausbildungsinstitut tätig war, es sich also letztlich um eine unbefristete Versetzung handelte. Im zweiten Urteilsfall war die Versetzung dagegen eindeutig befristet und eine Rückkehr an die bisherige Arbeitsstelle vorgesehen. Zu beachten ist aber die ab dem 1.1.2014 geltende Neuregelung in § 9 Abs. 4 EStG, wonach eine erste Tätigkeitsstätte mit der Folge der Anwendung der Entfernungspauschale bei einer dauerhaften Zuordnung zu einer Arbeitsstelle gegeben ist. Hiervon ist insbesondere auszugehen, wenn der Arbeitnehmer unbefristet, für die Dauer des Dienstverhältnisses oder über einen Zeitraum von 48 Monaten hinaus an einer solchen Tätigkeitsstätte tätig werden soll. Dies bedeutet, dass bei einer über vier Jahre hinausgehenden Versetzung von Anfang an eine regelmäßige Arbeitsstätte (erste Tätigkeitsstätte) vorliegt.
RD a.D. Michael Marfels, Nordkirchen

Verlag Dr. Otto Schmidt vom 04.12.2013 11:45

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