Otto Schmidt Verlag


Verwertungsverbot sog. Zufallserkenntnisse im Besteuerungsverfahren

Aus einer im Rahmen strafrechtlicher Ermittlungen angeordneten Telefonüberwachung gewonnene Erkenntnisse, die sich auf einen nicht in § 100a StPO aufgeführten Straftatbestand beziehen, dürfen von den Finanzbehörden im Besteuerungsverfahren nicht verwendet werden.

BFH v. 24.4.2013 – VII B 202/12

Im Streitfall wurde der vom FG als Zeuge vernommene S im Jahr 2011 vom Amtsgericht wegen gewerbsmäßiger Steuerhehlerei verurteilt, weil er insgesamt 190 Stangen unverzollter und unversteuerter Zigaretten im August und September 2007 an D verkauft hatte. Für die insoweit entstandene Abgabenschuld (Zoll, Tabak- und Einfuhrumsatzsteuer) nahm das beklagte HZA den Kläger gem. § 71 AO als Haftenden mit der Begründung in Anspruch, er habe das Kaufgeschäft vermittelt und damit den Tatbestand der Steuerhehlerei in § 374 Abs. 1 AO erfüllt. Das FG hob den Steuerhaftungsbescheid auf, weil sich eine Beteiligung des Klägers am Verkauf der Zigaretten nicht habe feststellen lassen. Die Protokolle über eine im Jahr 2007 durchgeführte Telefonüberwachung, auf die das HZA seine Annahme der Beteiligung des Klägers stützte, seien nicht verwertbar.
Der BFH wies die Beschwerde wegen Nichtzulassung der Revision des HZA als unbegründet zurück, weil die geltend gemachten Zulassungsgründe nicht vorlägen. Die maßgebenden Rechtsfragen der Verwertung von Erkenntnissen aus einer Telefonüberwachung im Besteuerungsverfahren seien nicht klärungsbedürftig, sondern ließen sich anhand der Vorschriften der AO und der StPO sowie der einschlägigen Rechtsprechung des BGH eindeutig beantworten.
Voraussetzungen nach § 393 Abs. 3 Satz 2 AO: Erkenntnisse, die dem Brief-, Post- und Fernmeldegeheimnis unterliegen, zu denen durch eine Telefonüberwachung gewonnene Erkenntnisse gehören, dürfen nach § 393 Abs. 3 Satz 2 AO von der Finanzbehörde im Besteuerungsverfahren verwendet werden, soweit sie diese entweder rechtmäßig im Rahmen eigener strafrechtlicher Ermittlungen gewonnen hat oder soweit nach den Vorschriften der StPO den Finanzbehörden Auskunft erteilt werden darf. Beide Voraussetzungen sah der BFH im Streitfall nicht als gegeben an.
Keine Erkenntnisse aus eigenen strafrechtlichen Ermittlungen: Soweit das HZA die Erkenntnisse aus den Telefonüberwachungsprotokollen als Beweismittel verwenden wollte, stammten diese nicht aus eigenen strafrechtlichen Ermittlungen, sondern beruhten auf den vom Amtsgericht auf Antrag der Staatsanwaltschaft angeordneten Maßnahmen zur Überwachung der Telekommunikation gem. § 100a Abs. 1 Nr. 2 StPO a.F.
Keine Katalogstraftaten: Nach § 393 Abs. 3 Satz 2 Alt. 2 AO dürfen Erkenntnisse aus den Telefonüberwachungsprotokollen im Besteuerungsverfahren nur dann verwendet werden, soweit den Finanzbehörden nach den Vorschriften der StPO Auskunft erteilt werden darf. Auskünfte aus Strafverfahren an die Finanzbehörden zur Feststellung eines Haftungsanspruchs wegen einer begangenen Steuerhehlerei (§ 71 AO) sind zwar gem. § 474 Abs. 2 Nr. 1 und 2 StPO i.V.m. § 116 AO grundsätzlich zulässig. Sie unterliegen aber den besonderen Voraussetzungen einer Informationsübermittlung gem. § 477 StPO.
§ 477 Abs. 2 Satz 2 StPO steht der Verwertung sog. Zufallserkenntnisse aus einer Telefonüberwachung zu Beweiszwecken entgegen, wenn sich diese Erkenntnisse nicht auf die sog. Katalogtaten des § 100a StPO beziehen. Im Streitfall hätten die aus der Telefonüberwachung gewonnenen Erkenntnisse nicht in einem gegen den Kläger geführten Strafverfahren wegen Steuerhehlerei verwendet werden dürfen, weil dieser Straftatbestand in § 100a StPO nicht aufgeführt ist. Der BFH stellt klar, dass die Verwertung solcher sich nicht auf Katalogstraftaten beziehende Zufallserkenntnisse für Zwecke des Besteuerungsverfahrens keinen geringeren Anforderungen unterliegen. Auch nach der aktuellen Fassung des § 100a Abs. 2 Nr. 2 Buchst. c StPO sind indes Maßnahmen zur Überwachung der Telekommunikation nur beim Verdacht auf Steuerhehlerei gem. § 174 Abs. 2 AO in der qualifizierten Form einer gewerbs- oder bandenmäßigen Begehung zulässig. Das HZA hatte den Steuerhaftungsbescheid hingegen auf den Tatbestand der Steuerhehlerei gem. § 374 Abs. 1 AO gestützt.
Beraterhinweis: Die Entscheidung ist erst nachträglich zur amtlichen Veröffentlichung bestimmt worden. Nach den Dienstanweisungen der Finanzverwaltung sind nur amtlich veröffentlichte BFH-Entscheidungen, die in BStBl. Teil II veröffentlicht werden, von den Finanzbehörden anzuwenden.
§ 393 Abs. 3 AO ist erst durch das JStG 2008 (v. 20.12.2007, BGBl. I 2007, 3150) neu in die AO eingefügt worden. Nach der Rechtsprechung des BFH (BFH v. 26.2.2001 – VII B 265/00, BStBl. II 2001, 464; ebenfalls v. 18.12.2010 – V B 78/09, BFH/NV 2011, 622) unterlagen bis dahin unmittelbar aus einer Telekommunikationsüberwachung in einem Strafverfahren stammende Aufzeichnungen einem Verwertungsverbot, weil die AO weder eine Befugnisnorm für die Beschränkung des Fernmeldegeheimnisses, noch eine Vorschrift enthielt, die die Verwertung derartiger, auf der Grundlage des § 100a StPO gewonnener Aufzeichnungen zuließ. Insoweit hat der Gesetzgeber nunmehr eine entsprechende Befugnisnorm geschaffen.
Nach der Rechtsprechung des BGH (BGH v. 27.11.2008 – 3 StR 342/08, BGHSt 53,64, kritisch dazu Anm. v. Beck, JR 2010, 494) ist auf den Katalog der Straftaten in der aktuellen Fassung des § 100a StPO und – entgegen der Rechtsauffassung des FG – nicht auf die im Jahr der Überwachung (2007) geltende Fassung abzustellen. Der BFH brauchte diese Rechtsfrage indes nicht abschließend zu entscheiden, weil auch nach der aktuellen Fassung des § 100a Abs. 2 Nr. 2 Buchst. c StPO Maßnahmen zur Überwachung der Telekommunikation nur beim Verdacht auf eine Steuerhehlerei in der qualifizierten Form nach § 374 Abs. 2 AO zulässig seien, im Streitfall indes dem Steuerhaftungsbescheid nur der Tatbestand der einfachen Steuerhehlerei gem. § 174 Abs. 1 AO zugrunde lag.
Der BFH hat zutreffend § 477 Abs. 2 Satz 2 StPO auch auf das Besteuerungsverfahren angewandt. Somit dürfen Zufallsfunde, die in keinem Zusammenhang zu einer Katalogtat nach § 100a StPO stehen, gegen den Willen des Betroffenen nicht zu Beweiszwecken im Besteuerungsverfahren herangezogen werden (zust. auch Lübbersmann, PStR 2013, 197). Während im Strafverfahren insoweit nur ein unmittelbares Beweisverwertungsverbot besteht, ist für das Besteuerungsverfahren von einem umfassenden Verwertungsverbot auszugehen (so Lübbersmann, PStR 2013, 197; zweifelnd Jäger in Klein, AO, 11. Aufl., § 393 Rz. 62). Der BFH sah überdies keine Anhaltspunkte dafür, dass eine Informationsübermittlung zu rein präventiven Zwecken gem. § 477 Abs. 2 Satz 3 zulässig ist.
Richter am BFH a.D. Dieter Steinhauff, München

Verlag Dr. Otto Schmidt vom 04.12.2013 09:38

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