Otto Schmidt Verlag


Offenbare Unrichtigkeit bei Nichtberücksichtigung der Umsatzsteuervorauszahlung als Betriebsausgaben

Übersieht das FA bei der Einkommensteuerveranlagung, dass der Steuerpflichtige in seiner vorgelegten Gewinnermittlung die bei der Umsatzsteuererklärung für denselben VZ erklärten und im Umsatzsteuerbescheid erklärungsgemäß berücksichtigten Umsatzsteuerzahlungen nicht als Betriebsausgabe erfasst hat, liegt insoweit eine von Amts wegen zu berichtigende offenbare Unrichtigkeit nach § 129 AO vor.

BFH v. 27.8.2013 – VIII R 9/11

Die Kläger wurden in den Streitjahren 2002 bis 2005 zusammen zur Einkommensteuer veranlagt. Der Ehemann erzielte Einkünfte aus selbständiger Tätigkeit als Ingenieur und ermittelte seinen Gewinn nach § 4 Abs. 3 EStG. In den von ihm selbst erstellten Gewinnermittlungen setzte er jeweils auf der Einnahmeseite die vereinnahmten Bruttoeinnahmen, auf der Aufgabenseite die nach Kostenarten aufgeschlüsselten Ausgaben einschließlich der darin enthaltenen Vorsteuer an. In der Aufstellung waren die an das FA geleisteten Umsatzsteuerzahlungen nicht als Betriebsausgaben enthalten. Das FA veranlagte die Kläger für die Streitjahre auf der Grundlage der erklärten Einkünfte aus selbständiger Arbeit zur Einkommensteuer, ohne den Fehler des Klägers hinsichtlich der geleisteten Umsatzsteuerzahlungen zu bemerken. Nachdem die Einkommensteuerbescheide bestandskräftig geworden waren, beantragte der Kläger die Änderung nach § 129 AO unter Hinweis auf die unberücksichtigten Umsatzsteuerzahlungen. Dies lehnte das FA wegen Bestandskraft der Einkommensteuerbescheide ab. Die Vorinstanz (FG Berlin-Brandenburg v. 8.9.2010 – 14 K 14074/09, StBW 2011, 741) sah die Voraussetzungen des § 129 AO ebenfalls als nicht erfüllt an.
Das Revisionsverfahren hingegen war erfolgreich. Das FG wird aufgrund der Zurückverweisung nunmehr die konkrete Höhe der in den jeweiligen Streitjahren geleisteten Umsatzsteuervorauszahlungen zu ermitteln haben.
Hintergrund: Nach § 129 AO können Schreibfehler, Rechenfehler und ähnliche offenbare Unrichtigkeiten, die beim Erlass eines Verwaltungsakts unterlaufen sind, jederzeit berichtigt werden. Offenbar ist eine Unrichtigkeit dann, wenn der Fehler bei Offenlegung des Sachverhalts für jeden unvoreingenommenen Dritten klar und eindeutig als offenbare Unrichtigkeit erkennbar ist. Offenbare Unrichtigkeiten in diesem Sinne sind mechanische Versehen wie beispielsweise Eingabe- oder Übertragungsfehler. Da die Unrichtigkeit nicht aus dem Bescheid selbst erkennbar sein muss, ist § 129 AO auch dann anwendbar, wenn das FA offenbar fehlerhafte Angaben des Steuerpflichtigen als eigene übernimmt.
Keine Anwendung des § 129 AO: Fehler bei der Auslegung oder Anwendung einer Rechtsnorm, eine unrichtige Tatsachenwürdigung oder die unzutreffende Annahme eines in Wirklichkeit nicht vorliegenden Sachverhalts schließen die Annahme einer offenbaren Unrichtigkeit aus. § 129 AO ist ferner nicht anwendbar, wenn auch nur die ernsthafte Möglichkeit besteht, dass die Nichtbeachtung einer feststehenden Tatsache in einer fehlerhaften Tatsachenwürdigung oder einem sonstigen sachverhaltsbezogenen Denk- oder Überlegungsfehler begründet ist oder auf mangelnder Sachverhaltsaufklärung beruht.
Anwendung auf den entschiedenen Fall: Im Streitfall erschien es dem VIII. Senat aufgrund der Berücksichtigung von Umsatzsteuerzahlungen bei der Umsatzsteuerfestsetzung durch das FA in allen Streitjahren ausgeschlossen, dass die unterbliebene Übernahme der Ausgabenposition "Umsatzsteuerzahlungen" in den Einkommensteuerveranlagungen "auch auf nicht hinreichender Sachaufklärung" beruhen konnte. Letzteres wäre eine rein hypothetische Annahme, die der Feststellung einer offenbaren Unrichtigkeit i.S.d. § 129 AO nicht entgegengehalten werden kann (vgl. BFH v. 14.6.2007 - IX R 2/07, BFH/NV 2007, 2056). Vielmehr ergab sich aus der maßgeblichen Sicht eines objektiven Dritten und damit auch aus der Sicht des FA, dass die - gesamten - umsatzsteuerlich berücksichtigten Umsatzsteuerzahlungen nur aufgrund eines mechanischen Versehens vom Kläger nicht in seinen Einkommensteuererklärungen berücksichtigt worden waren. Beachten Sie: Dafür, dass der zuständige Sachbearbeiter des FA hätte annehmen können, die geleisteten Umsatzsteuerzahlungen seien mit Blick auf § 11 EStG wegen vollständiger Zuordnung zu einem anderen VZ - insgesamt - nicht angesetzt worden, fehlte im Streitfall jeglicher Anhaltspunkt.
Beraterhinweis: Die Umsatzsteuer gilt als regelmäßig wiederkehrende Einnahme/Ausgabe. Dies hat zur Folge, dass die Grundsätze der wirtschaftlichen Zuordnung des § 11 Abs. 1 Satz 2 und Abs. 2 Satz 2 EStG für Umsatzsteuervorauszahlungen innerhalb kurzer Zeit (10-Tage-Zeitraum) anzuwenden sind. Beachten Sie: Ist eine Umsatzsteuervorauszahlung an einem Samstag, Sonntag oder Feiertag fällig, verschiebt sich die Fälligkeit nach § 108 Abs. 3 AO auf den nächsten Werktag. In solchen Fällen kann die Zahlung erst im VZ der tatsächlichen Zahlung als Betriebsausgabe erfasst werden, da die Fälligkeit nicht mehr innerhalb des 10-Tage-Zeitraums liegt (FG Niedersachsen v. 24.2.2013 – 3 K 468/11, Az. des BFH: VIII R 34/12, EFG 2012, 2113).
Dipl.-Finw. Martin Hilbertz, Neuwied

Verlag Dr. Otto Schmidt vom 22.11.2013 11:48

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