Otto Schmidt Verlag


Verlängerter Bezug von Kindergeld

Die für den Bezug von Kindergeld maßgebliche Altersgrenze von 25 Jahren verlängert sich auch dann um die Dauer des vom Kind geleisteten Grundwehr- oder Zivildienstes, wenn auch während der Dauer des Dienstes Kindergeld gezahlt worden ist, weil das Kind zeitgleich für einen Beruf ausgebildet wurde.

BFH v. 5.9.2013 – XI R 12/12

Streitig war, ob ein Kind, das während der Ableistung seines Zivildienstes eine Ausbildung begann und daher kindergeldrechtlich berücksichtigt wurde, im Rahmen des § 32 Abs. 5 Satz 1 Nr. 1 EStG über die Höchstaltersgrenze hinaus berücksichtigt werden kann.
Nach dem Abitur im Juni 2004 leistete der Sohn (S) des Klägers von November 2004 bis Juli 2005 neun Monate Zivildienst. Daneben war S im Wintersemester 2004/2005 von Oktober 2004 bis März 2005 sechs Monate an einer Universität im Fachbereich Mathematik immatrikuliert. Im Oktober 2005 begann S mit dem Studium der Physik. Im April 2010 vollendete S sein 25. Lebensjahr. Der Kläger erhielt für S – auch für die gesamte Zeit des Zivildienstes – bis einschließlich April 2010 Kindergeld. Die Familienkasse hob die Festsetzung des Kindergeldes für den jedenfalls noch bis Ende August 2010 immatrikulierten S ab Mai 2010 auf, weil die Altersgrenze überschritten sei. Die Vorinstanz (FG Köln v. 22.12.2011 – 12 K 3238/10) gab der Klage nur teilweise statt. Das FG war der Ansicht, der Verlängerungszeitraum sei um die tatsächliche Dauer des neben dem Zivildienst betriebenen Studiums (6 Monate) zu kürzen. Für die restliche Dauer des Zivildienstes (3 Monate) verlängere sich dagegen der Bezug des Kindergeldes.
Auf die vom Kläger erhobene Revision hob der BFH die Entscheidung des FG auf und wies die Sache zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung an die Vorinstanz zurück. Nach Ansicht des XI. Senats des BFH ist entgegen der Auffassung der Vorinstanz nicht darauf abzustellen, ob und in welchem Umfang sich durch die Dienstzeit die Ausbildung für einen Beruf im konkreten Fall tatsächlich verzögert hat. Das FG wird im zweiten Rechtsgang u.a. Feststellungen zu den Einkünften und Bezügen des Kindes zu treffen haben.
Hintergrund: Über die Altersgrenze von 25 Lebensjahren hinaus wird ein Kind gem. § 32 Abs. 5 Satz 1 Nr. 1 EStG dann berücksichtigt, wenn es den gesetzlichen Grundwehrdienst oder den Zivildienst geleistet hat. Der Endzeitpunkt für die Gewährung des Kindergeldes wird in diesem Fall um einen der Dauer des geleisteten Dienstes entsprechenden Zeitraum hinausgeschoben. Beachten Sie: Die Frage, ob der Verlängerungszeitraum dann zu begrenzen ist, wenn ein Kind während der Dienstzeit weiterhin berücksichtigt wird, weil es gleichzeitig den Dienst leistet und eine Ausbildung betreibt, hatte der BFH bisher ausdrücklich offen gelassen.
Gesetzliche Typisierung: Nach der gesetzgeberischen Konzeption des § 32 Abs. 5 Satz 1 Nr. 1 EStG ist für die Verlängerung des Kindergeldbezugs nicht darauf abzustellen, ob sich durch die Dienstzeit die Ausbildung für einen Beruf tatsächlich verzögert hat. Hätte der Gesetzgeber den Verlängerungszeitraum auf die Fälle der tatsächlich dienstbedingt eingetretenen Ausbildungsverzögerung beschränken wollen, hätte er eine ausdrückliche Regelung treffen müssen. Beachten Sie: Die Problematik wird sich durch die Abschaffung des gesetzlichen Grundwehr- oder Zivildienstes nur noch für einen beschränkten Zeitraum stellen. Nach § 52 Abs. 40 Satz 10 EStG ist § 32 Abs. 5 EStG letztmals für den VZ 2018 anzuwenden. Voraussetzung hierfür ist, dass das Kind den Dienst oder die Tätigkeit vor dem 1.7.2011 angetreten hat.  
Kein Verstoß gegen Art. 3 Abs. 1 GG: Die sich aus der Entscheidung ergebende Konsequenz, dass Kindergeldberechtigte, deren Kinder Wehr- oder Zivildienst geleistet haben und während der Dienstzeit zugleich für einen Beruf ausgebildet wurden, bevorzugt werden, verstößt nach Ansicht des BFH nicht gegen den Gleichheitsgrundsatz. Demnach halten die Richter eine – auf die Fälle der tatsächlich dienstbedingten Ausbildungsverzögerung einschränkende – verfassungskonforme Auslegung des § 32 Abs. 5 Satz 1 Nr. 1 EStG für nicht geboten. Ebenso verneinten die Richter eine einschränkende Auslegung des § 32 Abs. 5 Satz 1 Nr. 1 EStG im Wege der teleologischen Reduktion.
Beraterhinweis: Als Verlängerungstatbestände sind nicht nur der nach deutschem Recht geleistete Grundwehr- bzw. Zivildienst sowie die Entwicklungsdienste nach dem EhfG oder dem ZDG zu berücksichtigen, sondern auch entsprechende Dienste nach ausländischen Rechtsvorschriften. Eine Berücksichtigung der nach ausländischen Rechtsvorschriften geleisteten Dienste ist jedoch grundsätzlich nur bis zur Dauer des deutschen gesetzlichen Grundwehr- oder Zivildienstes möglich.
Dipl.-Finw. Martin Hilbertz, Neuwied

Verlag Dr. Otto Schmidt vom 06.11.2013 13:56

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