Otto Schmidt Verlag


Leichtfertige Steuerverkürzung bei abweichenden Angaben in Steuererklärungen

Deklarieren Kläger ihre Einkünfte aus selbständiger Arbeit aus ihrer Arztpraxis in ihrer Gewinnfeststellungserklärung in zutreffender Höhe, geben sie in der zeitgleich abgegebenen Einkommensteuererklärung die Einkünfte der Klägerin aber nur in hälftiger Höhe an, kann darin eine leichtfertige Steuerverkürzung liegen.

BFH v. 23.7.2013 – VIII R 32/11

Die zusammen zur Einkommensteuer veranlagten Kläger betreiben als GbR eine Arztpraxis, an der sie hälftig beteiligt sind. Die unter Mithilfe eines Steuerberaters gefertigte Einkommensteuererklärung 2001 und Gewinnfeststellungserklärung (F-Erklärung) gingen am 8.10.2002 beim FA ein. In letzterer gaben Kläger den Gewinn der Arztpraxis mit 440.000 DM an, den sie jeweils hälftig aufteilten. In der Einkommensteuererklärung gaben sie in der Anlage GSE unter Hinweis auf die Steuernummer der gesonderten Feststellung die Einkünfte des Klägers mit 220.000 DM, die der Klägerin indes nur mit 110.000 DM an. Entsprechend erging der Einkommensteuerbescheid 2001 im Oktober 2002. Das FA vermerkte handschriftlich: "bislang ohne Mitteilung, jedoch glaubhaft". Der ebenfalls im Oktober 2002 ergangene einheitliche und gesonderte Gewinnfeststellungsbescheid 2001 stellte den Gewinn mit 440.000 DM fest und verteilte ihn je hälftig auf die Kläger. Die Mitteilungen tragen den nicht datierten Bearbeitungsvermerk des für die Einkommensteuer zuständigen Bearbeiters "ohne steuerliche Auswirkung", "bereits angesetzt". Wegen einer anderen festzustellenden Besteuerungsgrundlage erging im Mai 2003 ein geänderter Einkommensteuerbescheid ohne Ansatz des richtigen Gewinnanteils der Klägerin aus der Arztpraxis. Nach Entdeckung des zu niedrigen Gewinnansatzes bejahte das FA eine zumindest leichtfertige Steuerverkürzung und erließ im April 2007 einen nach § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AO geänderten Einkommensteuerbescheid 2001 durch Ansatz des Gewinnanteils der Klägerin i.H.v. 220.000 €. Die Klage hiergegen war erfolgreich, da die fünfjährige Festsetzungsfrist (F-Frist) mangels einer leichtfertigen Steuerverkürzung nicht greife und damit die reguläre F-Frist am 31.12.2006 abgelaufen sei.
Der BFH gab der Revision des FA unter Abweisung der Klage statt.
Festsetzungsfrist: Die F-Frist für die Einkommensteuer 2001 beginnt im Streitfall mit Ablauf des Kalenderjahrs 2002, dem Jahr der Abgabe der Einkommensteuererklärung. Die Festsetzungsfrist beträgt gem. § 169 Abs. 2 Satz 2 AO fünf Jahre, da eine leichtfertige Steuerverkürzung gegeben ist. Diese Fünfjahresfrist war im Zeitpunkt des Erlasses des Änderungsbescheids vom April 2007 noch nicht verstrichen.
Unrichtige Angaben in der Einkommensteuererklärung: Die Kläger haben in ihrer Einkommensteuererklärung die Einkünfte der Klägerin aus selbständiger Arbeit aus ihrer Arztpraxis fehlerhaft nur in hälftiger Höhe angegeben. Das FA hat diese unrichtigen Beträge im Einkommensteuerbescheid 2001 übernommen, so dass die festgesetzte Steuer nicht den tatsächlich erzielten Einkünften der Kläger entsprach, die sie in ihrer Gewinnfeststellungserklärung 2001 (zutreffend) mit insgesamt 440.000 DM beziffert hatten. Die fehlerhaften Angaben in der Einkommensteuererklärung waren damit ursächlich für die zu niedrig festgesetzten, d.h. verkürzten Steuern. Unerheblich ist, ob diese fehlerhafte Angabe auf einem "Verrutschen" auf der Tastatur beruht.
Pflicht zur Korrektur der Erklärung: Die Kläger hätten diesen Fehler bei Unterzeichnung ihrer Einkommensteuererklärung, spätestens aber nach Erhalt des Einkommensteuerbescheids 2001 im Oktober 2002 bemerken und korrigieren müssen. Denn gem. § 150 Abs. 2 AO sind die Angaben in den Steuererklärungen wahrheitsgemäß nach bestem Wissen und Gewissen zu machen und dies schriftlich zu versichern. Der Steuerpflichtige muss die ihm nach seinen persönlichen Fähigkeiten und Verhältnissen zumutbare Sorgfalt walten lassen. Auch ohne steuerliche Vorbildung mussten sich ihnen als Akademiker, die seit mehreren Jahren eine ärztliche Gemeinschaftspraxis betreiben, aber die Frage aufdrängen, weshalb der in der Einkommensteuererklärung ausgewiesene Gewinnanteil der Klägerin von ihrem Gewinnanteil, der in der F-Erklärung angegeben war, erheblich abwich. Das gilt umso mehr, als der jeweils hälftige Gewinnanteil schon in den Vorjahren galt und sie zudem steuerlich beraten waren. Wenn sie diese gravierende Abweichung hingenommen und die Erklärung gleichwohl unterzeichnet und abgegeben haben, ohne sich bei ihrem steuerlichen Berater oder beim FA nach dem Grund der Abweichung zu erkundigen, haben sie die ihnen obliegende Sorgfalt in erheblichem Umfang verletzt und eine leichtfertige Steuerverkürzung i.S.d. § 378 AO begangen. Aufgrund der fehlerhaften Zahlen ist es zu einer Verkürzung von Steuern durch zu niedrige Festsetzung gekommen. Offen kann bleiben, ob auch der Steuerberater, der den Fehler vor Ablauf der F-Frist entdeckt hatte, zur Berichtigung nach § 153 AO verpflichtet gewesen ist, da hier die Kläger selbst der Vorwurf der Leichtfertigkeit trifft.
Kausalität der unrichtigen Angaben auch bei anschließendem Rechtsfehler des FA: Steuerpflichtige sind zwar nicht verpflichtet, Fehler des FA richtigzustellen; dies gilt aber nur, wenn sie ihre Erklärungspflichten durch Abgabe einer vollständigen und ordnungsgemäßen Steuererklärung erfüllt haben. Bei rechtsfehlerhaft zu niedriger Steuerfestsetzung trotz zutreffend erklärter Tatsachen ergeben sich keine weiteren Erklärungspflichten; demgemäß kann dann auch keine Steuerhinterziehung oder leichtfertige Steuerverkürzung durch Unterlassen gegeben sein. Im Streitfall haben die Kläger jedoch die Einkünfte unrichtig erklärt, also keine ordnungsgemäße und vollständige Einkommensteuererklärung abgegeben. Damit war eine Berichtigungspflicht nach § 153 AO gegeben. Unerheblich ist, dass das FA es unterlassen hat, aufgrund der zutreffenden F-Erklärung 2001 für die Kläger nach Erlass des gem. § 182 Abs. 1 AO bindenden F-Bescheids 2001 den Einkommensteuerbescheid entsprechend zu ändern.
Unerheblich ist auch, dass der zuständige Bearbeiter rechtsfehlerhaft gehandelt hat, indem er die festgestellten Gewinnanteile als für die Einkommensteuerbesteuerung 2001 nicht mehr relevant bzw. als "ohne steuerliche Auswirkung, bereits angesetzt" angesehen hat. Die fehlerhafte Nichtauswertung einer Feststellungsmitteilung durch das FA unterbricht den Kausalverlauf zwischen unrichtigen Angaben in einer Einkommensteuererklärung und der eingetretenen Steuerverkürzung durch Bekanntgabe des Einkommensteuerbescheids nicht. Die Angaben in der Einkommensteuererklärung über festzustellende Besteuerungsgrundlagen haben nicht nur deklaratorischen Charakter, sondern sind maßgebend für die vorläufige richtige Steuerfestsetzung, auch wenn diese bei abweichenden Grundlagenbescheiden wiederum zu ändern ist. Das zeigt sich auch daran, dass das FA gem. § 155 Abs. 2 AO einen Steuerbescheid auch vor Erlass eines Grundlagenbescheids erteilen kann.
Keine überholende Kausalität: Eine überholende Kausalität, die den Ursachenzusammenhang zwischen unrichtigen Tatsachenangaben und zu niedriger Steuerfestsetzung unterbrechen würde, ist nur anzunehmen, wenn durch ein späteres Ereignis eine neue Ursachenreihe eröffnet wird und die alte nicht fortwirkt. Mit der Nichtauswertung des Grundlagenbescheids hat der Sachbearbeiter indes keine neue und von den Angaben der Kläger unabhängige Ursache gesetzt, sondern deren falsche Angaben, die bereits zu einer Steuerverkürzung geführt haben, unberührt gelassen.
Keine Verneinung der Steuerverkürzung bei rechtzeitiger Korrekturmöglichkeit des FA: Mit den verlängerten F-Fristen soll es dem FA ermöglicht werden, die ihm vorenthaltenen Steuerbeträge auch noch nach Ablauf von vier Jahren zurückzufordern. Damit wird den mit Steuerhinterziehung oder leichtfertiger Steuerverkürzung einhergehenden objektiven Erschwernissen bei der Sachverhaltsaufklärung angemessen Rechnung getragen. Der Steuerhinterzieher bzw. Steuerverkürzer soll im Vergleich zum steuerehrlichen Bürger verfahrensrechtlich schlechter gestellt werden.

Beraterhinweis: Der BFH stellt klar, dass eine zumindest leichtfertige Steuerverkürzung mit der Folge der fünfjährigen Festsetzungsfrist auch dann vorliegt, wenn das FA die Unrichtigkeit der leichtfertig falsch erklärten Besteuerungsgrundlagen hätte erkennen können. Dieser bei Unterlassen der Berichtigung unterlaufene Rechtsfehler des FA beseitigt nicht die Kausalität zwischen unrichtiger Steuererklärung und entsprechend zu niedriger Steuerfestsetzung. Eine leichtfertige Steuerverkürzung liegt vor, wenn in der Einkommensteuererklärung niedrigere Einkünfte angegeben werden, als sie in der gleichzeitig hierfür maßgebenden Feststellungserklärung erklärt worden sind.
RD a.D. Michael Marfels, Nordkirchen

Verlag Dr. Otto Schmidt vom 26.09.2013 11:24

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