Otto Schmidt Verlag


Grobes Verschulden i.S.d. § 173 Abs. 1 Nr. 2 AO im Elster-Verfahren

Der Steuerpflichtige handelt auch dann regelmäßig grob fahrlässig i.S.d. § 173 Abs. 1 Nr. 2 AO, wenn er die dem elektronischen Elster-Formular beigefügten Erläuterungen zur Einkommensteuererklärung unbeachtet lässt. Dies gilt allerdings nur, soweit solche Erläuterungen für einen steuerlichen Laien ausreichend verständlich, klar und eindeutig sind.

BFH v. 20.3.2013 – VI R 9/12
BFH v. 20.3.2013 – VI R 5/11

Streitig ist, ob Unterhaltsleistungen, die bei einer in elektronischer Form abgegebenen Einkommensteuererklärung (ELSTER) versehentlich nicht erklärt wurden, im bestandskräftigen Einkommensteuerbescheid noch zu berücksichtigen sind. Im Verfahren VI R 9/12 leistete der Kläger (K1) an seine Lebensgefährtin A, die nach der Geburt ihres gemeinsamen Kindes ihre Berufstätigkeit unterbrach, von März bis November 2008 monatliche Unterhaltszahlungen i.H.v. jeweils 1.100 €, die er allerdings in seiner elektronische abgegebenen Einkommensteuererklärung (ELSTER) für 2008 nicht angegeben hatte. Das dazu von K1 verwendete ElsterFormular 2008 enthielt in Zeile 102 die Angabe "Unterhalt für bedürftige Personen" und verwies ohne weitere Erläuterungen auf die Anlage Unterhalt. Der Hilfstext zur Anlage Unterhalt führte die gesetzlich unterhaltsberechtigten Personen beispielhaft auf ("z.B. Eltern, Großeltern und Kinder"), nannte dort aber nicht die Mutter eines gemeinsamen Kindes als mögliche Unterhaltsberechtigte. Im ElsterFormular fand sich das erst am Ende der Anlage „Unterhalt“. Nach Bestandskraft des Einkommensteuerbescheids 2008 beantragte K1 die Berücksichtigung seiner Unterhaltsleistungen an seine Lebensgefährtin, was das FA wegen groben Verschuldens ablehnte, da K1 trotz ausdrücklicher Frage nach Unterhalt für bedürftige Personen keine Angaben zu den von ihm geleisteten Unterhaltszahlungen gemacht und keine Anlage „Unterhalt“ eingereicht habe. Die Klage hiergegen war erfolgreich, da das ElsterFormular keine Hinweise auf die Unterhaltsberechtigung der A als Mutter des gemeinsamen Kindes enthalten habe.

Dem Verfahren VI R 5/11 lag ein vergleichbarer Sachverhalt zugrunde; hier hatte der Kläger (K2) in dem ElsterFormular 2006 ebenfalls die entsprechenden Unterhaltsleistungen nicht angegeben, obwohl dort ebenso wie in der Anleitung zur Steuererklärung und im Erklärungsvordruck auf den Abzug von Unterhaltsleistungen hingewiesen und nach Angaben zur unterhaltenen Person gefragt wird unter Hinweis darauf, dass eine Unterhaltspflicht gegenüber der Mutter eines gemeinsamen Kindes bestehen kann. In dem erfolglosen Klageverfahren machte K2 zusätzlich geltend, der Fehler sei ihm auch nach nochmaliger Durchsicht des Ausdrucks nicht aufgefallen, da beim Elster-Verfahren der abschließende Erklärungsausdruck nur die Felder enthalte, in denen auch Eintragungen vorgenommen worden seien. Letztlich habe die Unübersichtlichkeit des ElsterFormulars im Vergleich zur Steuererklärung in Papierform und die fehlende Routine im Umgang mit dem ElsterFormular die Entdeckung des Fehlers verhindert.

Der BFH wies im ersten Verfahren die Revision des FA und im zweiten Verfahren die Revision des Klägers jeweils als unbegründet zurück.

Voraussetzung einer Änderung wegen neuer Tatsachen zugunsten: Nach § 173 Abs. 1 Nr. 2 AO sind Steuerbescheide aufzuheben oder zu ändern, soweit Tatsachen oder Beweismittel bekannt werden, die zu einer niedrigeren Steuer führen, und den Steuerpflichtigen kein grobes Verschulden daran trifft, dass die Tatsachen oder Beweismittel erst nachträglich bekannt werden. Als grobes Verschulden hat der Steuerpflichtige Vorsatz und grobe Fahrlässigkeit zu vertreten. Grobe Fahrlässigkeit ist nach ständiger Rechtsprechung des BFH anzunehmen, wenn der Steuerpflichtige die ihm nach seinen persönlichen Fähigkeiten und Verhältnissen zumutbare Sorgfalt in ungewöhnlichem Maße und in nicht entschuldbarer Weise verletzt hat.

Grobes Verschulden ist Tatfrage: Ob der Beteiligte im jeweiligen Einzelfall grob fahrlässig gehandelt hat, ist im Wesentlichen Tatfrage. Die dazu getroffenen Feststellungen und darauf gründenden Würdigungen des FG können von der Revisionsinstanz nur darauf überprüft werden, ob der Rechtsbegriff der groben Fahrlässigkeit und die aus ihm abzuleitenden Sorgfaltspflichten richtig erkannt worden sind und ob die Würdigung der Umstände hinsichtlich des individuellen Verschuldens den Denkgesetzen und Erfahrungssätzen entspricht.

Unübersichtliche Gestaltung des ElsterFormulars 2008 führt zu fehlendem groben Verschulden: Grobes Verschulden wird vom FG zu Recht bejaht, wenn der Steuerpflichtige seiner Erklärungspflicht nur unzureichend nachkommt, indem er etwa eine im Steuererklärungsformular ausdrücklich gestellte, auf einen bestimmten Vorgang bezogene Frage nicht beachtet. Dies gilt auch für über das ElsterFormular abgegebene Steuererklärungen. Im Streitfall trifft K1 jedoch nach der zutreffenden Würdigung durch das FG kein grobes Verschulden im Hinblick auf das nachträgliche Bekanntwerden der Unterhaltsleistungen, da der Hauptvordruck des ElsterFormulars keine Erläuterungen enthält und die Anlage Unterhalt, auf die stattdessen hingewiesen wird, zwar im Hilfstext die Unterhaltsberechtigung zwischen Großeltern, Eltern und Kindern als Beispiel nennt, aber gerade nicht auf die einer Kindesmutter hinweist. Dem K1 musste sich aufgrund dieser unübersichtlichen Vordruckgestaltung nicht aufdrängen, dass auch Unterhaltsleistungen an seine mit ihm nicht verwandte und nicht verheiratete Lebensgefährtin hätten eingetragen werden müssen, so dass ihn kein grobes Verschulden trifft. Zwar enthält die Anlage „Unterhalt selbst am Ende die Nennung der Kindesmutter als Unterhaltsberechtigte, jedoch enthält der Erläuterungstext der Anlage gerade zu dieser Unterhaltsberechtigung keine Aussage, so dass K1 es nicht grob fahrlässig unterlassen hat, ohne Anhaltspunkte sich dieser „Anlage“ selbst zuzuwenden.

Andere Tatsachenlage beim ElsterFormular 2006: Bei dem im zweiten Verfahren zu beurteilenden ElsterFormular 2006 hat das FG bindend festgestellt, dass in der Zeile 102 ausdrücklich nach dem "Unterhalt für bedürftige Personen" gefragt wird und in der Anleitung zur Einkommensteuererklärung u.a. auch der Hinweis auf eine mögliche Unterhaltspflicht gegenüber der Mutter eines gemeinsamen Kindes enthalten ist. Aufgrund der Nichtbeantwortung der Frage in Zeile 102 und der Nichtbeantwortung des Hinweises hat das FG zutreffend ein grobes Verschulden des Klägers (K2) dieses Verfahrens gesehen, so dass eine nachträgliche Berücksichtigung der Unterhaltsaufwendungen ausscheidet.

Unvollständiger Ausdruck der Steuererklärung unerheblich: K2 kann sich schließlich nicht darauf berufen, dass im Gegensatz zur Einkommensteuererklärung in Papierform das ElsterFormular keinen vollständigen Ausdruck der Steuererklärung liefert, sondern letztlich nur die Werte und Kennziffern aufführt, zu denen der Steuerpflichtige Eintragungen vorgenommen hat. Denn dies mag zwar einen Nachteil der elektronischen Steuererklärung darstellen, betrifft aber nicht den Grund für die Annahme der groben Fahrlässigkeit, nämlich die fehlende An- und Eingabe im ElsterFormular selbst.

Beraterhinweis: Es entspricht ständiger Rechtsprechung des BFH, dass nachträglich geltend gemachte Tatsachen zu seinen Gunsten wegen groben Verschuldens nicht berücksichtigt werden, wenn der Steuerpflichtige ausdrücklich im Erklärungsformular gestellte Fragen nicht beantwortet oder Hinweise in den Erklärungserläuterungen nicht beachtet hat. Dies gilt auch bei Abgabe der Erklärung in elektronischer Form. Allerdings kann hier die Unübersichtlichkeit des ElsterFormulars zur Verneinung des groben Verschuldens führen, wenn z.B. – wie im ersten Verfahren – der Steuerpflichtige die Anlage „Unterhalt“ nicht ausfüllt bzw. die hierzu ergangenen Hinweise nicht beachtet, weil das Hauptformular keinen Hinweis auf die Möglichkeit des Abzugs von Unterhaltsaufwendungen im konkreten Fall gibt. Da die Hinweise auf die Unterhaltspflicht gegenüber dem anderen nicht verheirateten Elternteil bei einem gemeinsamen Kind in den ElsterFormularen der verschiedenen VZ (hier 2006 und 2008) unterschiedlich gestaltet waren, erklären sich die unterschiedlichen Entscheidungen bei ansonsten gleicher Sachverhaltslage.

RD a.D. Michael Marfels, Nordkirchen

Service: BFH v. 20.3.2013 – VI R 9/12, BFH v. 20.3.2013 – VI R 5/11

Verlag Dr. Otto Schmidt vom 13.06.2013 14:29

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