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Ehegattensplittingtarif für eingetragene Lebenspartner

§ 26, § 26b und § 32a Abs. 5 EStG ist insofern mit Art. 3 Abs. 1 GG nicht vereinbar, soweit eingetragenen Lebenspartnern nicht die Möglichkeit zur Zusammenveranlagung mit Ehegattensplitting gewährt wird. Diese Unvereinbarkeit besteht seit Inkrafttreten des Gesetzes zur Beendigung der Diskriminierung gleichgeschlechtlicher Gemeinschaften v. 16.2.2001 (BGBl. I 2001, 266). Bis zum Inkrafttreten einer Neuregelung bleiben die §§ 26, 26b, 32a Abs. 5 EStG mit der Maßgabe anwendbar, dass auch eingetragene Lebenspartnerschaften mit Wirkung ab 1.8.2001 – dem Datum der Einführung des Rechtsinstituts der eingetragenen Lebenspartnerschaft - das Ehegattensplitting beanspruchen können.

BVerfGv. 7.5.20132 BvR 909/06, 2 BvR 1981/06, 2 BvR 288/07

Insgesamt liegen der Entscheidung des BVerfG drei Verfahren zugrunde, in denen sich die Beschwerdeführer, die jeweils in einer eingetragenen Lebenspartnerschaft leben, gegen die Verweigerung der Gewährung des Ehegattensplittings gem. §§ 26, 26b i.V.m. § 32a Abs. 5 GG für die VZ 2001 bzw. 2002 wenden. Vorausgegangen waren neben entsprechenden Einspruchsentscheidungen der Finanzbehörden Verfahren vor dem BFH (BFH v. 26.1.2006 – III R 51/05, BStBl. II 2006, 515; v. 20.7.2006 – III R 8/04, BStBl. II 2006, 883; v. 19.10.2006 – III R 29/06, BFH/NV 2007, 663) sowie finanzgerichtliche Entscheidungen (FG Saarland v. 21.1.2004 – 1 K 466/02, DStZ 2004, 265; FG Berlin v. 23.2.2006 – 1 K 1512/02, EFG 2006, 985; FG Köln v. 13.6.2005 – 15 K 284/04, EFG 2005, 1362).

Gleichheitswidriger Begünstigungsausschluss: Aus Art. 3 Abs. 1 GG ergibt sich für den Gesetzgeber die Verpflichtung, wesentlich Gleiches gleich und wesentlich Ungleiches ungleich zu behandeln. Verboten ist demzufolge auch ein gleichheitswidriger Begünstigungsausschluss. Daraus leitet sich zum einen ein Willkürverbot aber auch je nach Regelungsgegenstand und Differenzierungsmerkmal eine strenge Bindung am Verhältnismäßigkeitsmaßstab ab. Werden ganze Personengruppen - wie die Partner einer eingetragenen Lebenspartnerschaft gegenüber Eheleuten - unterschiedlich behandelt, so gilt ein strenger Verhältnismäßigkeitsmaßstab, so dass die Ungleichbehandlung nur durch gewichtige Unterschiede zu rechtfertigen ist. Dies gilt um so mehr, als hier eine Differenzierung nach der sexuellen Orientierung i.S.v. Art. 3 Abs. 3 GG im Raum steht, denn Partner einer eingetragenen Lebenspartnerschaft werden nur homosexuell veranlagte Personen.

Ehegattensplitting als Ausfluss des Gedankens der Ehe als Gemeinschaft des Erwerbs und Verbrauchs: Unabhängig von dem von den Ehegatten gewählten Güterstand tragen die §§ 26, 26b i.V.m. § 32a Abs. 5 EStG dem Gedanken Rechnung, dass die Ehe eine Gemeinschaft des Erwerbs und Verbrauchs ist. Dabei ist auch unerheblich, ob es sich um eine Alleinverdiener- oder eine Doppelverdiener-Ehe handelt. Auch die eingetragene Lebenspartnerschaft ist rechtlich als Institut der Gemeinschaft des Erwerbs und Verbrauchs ausgestaltet (vgl. etwa die gegenseitige Verpflichtungsbefugnis bei Geschäften zur Deckung des Lebensbedarfs).

Art. 6 Abs. 1 GG rechtfertigt nicht die Versagung des Ehegattensplittings: Die durch Art. 6 Abs. 1 GG geschützte Institution der Ehe bezieht sich nur auf die Verbindung zwischen Mann und Frau. Insofern ist der Gesetzgeber grundsätzlich berechtigt, diese Verbindung gegenüber anderen Formen des Zusammenlebens zu begünstigen, die ein geringeres Maß an gegenseitigen Pflichten begründen. Insbesondere darf der Gesetzgeber bei der Privilegierung der Ehe berücksichtigen, dass diese Institution Grundlage des Aufziehens von Kindern bildet.

Die Privilegierung der Ehe findet jedoch dort ihre Schranke, wo andere Institutionen, die in vergleichbarer Weise gegenseitige Pflichten begründen und dem Aufziehen von Kindern dienen, schlechter gestellt werden. Die eingetragene Lebenspartnerschaft ist als „Verantwortungsgemeinschaft“ und Gemeinschaft des Erwerbs und Verbrauchs allerdings rechtlich weitgehend der Ehe hinsichtlich der gegenseitigen Pflichten angenähert (Güterrecht, Unterhaltsrecht, Scheidungsrecht, Versorgungsausgleich etc.). Auch ist sie durchaus als Grundlage für das Aufziehen von Kindern geeignet. Darüber hinaus ist zu bedenken, dass das Ehegattensplitting unabhängig vom Vorhanden sein von Kindern gewährt wird. Für den Bedarf hinsichtlich des Aufziehens von Kindern sieht das EStG in den §§ 32, 33a EStG eigene Regelungen vor.

Insofern kann die eingetragene Lebenspartnerschaft, die in den benannten Punkten der Ehe angenähert ist, nicht schlechter gestellt werden. Ein Abstandsgebot sieht Art. 6 Abs. 1 GG nicht vor. Wohl ist aber eine Schlechterstellung von Formen des menschlichen Zusammenlebens ohne rechtliche Bindung möglich.

Typisierungsbefugnis des Gesetzgebers rechtfertigt die Versagung des Ehegattensplittings nicht: Der Gesetzgeber ist im Steuerrecht grundsätzlich berechtigt - ohne dass hierin ein Verstoß gegen die in Art. 3 Abs. 1 GG niedergelegte Steuergerechtigkeit begründet wäre - generalisierende, typisierende und pauschalierende Regelungen zu treffen. Insofern darf der Gesetzgeber orientiert am Regelfall zur Verwaltungsvereinfachung gleich geartete Lebenssachverhalte zusammenfassen. Die hiermit verbunden Ungleichbehandlung darf nur eine verhältnismäßig kleine Anzahl von Personen treffen. Da Typisierung aber die Zusammenfassung im wesentlich gleich gearteter Lebenssachverhalte bedeutet, ist gerade nicht nachvollziehbar, warum eingetragene Lebenspartnerschaften, die der Ehe in wesentlichen Punkten entsprechen, von der Begünstigung des Ehegattensplittings ausgenommen sind. Daraus ergibt sich ein Verstoß gegen Art. 3 GG. Auch bringt der Ausschluss keine Verwaltungsvereinfachung mit sich.

Ungleichbehandlung wegen der sexuellen Orientierung verstößt gegen Art. 3 GG: Sofern bei der Berufung auf das Recht zur Typisierung ausgeblendet bleibt, dass auch in eingetragenen Lebenspartnerschaften Kinder aufgezogen werden, führt dies zu einer mittelbaren Diskriminierung von Personen aufgrund ihrer sexuellen Orientierung und zu einem Verstoß gegen Art. 3 GG.

Unvereinbarkeitserklärung von §§ 26, 26b i.V.m. § 32a Abs. 5 EStG mit dem GG: Da der Gesetzgeber verschiedene Möglichkeiten hat, den insofern bestehenden Verfassungsverstoß zu beseitigen, war es geboten, die §§ 26, 26b i.V.m. § 32a Abs. 5 EStG in den jeweils bis heute bestehenden Fassungen nicht insgesamt nach § 82 Abs. 1 i.V.m. § 78 Satz 1, § 95 Abs. 3 BVerfGG für nichtig zu erklären, sondern gem. §§ 31 Abs. 2, 79 Abs. 1 BVerfGG nur für unvereinbar mit dem GG.

Verfassungsverstoß muss rückwirkend auf den Zeitpunkt der Einführung des Instituts der eingetragenen Lebenspartnerschaft beseitigt werden: Grundsätzlich erstreckt sich die Unvereinbarkeitserklärung auch auf zurückliegende Zeiträume, in welchen der Verfassungsverstoß gegeben war. Ausnahmsweise kann hiervon abgesehen werden. Dies ist insbesondere der Fall, wenn der Rückwirkung das Interesse an der Verlässlichkeit der Finanz- und Haushaltsplanung entgegensteht. Entsprechendes gilt, wenn die Verfassungslage für den Gesetzgeber nicht hinreichend geklärt war und ihm eine Übergangsfrist zur Herbeiführung einer verfassungskonformen Regelung insofern zu gewähren ist. Beide Ausnahmesachverhalte liegen nicht vor. Insbesondere spricht für die Rückwirkung, dass die Nichtgewährung des Splittingverfahrens für eingetragene Lebenspartnerschaften schon seit langem verfassungsrechtlich umstritten war. Insofern muss die Ungleichbehandlung rückwirkend auf den 1.8.2001 als Zeitpunkt der Einführung des Rechtsinstituts der eingetragenen Lebenspartnerschaft beseitigt werden.

Bis zur gesetzlichen Neuregelung sind die §§ 26, 26b i.V.m. § 32a Abs. 5 EStG auch auf die eingetragene Lebenspartnerschaft anzuwenden: Um zu vermeiden, dass bei den Steuerpflichtigen sowie den Behörden bis zum Ergehen einer neuen verfassungskonformen gesetzlichen Regelungen Rechtsunsicherheit besteht und unter Berücksichtigung, dass eine Übergansregelung weitgehend an dem bereits bestehenden gesetzlichen Regelungskonzept anknüpfen soll, sind die §§ 26, 26b i.V.m. § 32a Abs. 5 EStG ab dem 1.8.2001 auch auf Partner einer eingetragenen Lebenspartnerschaft anzuwenden, deren Veranlagung noch nicht bestandskräftig durchgeführt ist.

Beraterhinweis: Grundsätzlich hätte das BVerfG die Möglichkeit gehabt, eine Appellentscheidung zu erlassen. Dies geschieht, wenn ein Gesetz gerade noch für verfassungsgemäß erachtet wird, sich aber eine verfassungswidrige Entwicklungstendenz abzeichnet. Insofern wird der Gesetzgeber zum Gegensteuern aufgerufen. Eine solch mildere Entscheidungsform hat das BVerfG hier gerade nicht gewählt, letztlich wohl auch, weil der Gesetzgeber durch vorausgehende Entscheidungen des BVerfG schon „vorgewarnt“ gewesen sein sollte, dass hier bereits ein verfassungswidriger Zustand eingetreten ist und sich nicht erst durch einen gesellschaftlichen Wandel, im Zuge dessen sich eingetragene Lebenspartnerschaften Ehen immer mehr annähern, erst abzeichnet (vgl. Gehm, StBW 2012, 892). Der Gesetzgeber wird m.E. unabhängig von der vom BVerfG ausgesprochenen Übergangsregelung insofern nicht umhinkommen, bei seiner rückwirkenden Reglung letztlich die §§ 26, 26b i.V.m. § 32a Abs. 5 EStG auf Partner einer eingetragenen Lebenspartnerschaft zu übertragen. Nicht unerwähnt bleiben soll, dass zwei Verfassungsrichter abweichende Voten formuliert haben. Insbesondere wird hierin darauf abgestellt, dass nach der ursprünglichen Gesetzeslage die eingetragene Lebenspartnerschaft gerade keine Gemeinschaft von Erwerb und Verbrauch war, so dass rückwirkend auf das Jahr 2001 eine Gleichstellung mit der Ehe beim Splittingtarif nicht gerechtfertigt sei.

Rückwirkende Unvereinbarkeitserklärung: Das BVerfG ist insofern seiner bisherigen Linie gefolgt, dass unter Berücksichtigung des Gewaltenteilungsprinzip des Art. 20 Abs. 2 Satz 2 GG die Unvereinbarkeitserklärung statt der Nichtigkeitserklärung ausgesprochen wird, wenn der Gesetzgeber mehrere Möglichkeiten hat, wie bei den Verstößen gegen Art. 3 Abs. 1 GG die Verfassungswidrigkeit zu beseitigen ist. Vom Grundsatz her unterliegt die mit dem GG für unvereinbar erklärte Norm einer auf den Zeitpunkt der Entstehung der Grundrechtskollision zurück wirkenden Anwendungssperre. Somit wirkt die mit der Unvereinbarkeitserklärung verbundene Verpflichtung des Gesetzgebers, eine der Verfassung entsprechende Rechtslage herzustellen, grundsätzlich ex tunc (vgl. Seer in Tipke/Lang, Steuerrecht, 21. Aufl. 2013, § 22, Rn. 286f; Gehm, StBW 2012, 892). Entsprechende Steuerbescheide sind nach § 165 Abs. 1 Nr. 2 AO für vorläufig zu erklären.

Aus Gründen der periodischen Haushaltsplanung wird hiervon jedoch eine Ausnahme gemacht und dem Gesetzgeber nur noch mit ex nunc-Wirkung unter Gewährung von Übergangsfristen die Gesetzesreparatur aufgegeben, wie dies bei der Vermögensteuererntscheidung des BVerfG der Fall war (BVerfG v. 22.6.1995 – 2 BvL 37/91, GmbHR 1995, 668). Im Fall der Pendlerpauschale hat das BVerfG (BVerfG v. 9.12.2008 – 2 BvL 1/07, 2 BvL 2/07, 2 BvL 1/08, 2 BvL 2/08, FR 2009, 74) mit rückreichender Wirkung eine Unvereinbarkeit mit Art. 3 Abs. 1 GG und bis dahin die alte Gesetzeslage vor dem 1.1.2007 für weiter anwendbar erklärt. Die Steuerbescheide waren somit gem. § 165 Abs. 1 Nr. 2 AO vorläufig zu stellen, was durch BMF-Schreiben vom 15.12.2008 (BMF v. 15.12.2008 – IV A 3 – S 0338/07/10010-02, BStBl. I 2008, 1010) geschah. Die Bundesregierung hatte jedoch damals frühzeitig erklärt, von der Möglichkeit einer rückwirkenden Gesetzesänderung bis 2009 keinen Gebrauch zu machen. Um Rechtssicherheit zu schaffen, ist sodann das Gesetz zur Fortführung der Gesetzeslage 2006 bei der Entfernungspauschale erlassen worden, das auf den 1.1.2007 zurückwirkt. Es bleibt abzuwarten, ob der Gesetzgeber und die Finanzverwaltung hier in gleichem Maße verfahren werden.

Veranlagungen offen halten: Dessen ungeachtet sollten in allen noch offenen Fällen umgehend Rechtsbehelfe oder Anträge gem. § 164 Abs. 2 AO gestellt werden, um sich hier noch in den Genuss der Anwendung des Ehegattensplittings zu bringen. Insofern können Partner einer eingetragenen Lebenspartnerschaft nur profitieren, denn es ist nicht zu erwarten, dass rückwirkend eine ungünstigere Regelung als bisher bei Ehepartnern geschaffen wird. Für die Zukunft ist aber ggf. damit zu rechnen, dass auch für Ehegatten die Gewährung des Splittingverfahrens unter Berücksichtigung des Vorhandenseins von Kindern erfolgt, obgleich der Einführung eines reinen Familiensplittings verfassungsrechtliche Bedenken entgegenstehen (Gehm, StBW 2012, 892).

Zeitliche Reichweite der Entscheidung: Wie ausgeführt haben zwei Verfassungsrichter kritisiert, dass die Gleichstellung auf den 1.8.2001 zu erfolgen hat. dies ist jetzt jedoch Fakt, da der Entscheidung des BVerfG gem. § 31 Abs. 2 Satz 1 und 2 BVerfG Gesetzeskraft zukommt. Schaut man sich aber die Rechtslage genau an, so ist zumindest vorübergehend damit zu rechnen, dass für das gesamte Veranlagungsjahr 2001 bereits das Ehegattensplitting zu gewähren ist, wie dies auch bei Eheleuten der Fall ist, die im Laufe des Jahres 2001 geheiratet haben.

ROR Dr.MatthiasGehm, Limburgerhof

Verlag Dr. Otto Schmidt vom 11.06.2013 11:34

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