Otto Schmidt Verlag


Entschädigungsklage: Unangemessene Dauer eines FG-Verfahrens

Bei einer unangemessenen finanzgerichtlichen Verfahrensdauer von mehr als 5 Jahren beschränkt sich die Rechtsfolge auf die Feststellung der Verfahrensverzögerung, wenn die Klage unschlüssig war. Auch wenn dann kein Geldentschädigungsanspruch besteht, hat der Beklagte 75 % der Kosten des Entschädigungsklageverfahrens zu tragen.

BFH v. 17.4.2013X K 3/12

Der Kläger (K) begehrt gem. § 198 GVG Entschädigung wegen der von ihm als unangemessen angesehenen Verfahrensdauer von 5 ½ Jahren vor dem FG Berlin-Brandenburg. In dem Ausgangsverfahren ging es um eine offensichtlich unbegründete Klage gegen einen Einkommensteuerbescheid. Nach Klageabweisung begehrte K mit Klage beim BFH wegen Überschreitung der angemessenen Verfahrensdauer um vier Jahre eine Entschädigung von 4.800 € vom Land Berlin.

Zuständigkeit des BFH: Da K die Klage als Entschädigungsklage nach § 198 GVG, nicht aber als auf einen Amtshaftungsanspruch gestützte Schadensersatzklage bezeichnete und die Klage beim BFH eingereicht hat, ist der BFH durch die Zuweisung gem. § 155 Satz 2 FGO zuständig. Hierin ist keine Aushöhlung der Rechtswegzuweisung des Art. 34 Satz 3 GG zu sehen. Der BFH hält die Klage jedoch nur teilweise für begründet.

Unangemessene Verfahrensverzögerung: Nach § 198 Abs. 1 Satz 2 GVG richtet sich die Angemessenheit der Verfahrensdauer nach den Umständen des Einzelfalls, insbesondere nach der Schwierigkeit und Bedeutung des Verfahrens und nach dem Verhalten der Verfahrensbeteiligten und Dritter. Diese gesetzlichen Maßstäbe beruhen auf der ständigen Rechtsprechung des EGMR. Auch das BVerfG geht von vergleichbaren Kriterien aus. Eine generelle genaue zeitliche Festlegung ist nicht möglich. Mit zunehmender Verfahrensdauer verdichtet sich allerdings die Pflicht des Gerichts, sich nachhaltig um eine Förderung, Beschleunigung und Beendigung des Verfahrens zu bemühen. Nach dem BVerfG muss ein Verfahren vor einem Instanzgericht grundsätzlich in 30 Monaten abgeschlossen sein. Nach Beendigung des Schriftwechsels zwischen den Beteiligten im Juni 2006 hätte das Verfahren also im ersten Halbjahr 2008 in Richtung einer Entscheidung betrieben werden müssen; tatsächlich erfolgte dies erst im Februar 2010, also nach 4 Jahren.

Keine außergewöhnlichen Umstände: Das FGkann sich zur Rechtfertigung der überlangen Verfahrensdauer nicht auf Umstände innerhalb seines Verantwortungsbereichs berufen, hier auf die durch die Zusammenlegung der FG Berlin und Brandenburg zum 1.1.2007 bedingte Verzögerung. Auch wenn K entgegen gehalten werden könnte, dass er auf die Anfrage des FG vom 1.3.2010 (Zustimmung zur Aktenübersendung an das FG Brandenburg) nicht reagiert hat, war das FG dennoch verpflichtet, das Verfahren weiter zu fördern, ggfs. eine Entscheidung nach Aktenlage ohne Vorliegen der angefragten Akten zu treffen.

Rechtsfolge der Verfahrensverzögerung:Gem. § 198 Abs. 2 Satz 1 GVG wird im Falle der unangemessenen Verzögerung ein Nachteil, der nicht Vermögensnachteil ist, vermutet. In diesem Fall kann bei Erleiden eines solchen Nichtvermögensnachteils eine Geldentschädigung „nur beansprucht werden, soweit nicht nach den Umständen des Einzelfalls Wiedergutmachung auf andere Weise gem. Abs. 4 ausreichend ist“. Die Feststellung der Unangemessenheit der Verfahrensdauer durch das Entschädigungsgericht ist im Gesetz ausdrücklich als eine der Möglichkeiten bezeichnet, Wiedergutmachung auf andere Weise als durch Zuerkennung eines Geldanspruchs zu leisten (§ 198 Abs. 4 Satz 1 GVG). Für das Verhältnis zwischen den Rechtsfolgen "Geldentschädigung" einerseits und "Feststellungsausspruch" andererseits gilt danach weder ein Vorrang der Geldentschädigung noch eine anderweitige Vermutungsregel. Damit ist vor der Zuerkennung einer Geldentschädigung jeweils konkret zu prüfen, ob Wiedergutmachung durch einen bloßen Feststellungsausspruch möglich ist. Letzteres setzt nicht voraus, dass das Ausgangsverfahren betrieben worden ist, sondern ist auch möglich bei normalen Verfahren. Ein Feststellungsausspruch reicht z.B. aus, wenn das Ausgangsverfahren keine besondere Bedeutung für den Kläger hatte, oder dieser durch sein Verhalten erheblich zur Verzögerung beigetragen hat oder wenn er - abgesehen von der Überlänge des Verfahrens als solcher ‑ keinen weitergehenden immateriellen Schaden erlitten hat.

Lediglich Feststellungausspruch bei Unschlüssigkeit der Klage: Im Streitfall ist die Beschränkung auf einen bloßen Feststellungsausspruch aber deshalb gerechtfertigt, weil die Klage unschlüssig, d.h. erkennbar unbegründet war. In einem solchen Fall hat das verzögerte Verfahren ‑ jedenfalls bei konkreter Betrachtung ‑ für den Entschädigungskläger objektiv keine besondere Bedeutung. Denn dann ist für jeden Rechtskundigen von Anfang an klar, dass die Klage keine Aussicht auf Erfolg haben kann. Auch wenn sich aus der Auslegung des § 198 GVG ein gewisser Vorrang der Geldentschädigung ergeben könnte, zeigt die Rechtsprechung des EGMR, dass auch dieser in vielen Fällen lediglich einen Feststellungsausspruch als Wiedergutmachung ausreichen lässt. Es sind aber kaum Fallgruppen denkbar, in denen die Betroffenheit des Klägers durch eine überlange Verfahrensdauer geringer ist als bei einer nach dem eigenen Klagevorbringen bereits unschlüssigen Klage. Die Betroffenheit durch die Verzögerung beschränkt sich in diesen Fällen auf den Umstand, dass der Abschluss des finanzgerichtlichen Verfahrens lange auf sich hat warten lassen. Angesichts der von Beginn an feststehenden Unschlüssigkeit der Klage sind mit der Verzögerung aber keine weiteren Risiken oder Nachteile für die prozessuale oder sonstige Situation des Klägers verbunden.

Zeitpunkt der Verzögerungsrüge unerheblich: Zwar muss gem. Art. 23 Satz 2 ÜberlVfRSchG die Verzögerungsrüge bei älteren Verfahren unverzüglich nach Inkrafttreten dieser Normen erhoben werden; dies gilt aber nur bei Zuerkennung einer Geldentschädigung. Dagegen kann die Feststellung einer unangemessenen Verfahrensdauer § 198 Abs. 4 Satz 3 GVG auch ausgesprochen werden, "wenn eine oder mehrere Voraussetzungen des Abs. 3 nicht erfüllt sind";der vorherigen (unverzüglichen) Erhebung einer Rüge durch den Kläger bedarf es dann nicht.

Beraterhinweis: Der BFH bejaht eine unangemessene Verfahrensverzögerung bei einer Verzögerung von mehr als 30 Monaten. Diese führt aber nur dann zu einem Entschädigungsanspruch in Geld, wenn die Klage Aussicht auf Erfolg hatte, also schlüssig war, auch wenn sie letztlich z.B. aus rechtlichen Gründen abgewiesen wurde. Ist die Klage des Ausgangsverfahrens dagegen von vornherein unschlüssig und offensichtlich unbegründet, steht dem Kläger nur ein Anspruch auf Feststellung der unangemessenen Verfahrensverzögerung zu. Dies reicht nach Ansicht des BFH für seinen Anspruch auf Wiedergutmachung aus.

RD a.D. Michael Marfels, Nordkirchen

Verlag Dr. Otto Schmidt vom 16.05.2013 16:32

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