Otto Schmidt Verlag


Sorgfaltspflichten des Unternehmers bei innergemeinschaftlicher Lieferung

Auffällige Unterschiede zwischen der Unterschrift des Abholers unter der Empfangsbestätigung auf der Rechnung und der Unterschrift auf dem vorgelegten Personalausweis können Umstände darstellen, die den Unternehmer zu besonderer Sorgfalt hinsichtlich der Identität des angeblichen Vertragspartners und des Abholers veranlassen müssen. An die Nachweispflichten sind besonders hohe Anforderungen zu stellen, wenn der (angeblichen) innergemeinschaftlichen Lieferung eines hochwertigen Pkw ein Barkauf mit Beauftragten zugrunde liegt. Die innergemeinschaftliche Lieferung von hochwertigen Pkw bei Abholung durch einen Beauftragten gegen Barzahlung birgt eine umsatzsteuerrechtliche Missbrauchsgefahr. Der Unternehmer muss daher alle ihm zur Verfügung stehenden, zumutbaren Maßnahmen, die vernünftigerweise von ihm verlangt werden können, ergriffen haben, um sicherzustellen, dass der von ihm getätigte Umsatz nicht zu seiner Beteiligung an einer Steuerhinterziehung führt.

BFH v. 14.11.2012 – XI R 17/12

Die Klägerin (K) - eine GmbH - betrieb einen Kfz-Handel und lieferte einen Porsche umsatzsteuerfrei an die in Italien ansässige T. Das Fahrzeug wurde durch Vermittlung der Firma S von B bei K abgeholt. B zahlte den Kaufpreis bar und hinterließ auf der Empfangsbestätigung den handschriftlichen Vermerk "Fzg. wird gem. Kaufvertrag vom 21.1.2003 nach Italien ausgeführt". Seine Unterschrift auf der Empfangsbestätigung wies Unterschiede zu der in seinem Personalausweis auf. Nachdem sich herausgestellt hatte, dass T ein Scheinunternehmen war, ging das FA von einer steuerpflichtigen Lieferung aus. K berief sich jedoch auf die Vertrauensschutzregelung des § 6a Abs. 4 UStG, d.h. darauf, dass sie die Unrichtigkeit der Angaben des Abnehmers auch bei Beachtung der größten Sorgfalt eines ordentlichen Kaufmanns nicht habe erkennen können.

Die Revision des FA war begründet und führte zur Zurückverweisung an das FG.

Innergemeinschaftliche Lieferung: Voraussetzung für eine steuerfreie innergemeinschaftliche Lieferung gem. §§ 4 Nr. 1 Buchst. b i.V.m. 6a UStG ist, dass der Unternehmer oder der Abnehmer den Gegenstand der Lieferung in das übrige Gemeinschaftsgebiet befördert oder versendet hat. Als Abnehmer i.S.v. § 6a Abs. 1 Nr. 2 UStG gilt u.a. ein Unternehmer, der den Gegenstand der Lieferung für sein Unternehmen erworben hat. Der Erwerb des Gegenstands der Lieferung muss beim Abnehmer in einem anderen Mitgliedstaat den Vorschriften der Umsatzbesteuerung unterliegen.

Nachweis: Der BFH verwies zunächst darauf, dass es dem Unternehmer obliegt, die Voraussetzungen einer innergemeinschaftlichen Lieferung gem. § 6a Abs. 3 UStG i.V.m. §§ 17a ff. UStDV nachzuweisen. Erfüllt der Unternehmer seine Nachweispflichten nicht, ist von der Steuerpflicht der Lieferung auszugehen.

Abnehmer: Im Urteilsfall handelte es sich bei T um ein Scheinunternehmen, so dass es bereits an dem Nachweis fehlte, wer der wirkliche Abnehmer des Pkw war. Damit lagen die tatbestandlichen Voraussetzungen des § 6a Abs. 1 UStG nicht vor.

Vertrauensschutz: Sind die Voraussetzungen des § 6a Abs. 1 UStG nicht erfüllt, kann die vom Unternehmer als steuerfrei behandelte Lieferung aufgrund der Vertrauensschutzregelung des § 6a Abs. 4 Satz 1 UStG trotzdem steuerfrei sein. Voraussetzung dafür ist, dass die Inanspruchnahme der Steuerbefreiung auf unrichtigen Angaben des Abnehmers beruht und der Unternehmer die Unrichtigkeit dieser Angaben auch bei Beachtung der Sorgfalt eines ordentlichen Kaufmanns nicht erkennen konnte.

Unterschrift: Im Urteilsfall bestanden „auffällige Unterschiede“ zwischen der Unterschrift des B auf dem Empfangsbekenntnis und derjenigen im Personalausweis. Nach Ansicht des BFH kann es sich hierbei um Umstände handeln, die K zu besonderer Sorgfalt hinsichtlich der Identität des angeblichen Vertragspartners und des Abholers hätten veranlassen müssen (vgl. BFH v. 6.11.2008 - V B 126/07, BFH/NV 2009, 234).

Sache nicht spruchreif: Sofern die Lieferung des Porsche nicht der Differenzbesteuerung unterliegt, wird sich das FG nach Meinung des BFH zunächst mit der Frage zu beschäftigen haben, ob K seinen Nachweispflichten nach §§ 17a ff. UStDV vollständig nachgekommen ist. Entscheidend ist insoweit die formelle Vollständigkeit und nicht die inhaltliche Richtigkeit der Beleg- und Buchangaben. Erst dann stellt sich die Frage, ob K mit der erforderlichen kaufmännischen Sorgfalt gehandelt hat. Liegen - wie im Urteilsfall - Zweifel an der Richtigkeit der Angaben des Abnehmers bzw. seines angeblichen Beauftragten vor, besteht nach Ansicht des Senats für den Unternehmer die Verpflichtung, Nachforschungen bis zur Grenze der Zumutbarkeit anzustellen. Handelt es sich um einen Barverkauf eines hochwertigen Pkw, der durch einen Beauftragten abgeholt wird, so besteht ein erhebliches umsatzsteuerrechtliches Missbrauchspotenzial. Nach Meinung des BFH ist dann der Rahmen des Zumutbaren weit zu ziehen.

Beraterhinweis: Liegt der innergemeinschaftlichen Lieferung eines hochwertigen Pkw ein Barkauf zugrunde, so hat sich der Lieferer über den Namen sowie die Anschrift des Abnehmers und des Bevollmächtigten des Abnehmers zu vergewissern und muss entsprechende Belege vorlegen (vgl. BFH v. 15.7.2004 - V R 1/04, BFH/NV 2005, 81). Der liefernde Unternehmer ist jedoch grundsätzlich nicht zur Vorlage einer schriftlichen Vollmacht zum Nachweis der Abholberechtigung des Abholenden verpflichtet. Zu beachten ist aber die Möglichkeit der Nachprüfbarkeit einer Abholberechtigung durch das FA bei Vorliegen konkreter Zweifel im Einzelfall (BFH v. 12.5.2009 - V R 65/06, BStBl. II 2010, 511).

RA Hildegard Billig, Düsseldorf

Service: BFH v. 14.11.2012 – XI R 17/12

Verlag Dr. Otto Schmidt vom 17.04.2013 14:36

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