Otto Schmidt Verlag


Keine Prozesszinsen bei Steuerherabsetzung erst nach Beendigung der Rechtshängigkeit

Ein Anspruch auf Prozesszinsen besteht nicht, wenn eine Steuerherabsetzung erst nach Beendigung der Rechtshängigkeit des finanzgerichtlichen Verfahrens aufgrund eines Vorläufigkeitsvermerks erfolgt, der im Laufe des FG-Verfahrens angebracht worden war.

BFH v. 29.8.2012 – II R 49/11

Die Klägerin (K) ist Alleinerbin der im Jahr 2004 ver-storbenen eingetragenen Lebenspartnerin A. Das FA setzte gegen K durch Bescheid vom 17.10.2005 Erbschaftsteuer unter Zugrundelegung der Steuerklasse III fest. Mit der hiergegen erhobenen Klage begehrte K, den Erbschaftsteuerbescheid unter Anwendung der Steuerklasse I aufzuheben. Im Verlauf des Klageverfahrens erklärte das FA die Steuerfestsetzung durch Änderungsbescheid vom 9.10.2007 wegen der beim BVerfG anhängigen Verfahren in vollem Umfang für vorläufig (§ 165 Abs. 1 AO). Daraufhin erklärten die Beteiligten das Klageverfahren in der Hauptsache für erledigt. Nachdem das BVerfG die Anwendung der Steuerklasse III für mit Art. 3 Abs. 1 GG unvereinbar erklärt und das JStG 2010 für Erwerbe eingetragener Lebenspartner die Anwendung der Steuerklasse I – auch rückwirkend - angeordnet hatte, setzte das FA die Erbschaftsteuer auf 0 € herab und erstattete der K die überzahlte Steuer i.H.v. 40.000 €, lehnte aber den Antrag auf Festsetzung von Prozesszinsen auf den Erstattungsbetrag ab. Die Klage hiergegen war erfolgreich.

Der BFH gab der Revision des FA statt und wies die Klage ab.

Voraussetzungen der Prozesszinsen: Ansprüche aus dem Steuerschuldverhältnis werden nur verzinst, soweit dies gesetzlich vorgeschrieben ist (§ 233 Satz 1 AO). Es gibt keinen allgemeinen Rechtsgrundsatz, dass rückständige Staatsleistungen (angemessen) zu verzinsen sind. Gemäß § 236 Abs. 1 Satz 1 AO entsteht ein Anspruch auf Zahlung von Prozesszinsen, wenn durch eine rechtskräftige gerichtliche Entscheidung oder aufgrund einer solchen Entscheidung eine festgesetzte Steuer herabgesetzt gewährt wird. Dies gilt entsprechend, wenn sich der Rechtsstreit durch Aufhebung oder Änderung des angefochtenen VA oder durch Erlass des beantragten VA erledigt hat (§ 236 Abs. 2 Nr. 1 AO). § 236 AO soll dem Gläubiger eines Erstattungsanspruchs für die Vorenthaltung des Kapitals und der damit verbundenen Nutzungsmöglichkeiten zumindest für die Zeit ab Rechtshängigkeit eine Entschädigung gewähren, wobei der Zinsanspruch erst mit Rechtskraft des FG-Urteils entsteht.

Kausalität zwischen Rechtsstreit und Steuerherabsetzung: Der angestrengte Rechtsstreit muss kausal für die Herabsetzung der Steuer und die nach § 236 AO zu verzinsende Steuererstattung sein. Dieses Erfordernis ist im Streitfall nicht erfüllt.

Steuerherabsetzung hier aufgrund Vorläufigkeitsvermerks: "Durch" eine rechtskräftige gerichtliche Entscheidung (§ 236 Abs. 1 Satz 1 Alt. 1 AO) wird die Steuer herabgesetzt, wenn das Gericht sie unmittelbar selbst nach § 100 FGO niedriger festsetzt. Die Rechtshängigkeit des FG-Verfahrens war hier aufgrund der übereinstimmenden Erledigungserklärungen der Beteiligten bereits im Jahr 2007 entfallen. Grundlage der Herabsetzung der Erbschaftsteuer auf 0 € war allein der dem Erbschaftsteuerbescheid beigefügte Vorläufigkeitsvermerk, der aufgrund des BVerfG-Beschlusses sowie der Änderung des § 15 Abs. 1 Nr. 1 ErbStG durch das JStG 2010 einen Änderungsanspruch der K begründete.

Keine Steuerherabsetzung aufgrund einer Gerichtsentscheidung: Die Erbschaftsteuer wurde auch nicht "aufgrund" einer gerichtlichen Entscheidung (§ 236 Abs. 1 Satz 1 Alt. 2 AO) herabgesetzt. Dies erfolgt nur dann, wenn das FA die Steuer nach Aufhebung des angefochtenen Bescheids durch das Gericht gem. § 100 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 2 Satz 2 FGO weisungsgemäß festsetzt. Dies ist hier nicht erfolgt.

Keine entsprechende Anwendung nach § 236 Abs. 2 Nr. 1 AO: Auch die entsprechende Anwendung des § 236 Abs. 1 AO gem. § 236 Abs. 2 Nr. 1 AO ist nicht möglich, da diese Verweisungsnorm nicht lediglich hinsichtlich der Rechtsfolgen, sondern auch bezüglich des Rechtsgrunds der Verzinsung anwendbar ist. § 236 Abs. 2 Nr. 1 AO enthält eine eigenständige Regelung nur insoweit, als Prozesszinsen auch dann entstehen, wenn der Rechtsstreit nicht durch eine rechtskräftige gerichtliche Entscheidung, sondern durch die Erledigung der Hauptsache oder Rücknahme der Klage beendet wird. Damit erweitert § 236 Abs. 2 Nr. 1 AO die Anwendbarkeit der Vorschrift auf andere Arten der Beendigung eines Finanzrechtsstreits. Die Verweisung auf Abs. 1 hat zur Folge, dass Prozesszinsen nur zuerkannt werden können, wenn der erledigte Rechtsstreit für die Herabsetzung der Steuer ursächlich war, d.h. dem prozessualen Begehren des Steuerpflichtigen aufgrund einer Änderung des angefochtenen Bescheids entsprochen wird, was hier nicht gegeben ist. Das FA hatte dem prozessualen Begehren der K während der Rechtshängigkeit des Klageverfahrens lediglich insoweit entsprochen, als es den angefochtenen Erbschaftsteuerbescheid mit einem Vorläufigkeitsvermerk versehen hatte. Die zur Erstattung führende Änderung des Erbschaftsteuerbescheids ist hingegen -außerhalb des zuvor durch übereinstimmende Erledigungserklärungen erledigten Klageverfahrens - erst durch Änderungsbescheid erfolgt.

Keine Rechtshängigkeit nach Erledigungserklärung - Vorläufigkeitsvermerk allein ursächlich für Steuerherabsetzung: Ein Zinsanspruch aus § 236 Abs. 2 Nr. 1 AO ergibt sich nicht deshalb, weil der Änderungsbescheid mit dem dort angebrachten Vorläufigkeitsver-merk, auf dessen Grundlage die Erbschaftsteuer im Jahr 2011 herabgesetzt wurde, erst im Verlauf des von der K rechtshängig gemachten Klageverfahrens ergangen ist. Die spätere Herabsetzung der Erbschaftsteuer ist letztlich nur eine mittelbare Folge der von der K durch Klageerhebung herbeigeführten Rechtshängigkeit.

Keine analoge Anwendung: Im Streitfall kommt auch eine analoge Anwendung des § 236 Abs. 1 bzw. Abs. 2 Nr. 1 AO mangels planwidriger Unvollständigkeit nicht in Betracht. Unter Berücksichtigung der in § 233 Satz 1 AO getroffenen Regelung hat aber der Zinstatbestand des § 236 AO einen ersichtlich abschließenden Charakter. Der Gesetzgeber hat die Zinspflicht in § 236 Abs. 2 AO auf Tatbestände ausgedehnt, in denen die Steuerherabsetzung nicht unmittelbar durch den gerichtlichen Ausspruch selbst herbeigeführt worden ist. Zudem soll gem. § 236 Abs. 5 AO eine Aufhebung oder Änderung der Steuerfestsetzung nach Abschluss des Rechtsbehelfsverfahrens unberücksichtigt bleiben. Der Gesetzgeber hat daher offensichtlich nicht nur versehentlich auf die Zubilligung des Zinsanspruchs verzichtet, wenn eine Steuerherabsetzung nach Beendigung der Rechtshängigkeit des gerichtlichen Verfahrens aufgrund eines im Laufe des gerichtlichen Verfahrens angebrachten Vorläufigkeitsvermerks erfolgt.

Beraterhinweis: Der BFH stellt deutlich dar, dass Prozesszinsen nur dann entstehen, wenn der Erstattungsanspruch kausal zusammen hängt mit einer Gerichtsentscheidung bzw. der Aufhebung des angefochtenen Bescheids im Laufe des noch anhängigen FG-Verfahrens. Im Streitfall war das FG-Verfahren jedoch durch die übereinstimmende Erledigungserklärung beendet, die nach Änderung des Erbschaftsteuerbescheids durch Einfügung des Vorläufigkeitsvermerks erfolgte. Damit war lediglich der Vorläufigkeitsvermerk ursächlich für die Herabsetzung der Steuer, nicht aber das FG-Verfahren. Für die Praxis ist daher darauf zu achten, dass in ähnlich gelagerten Fällen der Prozess nicht für erledigt erklärt wird, sondern z.B. ausgesetzt wird, bis eine streitige Rechtsfrage in einem Musterprozess entschieden worden sein wird. Nur dann können im Erfolgsfall Prozesszinsen verlangt werden.

RD a.D. Michael Marfels, Nordkirchen

Service: BFH v. 29.8.2012 – II R 49/11

Verlag Dr. Otto Schmidt vom 21.12.2012 12:04

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