Otto Schmidt Verlag


Mindestbesteuerung trotz vorhandener Verlustvorträge ist verfassungsgemäß

Der BFH sieht die Regelungen in § 8 Abs. 1 KStG i.V.m. § 10d Abs. 2 Satz 1 EStG 2002 n.F. für die Körperschaftsteuer und in § 10a Sätze 1 und 2 GewStG 2002 n.F. für die Gewerbe-steuer als verfassungskonform an. Die mit den vorstehenden Vorschriften eingeführten Begrenzungen der Abzugsfähigkeit von Verlustvorträgen bewegen sich innerhalb des Spielraums, der dem Gesetzgeber - gemessen am Maßstab des Gleichheitssatzes gem. Art. 3 Abs. 1 GG - zusteht. Der Grundsatz der Besteuerung nach der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit wird durch eine zeitliche Streckung der Verlustverrechnungsmöglichkeit nicht verletzt. Selbst wenn der Abzug von entstandenen Verlusten im Einzelfall aufgrund dieser Regelung ganz oder teilweise nicht mehr möglich ist, muss dies wegen der für alle Steuergesetze geltenden Typisierung der Besteuerungsnormen hingenommen werden. Es kann nicht verlangt werden, dass für jeden Einzelfall immer ein vollständiger Verlustausgleich mit positiven Einkünften möglich sein muss.

BFH v. 22.8.2012I R 9/11

Eine GmbH erzielte in 2004 Zinseinkünfte und Erträge aus Aktien durch Dividenden und Veräußerungsgewinne. Die letzteren Erträge betrugen rd. 2/3 der Einnahmen. Die Gesellschaft hatte mehrere tausend Gesellschafter und plante ihre aktive Tätigkeit ca. im Jahre 2020 zu beenden. In 2004 hatte sie ein Einkommen von rd. 2 Mio. € und einen Gewerbeertrag i.H.v. rd. 2,3 Mio. €. Vom Einkommen zog das FA von dem zum 31.12.2003 festgestellten Verlustvortrag i.H.v. 36,5 Mio. € ca. 1,6 Mio. € und vom Gewerbeertrag von dem vorhandenen Gewerbeverlust i.H.v. 38,4 Mio. € einen Betrag von 1,8 Mio. € ab. Damit blieben noch steuerpflichtige Beträge von 0,4 Mio. € bei der Körperschaftsteuer und 0,5 Mio. € bei der Gewerbesteuer bestehen. Die Höhe der abzugsfähigen Verlustvorträge war gem. § 8 Abs. 1 KStG 2002 i.V.m. § 10d Abs. 2 Satz 1 EStG 2002 für die Körperschaftsteuer und gem. § 10a Satz 2 GewStG 2002 begrenzt (sog. Mindestbesteuerung). Gegen die Anwendung der Mindestbesteuerung erhob die GmbH Klage, die aber beim FG Berlin-Brandenburg erfolglos blieb. Die dagegen erhobene Revision wies der BFH als unbegründet zurück.

Verlustfeststellung begründet keinen Anspruch auf vollständigen Verlustabzug: Die beiden Verlustarten sind in einem Zeitraum entstanden und auch festgestellt worden, in dem die Mindestbesteuerung noch nicht Gesetz war. Die Abzugsbegrenzung auch für diese „Alt“-Verluste stellt sich nach einer früheren Entscheidung des BFH (BFH v. 11.2.1998 – I R 81/97, BStBl. II 1998, 485) als eine tatbestandliche Rückanknüpfung dar, die nicht gegen das rechtsstaatliche Vertrauensschutzgebot verstößt.

Da es jedem entstandenen Verlust immanent ist, dass eine Verrechnung mit positivem Einkommen/Gewerbeertrag nicht sichergestellt ist, kann auch kein Vertrauen in den Fortbestand einer bestimmten Verlustverrechnungsmöglichkeit erwachsen. Die Verlustverrechnung kann sowohl an fehlenden positiven Einkünften, an einer Liquidation der Gesellschaft vor der Verrechnung, am Tod des Steuerpflichtigen ohne vollständigen Verlustausgleich als auch an zeitlichen Beschränkungen für den Abzug bzw. an der Veränderung der Eigentümerstruktur einer Körperschaft (§ 8c Abs. 1 KStG ab 2008) scheitern.

Kein Verstoß gegen höherrangige Normen des Verfassungsrechts: Der hier in Betracht zu ziehende Maßstab für die Prüfung, ob ein Verstoß gegen Verfassungsrecht vorliegt, ist der Gleichheitsgrundsatz gem. Art. 3 Abs. 1 GG. Hieraus wird das Gebot der Besteuerung nach der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit als auch das Gebot, die Ausgestaltung dieses Prinzips folgerichtig zu regeln, abgeleitet. Daraus hat das BVerfG die Besteuerung nach dem „objektiven“ Nettoprinzip als Grundsatz verlangt (BVerfG v. 12.5.2009 – 2 BvL 1/00, BVerfGE 123, 111). Diese Prinzipien sind auch in das KStG (§ 2 Abs. 2 EStG i.V.m. § 8 Abs. 1 KStG) und in das GewStG (§ 7 Abs. 1 GewStG) übernommen worden.

Gleichzeitig gilt aber für beide Steuerarten das Periodizitätsprinzip (§ 7 Abs. 3 Sätze 1 und 2 KStG sowie § 14 Satz 2 GewStG). Einen Vorrang des Nettoprinzips in dem Sinne, dass der Verlustausgleich auf jeden Fall erfolgen müsse, sieht der BFH aber nicht. Auch wenn die Beschränkung des Verlustausgleichs und damit ein Eingriff in das objektive Nettoprinzip aus Gründen der Verstetigung der Staatseinnahmen vom Gesetzgeber eingeführt wurde, hält dies das BVerfG und mit ihm der BFH für zulässig (BVerfG v. 8.3.1978 – 1 BvR 117, 78, HFR 1978, 293).

Eine zeitliche Streckung des Verlustabzugs ist nach dieser Auffassung nicht zu beanstanden. Eine Verlustabzugsbeschränkung findet ihre Grenze nur in ihrer vollständigen Versagung. Die Möglichkeit des Verlustabzugs ist nicht gleichzusetzen mit einer gem. Art. 14 Abs. 1 GG grundrechtlich geschützten Vermögensposition. Die hiergegen in der Literatur vorgebrachten Einwendungen, insbesondere die Meinung, die Begrenzung des Abzugs pro Kalenderjahr und die damit verbundene zeitliche Streckung des Abzugs sei schon „als solche“ verfassungswidrig (vgl. u. a. Lang in Tipke/Lang, Steuerrecht, 20. Aufl. § 9, Rz. 66), werden vom BFH nicht geteilt.

Der BFH sieht in der eingeführten zeitlichen Streckung des Verlustvortrags die Abzugsfähigkeit in ihrem Kernbereich nicht als gehindert und damit das objektive Nettoprinzip nicht als verletzt an. Dieses Prinzip gewährt dem Gesetzgeber für die Ausgestaltung des Verlustabzugs einen weiten Rahmen, nur ein nach der gesetzlichen Konzeption sicher eintretender Wegfall des Verlustabzugs hätte den dem Gesetzgeber zustehenden Spielraum überschritten.

Beraterhinweis: In der Gestaltungsberatung sollte die Weitergeltung der Mindestbesteuerungsregelung als feste Größe berücksichtigt werden. Wenn dadurch ein endgültiger Wegfall von Verlustverrechnungspotenzial droht, sollten nach Möglichkeit stille Reserven aufgedeckt werden, die evtl. in anderen verbundenen Kapitalgesellschaften zu weiterem Abschreibungspotenzial führen. Auch an Verschmelzungen mit anderen Gesellschaften mit Ansatz der übergehenden Wirtschaftsgüter zum gemeinen Wert oder einem Zwischenwert (§ 11 Abs. 2 Satz 1 UmwStG) kann gedacht werden. Allerdings muss hierbei ein schädlicher Beteiligungserwerb gem. § 8c Abs. 1 KStG vermieden werden.

Es kann kein Zweifel bestehen, dass dieses Urteil auch auf den Verlustabzug bei der Einkommensteuer anzuwenden ist, obwohl der BFH dies vorliegend nicht entscheiden konnte. Er hat aber zu der einkommensteuerlichen Regelung des § 10d Abs. 2 EStG indirekt über § 8 Abs. 1 KStG mitentschieden.

WP/StB Jürgen Dräger, Hamburg

Verlag Dr. Otto Schmidt vom 06.12.2012 17:50

zurück zur vorherigen Seite