Otto Schmidt Verlag


Keine ernstlichen Zweifel an der Verfassungsmäßigkeit der Hinzurechnungen nach § 8 Nr. 1 GewStG 2002 n.F.

Es ist nicht ernstlich zweifelhaft, dass die Hinzurechnungsvorschriften des § 8 Nr. 1 Buchst. a, d, e und f GewStG 2002 n.F. verfassungsmäßig sind.

BFH v. 16.10.2012 – I B 128/12

Die Antragstellerin (A) ist eine GmbH, die ausschließlich in von fremden Dritten angepachteten Gebäuden ein Hotel betreibt. Das FA rechnete dem körperschaftsteuerlichen Verlust Schuldentgelte, Pachtzinsen für bewegliche und unbewegliche, im fremden Eigentum stehende Wirtschaftsgüter und Lizenzgebühren gem. § 7 Satz 1 i.V.m. § 8 Nr. 1 Buchst. a, d, e und f GewStG hinzu, so dass sich insgesamt ein positiver Gewerbeer-trag ergab, der zur Festsetzung eines Gewerbesteuermessbetrags führte. A hält das für verfassungswidrig und sieht sich darin hinsichtlich des § 8 Nr. 1 Buchst. a, d und e GewStG 2002 n.F. durch das entsprechende Normenkontrollersuchen des FG Hamburg an das BVerfG (FG Hamburg v. 29.2.2012 - 1 K 138/10 (EFG 2012, 960) bestätigt. Den gestellten Antrag auf Aussetzung der Vollziehung des Gewerbesteuermessbescheids 2009 lehnten das FA und das hiergegen angerufene FG Köln ab.

Der BFH wies die Beschwerde gegen den FG-Beschluss als unbegründet zurück, da keine ernstlichen Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angefochtenen Bescheids bestehen.

Voraussetzung für eine AdV: Nach § 69 Abs. 3 Satz 1 FGO kann das Gericht der Hauptsache die Vollziehung eines angefochtenen Verwaltungsakts ganz oder teilweise aussetzen, wenn u.a. ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angefochtenen Verwaltungsakts bestehen, die bereits dann vorliegen, wenn bei summarischer Prüfung neben für die Rechtmäßigkeit des Bescheids sprechende Umstände gewichtige Gründe zutage treten, die Unentschiedenheit oder Unsicherheit in der Beurteilung von Rechtsfragen oder Unklarheit in der Beurteilung entscheidungserheblicher Tatfragen bewirken.

Keine ernsthaften Zweifel im Streitfall: Solche ernstlichen Zweifel fehlen im Streitfall. Sie ergeben sich nach Auffassung der Vorinstanz auch nicht aus dem Vorlagebeschluss des FG Hamburg, da nach der gebotenen summarischen Prüfung die Vorlage offenkundig unbegründet ist. Der BFH hält – entgegen dem o.g. Vorlagebeschluss - die erwähnten Hinzurechnungsregelungen nicht für verfassungswidrig. Vielmehr hält er es für sicher, dass diese und damit auch der angefochtene Gewerbesteuermessbescheid keine für die Gewährung der AdV hinreichend qualifizierten verfassungsrechtlichen Bedenken aufwerfen.

Bisherige Rechtsprechung des BVerfG und Auffassung des FG Hamburg: Das BVerfG musste sich schon wiederholt mit der Gültigkeit der Gewerbesteuer als solcher ebenso wie mit der Hinzurechnung sog. Dauerschuldentgelte nach § 8 Nr. 1 GewStG a.F. befassen. Es hat festgestellt, dass weder das eine, die Gewerbesteuer als solche noch das andere, die Hinzurechnung der Dauerschuldentgelte, gegen verfassungsrechtliche Grundsätze verstoßen. Das FG Hamburg ist vor dem Hintergrund der Entwicklung der Gewerbesteuer aus Sicht des FG fort von einer sog. Objekt- und hin zu einer weiteren "normalen" Ertragsteuer und vor dem Hintergrund der zwischenzeitlich neuformulierten Hinzurechnungsregelungen in § 8 Nr. 1 Buchst. a, d und e GewStG 2002 n.F. zu einer Neubewertung der verfassungsrechtlichen Einschätzung und zugleich zu der Überzeugung gelangt, dass die besagten Hinzurechnungsregelungen nunmehr den Anforderungen, die an die Grundsätze einer gleichheitsgerechten Besteuerung zu stellen sind, nicht mehr genügten. Der BFH schließt sich dem auf der Grundlage der verfestigten Spruchpraxis des BVerfG nicht an.

Maßgebende Rechtsprechung des BVerfG: Der BFH folgt vielmehr der maßgebenden Rechtsprechung des BVerfG. Hiernach zeigt die mehrfache Erwähnung der Gewerbesteuer in Art. 106 Abs. 6 GG und die Entstehungsgeschichte dieser Vorschrift, dass der verfassungsändernde Gesetzgeber jedenfalls keinen Anlass für grundsätzliche verfassungsrechtliche Zweifel an der Gewerbesteuer gesehen hat. Die Gewerbesteuer ist folglich in ihrer Grundstruktur als vornehmlich auf den Ertrag des Gewerbebetriebs gerichtete Objektsteuer (strukturelle Ertragsorientierung) verfassungsrechtlich gerechtfertigt. Auch wenn sich diese Orientierung im Laufe der Zeit durch Entscheidungen des BVerfG verstetigt hat, hat sich hierdurch jedoch der Charakter der Gewerbesteuer als einer Steuer, die aufgrund einer gegenüber den "reinen" Ertragsteuern verobjektivierten Bemessungsgrundlage errechnet wird, nicht geändert. Eine Entwicklung hin zu einer ebenfalls "reinen" Ertragsteuer ist nicht ersichtlich. Die Gegenüberstellung der seit jeher widerstreitenden Besteuerungsgrundsätze - Ist-Leistungsfähigkeit und objektives Nettoprinzip hier, Soll-Leistungsfähigkeit und ertragsorientiertes Objektsteuer- und Äquivalenzprinzip dort - durch das FG Hamburg darf nicht darüber hinwegtäuschen, dass sich das FG letztlich gegen die Gewerbesteuer als solche wendet.

Kein Verstoß gegen das Folgerichtigkeitsgebot: Das gilt auch, soweit das FG Hamburg sein Normenkontrollersuchen mit dem verfassungsrechtlichen Gebot der Folgerichtigkeit begründet. Hiernach hat der Gesetzgeber bei der Auswahl des Steuergegenstands zwar einen "weitreichenden Entscheidungsspielraum", muss aber bei der Ausgestaltung dieses "Ausgangstatbestands" die "einmal getroffene Belastungsentscheidung" "folgerichtig im Sinne der Belastungsgleichheit" umsetzen. Abweichungen bedürfen eines "besonderen rechtfertigenden Grundes"; sie unterliegen also verschärften, über das bloße Willkürverbot hinausgehenden Rechtfertigungsanforderungen. Es ist aber nicht erkennbar, dass und inwiefern die prinzipielle "Belastungsentscheidung" des Gesetzgebers des GewStG zugunsten einer "ertragsorientierten Objektsteuer" durch die Hinzurechnungsvorschriften in ihrer nunmehrigen Fassung des § 8 Nr. 1 GewStG 2002 n.F. eine veränderte Ausgangslage im vorgenannten Sinne erfahren hätte. Blieb deren bisherige Ausformung in Gestalt von § 8 Nr. 1 GewStG a.F. in verfassungs- und insbesondere gleichheitsrechtlicher Hinsicht unbeanstandet, dann kann für die jetzige Regelung nichts anderes gelten. Vielmehr ist durch die erstmals erfassten Fallgruppen der Miet- und Pachtzinsen für die Benutzung unbeweglicher Wirtschaftgüter sowie der Aufwendungen für die zeitlich befristete Überlassung von Rechten in § 8 Nr. 1 Buchst. e und f GewStG 2002 n.F. die Entscheidung für eine "verobjektivierte" Bemessungsgrundlage sogar verbreitert und ausgebaut worden. Die Belastungsentscheidung als solche und die diese tragende Rechtfertigung haben infolgedessen unverändert Bestand.

Typisierungen zulässig: Das gilt auch für die gesetzlich festgelegten Typisierungen hinsichtlich der Hinzurechnungen. Diese betrugen ursprünglich 100 % und sind zwischenzeitlich für die einzelnen Hinzurechnungstatbestände fortschreitend in differenzierter Weise auf die Hälfte, ein Viertel oder ein Fünftel der hinzuzurechnenden Beträge deutlich verringert worden, um der Kritik an der vollen Hinzurechnung entgegen zu kommen. Es besteht in Anbetracht der nach wie vor verfassungskonformen gewerbesteuerrechtlichen Grundentscheidung keine Veranlassung, die abgesenkten Hinzurechnungsbeträge als einen Eingriff in die gleichheitsgerechte Besteuerung und in den Schutz des Eigentums zu beurteilen. Die Hinzurechnung ist dadurch nicht zur "Ausnahme von der Regel" geworden und der Gesetzgeber ist angesichts der nach wie vor "durchgehaltenen" Grundentscheidung einer ertragsorientierten Objektsteuer auch nicht gehalten, die typisierten Hinzurechnungsquoten, beispielsweise nach Maßgabe eines bestimmten Refinanzierungssatzes, zu "dynamisieren", um eine Hinzurechnung nur zu einem "marktüblichen Zinsanteil" zu gewährleisten.

Überwiegende Bejahung der Verfassungsmäßigkeit: Nach allem verwundert es denn nicht, dass unbeschadet einer nach wie vor kritischen verfassungsrechtlichen Diskussion in der Wissenschaft eine Verfassungswidrigkeit auch der Neuregelungen durchweg verneint worden ist. Die die Verfassungswidrigkeit bejahenden Stimmen berufen sich lediglich auf den Vorlagebeschluss des FG Hamburg, der aber keine neuen belastbaren Gesichtspunkte erkennen lässt, die zu einer Abweichung von der Spruchpraxis des BVerfG führen könnten. Es liegen vor allem keine neuen, bisher unerörtert gebliebenen Gesichtspunkte dazu vor, dass die Gewerbesteuer ihren Realsteuercharakter verloren hätte und deswegen keine nach Art. 106 Abs. 6 GG zulässige Steuer mehr darstellte. Der BFH geht deswegen bei summarischer Prüfung davon aus, dass das Normenkontrollersuchen des FG Hamburg erfolglos bleiben wird.

Beraterhinweis: Der BFH hält den Vorlagebeschluss des FG Hamburg für offensichtlich unbegründet, so dass für ihn keine ernsthaften Zweifel an der Verfassungsmäßigkeit der Hinzurechnungsregelungen und damit an der Rechtmäßigkeit des angefochtenen Gewerbesteuermessbescheids bestehen. Er folgt damit der gefestigten Rechtsprechung des BVerfG zum Charakter der Gewerbesteuer als Objektsteuer, der durch die neugefassten Hinzurechnungsregelungen nicht tangiert wird.

RD a.D. Michael Marfels, Nordkirchen

Service: BFH v. 16.10.2012 – I B 128/12

Verlag Dr. Otto Schmidt vom 22.11.2012 16:51

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