Otto Schmidt Verlag


Zur Aufrechnung von USt-Forderungen im Insolvenzverfahren

Können wegen Eröffnung eines Insolvenzverfahrens positive Umsatzsteuerbeträge und negative Berichtigungsbeträge (§ 16 Abs. 2 UStG) im Rahmen einer Steuerfestsetzung durch Bescheid des FA nicht mehr saldiert werden, erledigt sich der Streit um die Wirksamkeit einer hinsichtlich dieser Beträge vom FA abgegebenen Aufrechnungserklärung, sobald die Steuer für das mit Insolvenzeröffnung endende (Rumpf-)Steuerjahr berechnet werden kann und nicht ausnahmsweise von der Aufrechnungserklärung als solcher fortbestehende Rechtswirkungen ausgehen, welche die Rechte des Schuldners berühren.

Da ein über die Wirksamkeit der Aufrechnung ergangener Abrechnungsbescheid in der Regel die Feststellung enthält, dass aufgrund der Berichtigung entstehende Vergütungsbeträge oder Erstattungsbeträge nicht auszukehren sind, bleibt eine Klage gegen den Abrechnungsbescheid zulässig. Ist der Berichtigungstatbestand vor Eröffnung des Insolvenzverfahrens eingetreten, ist der Abrechnungsbescheid aufgrund des § 16 UStG ungeachtet des § 96 Abs. 1 InsO als rechtmäßig zu bestätigen.

BFH v. 25.7.2012 – VII R 44/10
BFH v. 25.7.2012 – VII R 29/11

Über das Vermögen der M-GmbH war am 1.1.2002 das Insolvenzverfahren eröffnet worden. Von der Schuldnerin im Jahr 2001 abgegebene Umsatzsteuervoranmeldungen hatten aufgrund hoher Vorsteuern in allen Monaten zu Vergütungsbeträgen geführt. Das FA hatte die Umsatzsteuer für den Monat August 2001 - aufgrund des Antrags auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens im August 2001 - abweichend von den Voranmeldungen Januar bis August 2001 festgesetzt. Diese Umsatzsteuerforderung verrechnete es mit den Vergütungsansprüchen für September bis Dezember 2001. In einem Abrechnungsbescheid stellte das FA fest, dass die Umsatzsteuererstattungsansprüche aus den Voranmeldungen für September bis Dezember 2001 durch Verrechnung erloschen seien.

Die Revision des Insolvenzverwalters (K) war unbegründet. Der BFH betrachtete die in dem angefochtenen Abrechnungsbescheid getroffene Feststellung, dass die Umsatzsteuervergütungsansprüche September bis Dezember 2001 nicht an K auszukehren seien, als rechtmäßig.

Wirkung des Jahressteuerbescheids: Der Senat wies zunächst darauf hin, dass das materielle Ergebnis der in einem Kalenderjahr positiv oder negativ entstandenen Umsatzsteuer vom Zeitpunkt des Ergehens des Jahressteuerbescheids an ausschließlich in diesem festgestellt wird. Konsequenz ist, dass sich die den VZ betreffenden Vorauszahlungsbescheide i.S.d. § 124 Abs. 2 AO auf andere Weise erledigen und ihre Wirksamkeit verlieren. Für nach § 168 AO mit Festsetzungswirkung ausgestattete Anmeldungen muss nach Meinung des Senats Entsprechendes gelten. Daran ändert sich nichts, wenn aufgrund eines Insolvenzverfahrens - wie im Urteilsfall - keine Steuer festgesetzt werden kann und das FA nur die Möglichkeit hat, die Steuer zu berechnen und zur Tabelle anzumelden. Auch dann ist für das Steuerschuldverhältnis die nach dem UStG zu berechnende Jahressteuer maßgeblich, sobald die Jahressteuer entstanden ist und berechnet werden kann.

Berechnung der Jahressteuer: Bei der Steuerberechnung sind nach § 16 Abs. 2 UStG die in den betreffenden Besteuerungszeitraum fallenden abziehbaren Vorsteuerbeträge abzusetzen. Nach Ansicht des BFH verwirklicht sich dies „gleichsam automatisch“, denn die Jahressteuer besteht nur insoweit, als der nach § 16 Abs. 1 UStG berechneten Steuer keine abziehbaren Vorsteuerbeträge gegenüberstehen.

Abrechnungsbescheid: Die im Abrechnungsbescheid getroffene Feststellung, dass die vom FA erklärte Aufrechnung wirksam sei, war nach Meinung des BFH gegenstandslos. Dies ergab sich daraus, dass die betreffenden Beträge in die Jahressteuer eingegangen und nach Maßgabe des § 16 UStG zu saldieren waren. Insolvenzrechtliche Vorschriften standen dem nicht entgegen.

Rechtsschutzbedürfnis: Ein Rechtsschutzbedürfnis für die Überprüfung der Verrechnung vorauszuzahlender Steuern war im Urteilsfall nicht gegeben. Dieses besteht - so der BFH - nur dann, wenn Rechtswirkungen einer Vorauszahlungsfestsetzung bestehen bleiben, welche diese als solche ausgelöst hat.

Zulässigkeit der Klage: Obwohl die in dem Abrechnungsbescheid getroffene Feststellung, dass die vom FA erklärte Aufrechnung wirksam sei, gegenstandslos geworden ist, war die Klage des K zulässig. Das folgte daraus, dass durch den Abrechnungsbescheid auch geklärt worden ist, dass K keine Vergütung oder Erstattung beanspruchen konnte. Diese Feststellung war jedoch rechtmäßig, da der Anspruch auf Absetzung der Vorsteuerbeträge aufgrund der Saldierung nach § 16 Abs. 2 UStG erloschen war und das Aufrechnungsverbot des § 96 Abs. 1 InsO dem nicht entgegenstand.

Rechtsprechungsänderung: Abschließend verwies der Senat auf sein Urteil vom 25.7.2012 (BFH v. 25.7.2012 - VII R 29/11). Dort kam er im Rahmen einer Rechtsprechungsänderung zu dem Ergebnis, dass für die Anwendung des Aufrechnungsverbots des § 96 Abs. 1 Nr. 1 InsO entscheidend ist, wann der materiell-rechtliche Berichtigungstatbestand des § 17 Abs. 2 UStG verwirklicht wird. Ohne Belang ist insoweit, wann die zu berichtigende Steuerforderung begründet worden ist. Nach § 96 Abs. 1 Nr. 1 InsO ist eine Aufrechnung unzulässig, wenn ein Insolvenzgläubiger erst nach der Eröffnung des Insolvenzverfahrens etwas (z.B. verrechnete Berichtigungsbeträge) zur Insolvenzmasse schuldig geworden ist. Wird - z.B. aufgrund der Zahlungsunfähigkeit des Unternehmers - ein Berichtigungstatbestand des § 17 Abs. 2 UStG vor Eröffnung des Insolvenzverfahrens verwirklicht, so ist es bezüglich des Aufrechnungsverbots unwesentlich, wenn der Voranmeldungs- oder Besteuerungszeitraum erst während des Insolvenzverfahrens endet und die Steuer erst nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens entsteht. Belanglos ist nach Ansicht des BFH auch, wann die Abgabe einer Steueranmeldung oder der Erlass eines Steuerbescheids erfolgt.

Beraterhinweis: Ausschlaggebend für die Rechtsprechungsänderung des VII. Senats war die Haltung des V. Senats hinsichtlich der Abgrenzung zwischen Masseverbindlichkeiten und Insolvenzforderungen (BFH v. 8.3.2012 - V R 24/11, BStBl. II 2012, 466). Diese bestimme sich danach, ob der den Umsatzsteueranspruch begründende Tatbestand nach den steuerrechtlichen Vorschriften bereits vor oder erst nach Insolvenzeröffnung vollständig verwirklicht worden sei. Das Aufrechnungsverbot des § 96 InsO steht einer Saldierung nach § 16 UStG (vgl. BFH v. 25.7.2012 - VII R 44/10) deswegen nicht entgegen, weil die Steuerberechnung keine Aufrechnung darstellt (BFH v. 24.11.2011 - V R 13/11, BStBl. II 2012, 298).

RA Hildegard Billig, Düsseldorf

Service: BFH v. 25.7.2012 – VII R 44/10, BFH v. 25.7.2012 – VII R 29/11

Verlag Dr. Otto Schmidt vom 07.11.2012 13:36

zurück zur vorherigen Seite