Otto Schmidt Verlag


Bauzeitzinsen als Herstellungskosten

Sind Bauzeitzinsen während der Herstellungsphase nicht als (vorab entstandene) Werbungskosten abziehbar, können sie nach § 255 Abs. 3 Satz 2 HGB in die Herstellungskosten des Gebäudes einbezogen werden, wenn das fertiggestellte Gebäude durch Vermietung genutzt wird.

BFH v. 23.5.2012IX R 2/12

Der Kläger (K) erwarb im Jahr 2001 ein unbebautes Grundstück, das er ab 2002 mit einem im Streitjahr (2008) fertiggestellten Mehrfamilienhaus bebaute, das veräußert werden sollte, das aber ab Fertigstellung vermietet wurde, weil ein Verkauf bis Ende Juni 2005 nicht möglich war. K finanzierte Grundstück und Herstellung mit Darlehen. Die Finanzierungsaufwendungen für das Mehrfamilienhaus (Bauzeitzinsen) wurden in den Jahren 2001 bis Juni 2005 wegen des beabsichtigten Verkaufs nicht als vorab entstandene WK bei den Vermietungseinkünften berücksichtigt. Erst ab Juli 2005, dem Beginn der Vermietungsabsicht, wurden die Darlehenszinsen als WK anerkannt. K machte für 2008 AfA geltend für die HK unter Einbeziehung der nicht als WK zu berücksichtigenden Darlehenszinsen. Das FA minderte die Bemessungsgrundlage um die Darlehenszinsen. Das FG erhöhte die Bemessungsgrundlage um die Bauzeitzinsen. Der BFH wies die Revision des FA als unbegründet zurück.

Steuerliche Behandlung von Bauzeitzinsen: Aufwendungen, die bei der Einkunftsart VuV erwachsen bzw. durch sie veranlasst sind, können dann nicht als WK  sofort abgezogen werden, wenn es sich um Herstellungskosten (HK) handelt. Welche Aufwendungen zu den HK zählen, bestimmt sich auch für die Einkünfte aus VuV nach § 255 Abs. 2 HGB. Danach sind HK die Aufwendungen, die durch den Verbrauch von Gütern und die Inanspruchnahme von Diensten u.a. für die Herstellung eines Wirtschaftsguts (WG) entstehen. Zinsen für Fremdkapital gehören nicht zu den HK (§ 255 Abs. 3 Satz 1 HGB). Wird das Fremdkapital indes zur Finanzierung der Herstellung eines WG verwendet, dürfen die Zinsen als HK angesetzt werden, soweit sie auf den Zeitraum der Herstellung entfallen (Bauzeitzinsen); sie gelten dann nach § 255 Abs. 3 Satz 2, 2. Halbsatz HGB als Herstellungskosten des WG.

Einbeziehungswahlrecht bei Gewinnermittlern: Dieses handelsrechtliche Einbeziehungswahlrecht wird auch einkommensteuerlich gewährt (R 6.3 Abs. 4 Satz 1 EStR), und zwar für solche bilanzierenden Steuerpflichtige, die ihren Gewinn nach § 4 Abs. 1, § 5 EStG ermitteln. Dasselbe muss nach dem Prinzip der Gesamtgewinngleichheit auch für nicht bilanzierende Steuerpflichtige gelten, die ihren Gewinn durch Einnahme-Überschuss-Rechnung (§ 4 Abs. 3 EStG) ermitteln

Auch bei Überschusseinkunftsart: Bauzeitzinsen sind auch bei Steuerpflichtigen, die ihre Einkünfte durch den Überschuss der Einnahmen über die WK ermitteln, in die HK einzubeziehen, und zwar jedenfalls dann, wenn sie nicht schon im Zeitpunkt ihrer Leistung als Werbungskosten abziehbar sind.

Gleichbehandlung der AfA bei Gewinn- und Überschusseinkünften: Nach der BFH-Rechtsprechung sind die AfA für den Bereich der Überschusseinkünfte nach den gleichen Grundsätzen zu bestimmen, die für die Gewinneinkünfte gelten, so dass die HK als Grundlage für die Bemessung der AfA bei den Überschusseinkünften nicht in anderer Weise als bei den Gewinneinkünften ermittelt werden dürfen. Eine unterschiedliche Auslegung der Begriffe für die Bereiche des Betriebsvermögens einerseits und des Privatvermögens andererseits ist danach zwar nicht ohne Weiteres ausgeschlossen; sie bedarf jedoch der Rechtfertigung durch unabweisbare gesetzessystematische Gründe.

Keine Begründung für Ungleichbehandlung: Es kann dahinstehen, ob es die im Zu- und Abflussprinzip gründende Systematik des Gesetzes verhindert, solche Zinsen in die HK einzubeziehen, die bereits bei ihrer Leistung (§ 11 Abs. 2 EStG) als (vorab entstandene) WK nach § 9 Abs. 1 Satz 3 Nr. 1 EStG absetzbar sind. Denn ein derartiger Fall liegt nicht vor, wenn das hergestellte Gebäude ‑ wie im Streitfall ‑ zunächst veräußert werden sollte und der Steuerpflichtige es erst kurz vor Fertigstellung in einen steuerrechtlich bedeutsamen Zusammenhang mit der Einkunftsart VuV bringt. Hier sind die Zinsen im Leistungszeitpunkt keine WK und mithin nicht nach § 9 Abs. 1 Satz 3 Nr. 1 EStG absetzbar.

Erheblichkeit der Bauzeitzinsen: Die Bauzeitzinsen sind nicht von vornherein steuerrechtlich unerheblich, weil der Steuerpflichtige in der Herstellungsphase zunächst keine steuerrechtlich bedeutsamen Zwecke verfolgte. Ist die AfA gemäß § 7 EStG dazu bestimmt, seine Aufwendungen in Gestalt von Anschaffungs- oder Herstellungskosten für das jeweilige WG typisierend periodengerecht zu verteilen  und ist das Jahr der Herstellung nach § 9a EStDV das Jahr der Fertigstellung, so kommt es maßgebend darauf an, dass der Steuerpflichtige das hergestellte Gebäude - als WG - zur Erzielung von Einkünften nutzt. Tut er dies, tritt ein während der Herstellungsphase verfolgter - nicht steuerrechtlich erheblicher - Zweck in den Hintergrund.

Beachtung des Gleichheitsgebots: Unter diesen Voraussetzungen widerspräche es dem Grundsatz der Gleichbehandlung des Gleichartigen, wenn man bei Steuerpflichtigen mit Gewinneinkunftsarten die Bauzeitzinsen in die Bemessungsgrundlage einbezieht, es den Steuerpflichtigen mit Überschusseinkünften aber trotz in gleicher Weise geminderter Leistungsfähigkeit verwehrte.

Keine Abweichung von bisheriger Rechtsprechung: Mit dieser Rechtsansicht weicht der Senat nicht von seiner Rechtsprechung in einem Fall ab, in dem die Zinsaufwendungen als WK nach § 9 Abs. 1 Satz 3 Nr. 1 EStG wegen der von Anfang an beabsichtigten Vermietung abziehbar waren. Es mag dahinstehen, ob und inwieweit der Senat an dieser noch vor Ergehen des Beschlusses des GrS in BStBl. II 1990, 830 gefällten Entscheidung festhalten kann.

Beraterhinweis: Bauzeitzinsen sind eigentlich keine HK des fremdfinanzierten Gebäudes, sondern sofort abzugsfähige BA. Das handelsrechtliche Wahlrecht, diese als HK zu behandeln, gilt auch im Steuerrecht, und zwar für bilanzierende Steuerpflichtige und für Gewinnermittler nach § 4 Abs. 3 EStG. Der BFH hat nun entschieden, dass dieses Wahlrecht auch für die Überschusseinkunftsarten gilt, also vor allem für die VuV-Einkünfte. Da die Bauzeitzinsen im Streitfall nicht als WK abgezogen worden waren wegen der beabsichtigten Veräußerung und bei Beginn der Vermietungsabsicht nicht mehr wegen des Abflussprinzips angesetzt werden konnten, sind sie zwangsläufig als Teil der HK und damit der AfA-Bemessungsgrundlage zu berücksichtigen. Offen bleibt die Frage, ob das Wahlrecht auch besteht, wenn der Steuerpflichtige bei Zahlung der Bauzeitzinsen die Vermietungsabsicht hat. Nach der bisherigen Rechtsprechung mussten diese als vorab entstandene WK angesetzt werden. Der BFH hält offensichtlich an dieser Rechtsprechung nicht mehr fest, so dass auch bei bestehender Vermietungsabsicht die Bauzeitzinsen nicht als WK, sondern als Teil der HK geltend gemacht werden können.

RD a.D. Michael Marfels, Nordkirchen

 

Verlag Dr. Otto Schmidt vom 26.07.2012 17:18

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