Otto Schmidt Verlag


Aufwendungen für die Sanierung eines Gebäudes als außergewöhnliche Belastung

Aufwendungen für die Sanierung eines selbst genutzten Wohngebäudes, nicht aber die Kosten für übliche Instandsetzungs- und Modernisierungsmaßnahmen oder die Beseitigung von Baumängeln, können als außergewöhnliche Belastung zu berücksichtigen sein.

BFH v. 29.3.2012 – VI R 21/11
BFH v. 29.3.2012 –VI R 70/10
BFH v. 29.3.2012 –VI R 47/10

Die Kläger im Verfahren VI R 21/11 erwarben im Jahr 2000 ein 1973 errichtetes Fertighaus, das im Wesentlichen aus Holz bestand. Später stellte sich heraus, dass Teile mit Holzschutzmittel imprägniert waren. Zudem war die Außenfassade mit asbesthaltigen Faserzementplatten verkleidet; dahinter befanden sich formaldehydhaltige Spanplatten. Die Tochter der Kläger befand sich deswegen seit 2006 mit Atembeschwerden in ärztlicher Behandlung. Im Streitjahr 2008 wurde die Fassade des Gebäudes für mehr als 30.000 € saniert. Diese Aufwendungen machten die Kläger als außergewöhnliche Belastungen geltend. Dies lehnte das FA ab und berücksichtigte lediglich eine Steuerermäßigung nach § 35a EStG.

In dem Verfahren VI R 70/10 hatte die Klägerin im Jahr 2002 eine Eigentumswohnung in einem 1900 erbauten Haus erworben. Die Wohnung war mit Echtem Hausschwamm befallen. Dieser war schon so weit fortgeschritten, dass eine umfassende Sanierung für über 10.000 € notwendig war. Versicherungsleistungen oder Schadensersatzleistungen erhielt die Klägerin nicht. Die Aufwendungen machte die Klägerin im Streitjahr 2007 erfolglos als außergewöhnliche Belastungen geltend.

Im Verfahren VI R 47/10 bewohnte die Klägerin ein im Jahr 1976 errichtetes Reihenhaus. Das Dach bestand aus Asbestzement-Wellplatten, die im Streitjahr 2005 durch eine Eindeckung mit Ziegeln ersetzt wurden. Die Klägerin machte die von ihr gezahlten Aufwendungen als außergewöhnliche Belastung geltend. Die Sanierung sei wegen Korrosionserscheinungen unabwendbar gewesen. Zudem hätten die Asbestzement-Wellplatten wegen der Sanierung des Nachbardachs zerschnitten werden müssen, wenn die Klägerin keine Sanierung hätte durchführen lassen. Eine Gesundheitsgefährdung sei durch die damit verbundene Freisetzung von Asbest unausweichlich gewesen. Das FA lehnte eine entsprechende Berücksichtigung ab.

Im ersten Fall wies die Vorinstanz (FG Niedersachsen v. 17.2.2011 – 14 K 425/09, StBW 2011, 875) die Klage ab. In den beiden weiteren Fällen (FG Niedersachsen v. 17.8.2010 – 12 K 10270/09, EFG 2011, 134 und FG Rheinland-Pfalz v. 12.11.2009 – 6 K 2314/07, EFG 2011, 33) gaben die Vorinstanzen den Klagen überwiegend bzw. im vollen Umfang statt. Die Revision der Kläger im ersten Fall war erfolgreich, die des FA im zweiten Fall hingegen nicht.

Im letzten Fall wies der VI. Senat des BFH die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das FG zurück. Nach Ansicht des BFH können auch Aufwendungen für die Sanierung eines Gebäudes zu den außergewöhnlichen Belastungen gehören, wenn durch die Baumaßnahmen konkrete Gesundheitsgefährdungen, etwa durch ein asbestgedecktes Dach (Verfahren VI R 47/10), abgewehrt, Brand-, Hochwasser- oder ähnlich unausweichliche Schäden, beispielsweise durch den Befall eines Gebäudes mit Echtem Hausschwamm (Verfahren VI R 70/10) beseitigt oder vom Gebäude ausgehende unzumutbare Beeinträchtigungen (Geruchsbelästigungen, Verfahren VI R 21/11) behoben werden.

Gegenstände des existenznotwendigen Bedarfs: Gehen von einem Gegenstand des existenznotwendigen Bedarfs konkrete Gesundheitsgefährdungen aus, entstehen die Aufwendungen zur Beseitigung dieser Gefährdung dem Steuerpflichtigen aus tatsächlichen Gründen zwangsläufig (§ 33 Abs. 2 Satz 1 EStG) und sind deshalb grundsätzlich als außergewöhnliche Belastung abziehbar. Beachten Sie: Die tatsächliche Zwangsläufigkeit von Aufwendungen zur Beseitigung von Asbest ist nicht anhand der abstrakten Gefährlichkeit von Asbestfasern zu beurteilen. Erforderlich sind zumindest konkret zu befürchtende Gesundheitsgefährdungen.

Kein Verschulden: Aufwendungen zur Beseitigung konkreter Gesundheitsgefährdungen sind nur dann abziehbar, wenn den Grundstückseigentümer kein Verschulden an der Belastung trifft, die Belastung für ihn zum Zeitpunkt des Grundstückserwerbs nicht erkennbar war und realisierbare Ersatzansprüche gegen Dritte nicht gegeben sind. Ein Verschulden des Grundstückseigentümers kann auch dann anzunehmen sein, wenn die von einem Gegenstand des existenznotwendigen Bedarfs ausgehenden konkreten Gesundheitsgefährdungen auf einen Dritten zurückzuführen sind und er die Durchsetzung realisierbarer zivilrechtlicher Abwehransprüche unterlässt. Denn dadurch hätte sich der Steuerpflichtige den Aufwendungen entziehen können. Beachten Sie: Ein Verschulden des Steuerpflichtigen an dem eingetretenen Vermögensschaden ist jedenfalls nach bisheriger Rechtsprechung des BFH auch bei dem Unterlassen des Abschlusses einer allgemein zugänglichen und üblichen Versicherung anzunehmen.

Keine Beseitigung von Baumängeln: An der Außergewöhnlichkeit kann es fehlen, wenn die Sanierungsaufwendungen infolge von Baumängeln notwendig werden. Denn Schadensbeseitigungskosten, die durch Baumängel verursacht worden sind, sind nicht unüblich, da es sich hierbei erfahrungsgemäß nicht um ein ungewöhnliches Ereignis handelt, das etwa mit einem Hochwasserschaden vergleichbar ist.

Vorteilsanrechnung: Tauscht der Steuerpflichtige gesundheitsgefährdende Gegenstände des existenznotwendigen Bedarfs aus, so steht die Gegenwertlehre dem Abzug der Aufwendungen nicht entgegen. Der sich aus der Erneuerung ergebende Vorteil ist jedoch anzurechnen ("Neu für Alt").

Beraterhinweis: Der BFH hat in seinen Entscheidungen darauf hingewiesen, dass bei Aufwendungen zur Beseitigung konkreter von einem Gegenstand des existenznotwendigen Bedarfs ausgehender Gesundheitsgefahren ein vor Durchführung dieser Maßnahmen erstelltes amtliches technisches Gutachten nicht erforderlich ist. Gleichwohl hat der Steuerpflichtige nachzuweisen, dass er sich den Aufwendungen aus tatsächlichen Gründen nicht entziehen konnte. Beachten Sie: Als Nachweispflichtiger trägt der Steuerpflichtige das Risiko, dass im Nachhinein die Zwangsläufigkeit möglicherweise nicht mehr verlässlich festgestellt werden kann. Auf eine rechtzeitige Beweisvorsorge sollte daher geachtet werden.

Dipl.-Finw. Martin Hilbertz, Neuwied

Service: BFH v. 29.3.2012 - VI R 21/11, BFH v. 29.3.2012 - VI R 70/10, BFH v. 29.3.2012 - VI R 47/10

Verlag Dr. Otto Schmidt vom 25.06.2012 10:53

zurück zur vorherigen Seite