Otto Schmidt Verlag


Grundsteuererlass wegen wesentlicher Ertragsminderung

Die mit Wirkung ab dem Kalenderjahr 2008 erfolgte Neuregelung des Erlasses von Grundsteuer wegen wesentlicher Ertragsminderung verstößt nicht gegen die verfassungsrechtlichen Anforderungen an Steuergesetze und deren Rückwirkung. Die Prüfung der Verfassungsmäßigkeit der Einheitsbewertung erfolgt in diesem Zusammenhang nicht.

BFH v. 18.4.2012 – II R 36/10

Der Kläger (K) ist Eigentümer eines mit einem Bürogebäude bebauten Grundstücks, das im Jahr 2008 nur teilweise vermietet war. Sein Antrag auf einen Teilerlass der Grundsteuer für dieses Jahr wegen einer Minderung des normalen Rohertrags um 44 % gem. § 33 GrStG a.F. wurde vom FA und vom FG abgelehnt, da nach dem gem. Art. 38 Nr. 2 JStG 2009 ab 1.1.2008 geltenden § 33 Abs. 1 GrStG n.F. der Erlass eine Minderung des normalen Rohertrags um mehr als 50 % voraussetzt.

Der BFH wies die Revision des K als unbegründet zurück.

Keine ausreichende Minderung des Rohertrags: Unstreitig war der Rohertrag im Jahr 2008 nicht um mehr als 50 % gemindert, so dass nach § 33 GrStG n.F. ein Teilerlass der Grundsteuer nicht möglich war.

Keine Prüfung der Verfassungsmäßigkeit der Einheitsbewertung: Da der Erlass der Grundsteuer nur von der Minderung des Rohertrags abhängt, ist in diesem Verfahren nicht zu prüfen, ob die Anknüpfung der Grundsteuer an die Einheitswerte 1.1.1964 verfassungsgemäß ist.

Hintergrund des erhöhten Minderungssatzes: Die Erhöhung des Minderungssatzes von mehr als 20 % auf mehr als 50 % diente der Vermeidung erheblicher Steuerausfälle, nachdem entsprechend der BFH-Rechtsprechung der Grundsteuererlass auch bei einem strukturell bedingten Leerstand (z.B. bei mangelnder Mieternachfrage) in Betracht kam.

Verfassungsmäßigkeit der verschärften Voraussetzungen: Unter Berücksichtigung dieser Erwägungen des Gesetzgebers ist die Erhöhung des Prozentsatzes für die Rohertragsminderung verfassungsrechtlich zulässig, Auch unter Berücksichtigung des allgemeinen Gleich-heitssatzes (Art. 3 Abs. 1 GG) besteht aufgrund des Gestaltungsspielraums des Gesetzgebers unter Berücksichtigung der Interessen der Gemeinden am Steueraufkommen keine Verpflichtung, bereits bei einer geringeren Minderung des Rohertrags einen Erlassanspruch einzuräumen, zumal die Grundsteuer i.d.R. als Betriebsausgabe oder Werbungskosten abzugsfähig ist. Die Neufassung dient auch der Verwaltungsvereinfachung.

Kein Verstoß gegen Rückwirkungsverbot: Ebenfalls verfassungsrechtlich zulässig ist es, dass § 33 Abs. 1 GrStG n.F. nicht nur für die Jahre ab 2009, sondern nach § 38 GrStG n.F. bereits für die Grundsteuer des Kalenderjahres 2008 gilt. Der BFH beschreibt im Einzelnen die Voraussetzungen für eine grundsätzlich zulässige unechte Rückwirkung einer Steuernorm nach der Rechtsprechung des BVerfG. Eine solche liegt vor, soweit belastende Rechtsfolgen einer Norm erst nach ihrer Verkündung eintreten, tatbestandlich aber von einem bereits ins Werk gesetzten Sachverhalt ausgelöst werden ("tatbestandliche Rückanknüpfung"). Diese Grundsätze gelten auch für solche Normen, die eine Vergünstigung einschränken oder aufheben. Hiernach handelt es sich um einen Fall unechter Rückwirkung.

Erlasszeitraum maßgebend: Bei der Verkündung des JStG 2009 am 24.12.2008 handelte es sich bei der Frage, ob ein Anspruch auf Grundsteuererlass nach § 33 GrStG für das Jahr 2008 bestand, noch nicht um einen abgeschlossenen Sachverhalt. Zwar entsteht die Grundsteuer mit dem Beginn des jeweiligen Kalenderjahres. Der Anspruch auf Erlass wegen wesentlicher Ertragsminderung gem. § 33 GrStG entsteht aber erst mit Ablauf des Kalenderjahres. Der Erlass wird nach § 34 Abs. 1 Satz 1 GrStG jeweils nach Ablauf eines Kalenderjahres für die Grundsteuer ausgesprochen, die für das Kalenderjahr festgesetzt worden ist (Erlasszeitraum). Maßgebend für die Entscheidung über den Erlass sind gem. § 34 Abs. 1 Satz 2 GrStG die Verhältnisse des Erlasszeitraums. Erst mit Ende des Erlasszeitraums steht fest, inwieweit der tatsächliche Ertrag in diesem Jahr vom normalen Rohertrag abgewichen ist. Entscheidend ist, dass die Änderung des § 33 Abs. 1 GrStG noch vor Ablauf des Erlasszeitraums (hier 2008) im BGBl I verkündet wurde. Unerheblich ist, dass zu diesem Zeitpunkt die Minderung des normalen Rohertrags bereits weitgehend feststand, da der Steuerpflichtige zu diesem Zeitpunkt noch keine durchsetzbare vermögenswerte Rechtsposition erlangt hatte. Die unechte Rückwirkung des § 33 Abs. 1 GrStG n.F. für das Jahr 2008 dient dem Ziel, die durch die geänderte Auslegung des § 33 Abs. 1 GrStG a.F. durch die höchstrichterliche Rechtsprechung eintretenden Steuermindereinnahmen bei den Gemeinden auszugleichen (Ausdehnung des Erlasses auf strukturell bedingte Mietmindereinnahmen).

Keine Unverhältnismäßigkeit der Neuregelung: Die Anwendung des § 33 Abs. 1 GrStG n.F. auf die Grundsteuer für das Kalenderjahr 2008 ist unter Berücksichtigung einerseits des damit verfolgten Ziels und andererseits des den Steuerpflichtigen zustehenden Vertrauensschutzes auch nicht unverhältnismäßig, da die eingeschränkte Erlassmöglichkeit durch Erhöhung des Prozentsatzes auf mehr als 50 % des normalen Rohertrags im Vergleich zu den Verkehrswerten der betroffenen Grundstücke von relativ geringer Bedeutung ist, zumal die Grundsteuer i.d.R. als Betriebsausgabe bzw. Werbungskosten abzugsfähig ist.

Beraterhinweis: Wesentlicher Inhalt der Entscheidung ist, dass die Erhöhung des Prozentsatzes der Rohertragsminderung als Voraussetzung für einen Teilerlass der Grundsteuer bereits für das Jahr 2008 keine echte Rückwirkung beinhaltet, sondern eine – im Hinblick auf den zu erwartenden Steuerausfall der Gemeinden – zulässige unechte Rückwirkung. Entscheidend ist, dass § 33 GrStG bereits im Jahr 2008 verkündet worden ist, also zu einem Zeitpunkt, in dem die Voraussetzungen für einen Grundsteuererlass noch nicht vollständig verwirklicht waren, da die Frage der Höhe der Rohertragsminderung erst mit Ablauf des Jahres 2008 entschieden werden kann.

RD a.D. Michael Marfels, Nordkirchen

Service: BFH v. 18.4.2012 – II R 36/10

Verlag Dr. Otto Schmidt vom 06.06.2012 10:03

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