Otto Schmidt Verlag


Rücklage für Ersatzbeschaffung nach R 6.6 EStR – Neue Reinvestitionsfristen

Nach Bildung einer Rücklage für Ersatzbeschaffung ist die Reinvestition innerhalb von vier Wirtschaftsjahren nach der Bildung der Rücklage auszuführen. Bei der beabsichtigten Herstellung eines neuen funktionsgleichen Gebäudes beträgt die Frist sechs Wirtschaftsjahre (Abweichung von R 6.6 EStR).

BFH v. 12.1.2012 – IV R 4/09

Der Kläger (K) führte nach Übernahme des landwirtschaftlichen Betriebs von seinem Vater die von diesem im Jahre 1996 gebildete Rücklage für Ersatzbeschaffung für eine durch Brand zerstörte Scheune fort. K hatte die Absicht, die Scheune zu ersetzen und den vorderen Teil bis 1998 bereits erneuert. Nachdem K für 2001 und 2002 keine Steuererklärungen abgegeben hatte, schätze das FA die Besteuerungsgrundlagen und löste dabei die Rücklage für Ersatzbeschaffung auf. Die nach erfolglosem Einspruch erhobene Klage hatte keinen Erfolg.

Der BFH hat das erstinstanzliche Urteil aufgehoben und die Sache zur erneuten Verhandlung zurückverwiesen. Das FG war zwar zu Recht davon ausgegangen, dass die zunächst zulässigerweise fortgeführte Rücklage für Ersatzbeschaffung aufzulösen war. Die Feststellungen des FG reichten allerdings nicht aus, um darüber zu entscheiden, zu welchem Stichtag diese Auflösung vorzunehmen war.

Gewohnheitsrechtliches Rechtsinstitut: Bei der Rücklage für Ersatzbeschaffung (R 6.6 EStR) handelt es sich um ein gewohnheitsrechtlich anerkanntes Rechtsinstitut, dem der Gedanke zugrunde liegt, dass die für die ausgeschiedenen Wirtschaftsgüter erlangten Beträge ungeschmälert einer Ersatzbeschaffung zur Verfügung stehen sollen, was nicht möglich wäre, wenn sie zum Teil besteuert würden.

Voraussetzung: Die Bildung einer Rücklage für Ersatzbeschaffung setzt voraus, dass die Absicht zur Ersatzbeschaffung besteht; andernfalls bleibt es bei der Gewinnerhöhung.

Absicht der Ersatzbeschaffung: Der Steuerpflichtige hat das Bestehen der Ersatzbeschaffungsabsicht darzulegen und nachzuweisen. Ein bilanzierender Steuerpflichtiger dokumentiert diese Absicht bereits durch die ordnungsgemäße Bildung der Rücklage in seiner Bilanz. Ein darüber hinausgehender Nachweis oder eine Glaubhaftmachung der Reinvestitionsabsicht wird für die erstmalige Bildung der Rücklage nicht verlangt, solange dem Steuerpflichtigen die Vornahme der Investition objektiv möglich ist.

Änderung der Rechtsauffassung: Nach bisheriger Verwaltungsauffassung in R 6.6 EStR beträgt die angemessene Reinvestitionsfrist bei Ausscheiden eines Grundstücks oder Gebäudes aus dem Betriebsvermögen zwei Jahre; die Frist soll im Einzelfall angemessen verlängert werden können, wenn der Steuerpflichtige glaubhaft macht, dass die Ersatzbeschaffung noch ernstlich geplant und zu erwarten sei, aber aus besonderen Gründen noch nicht habe durchgeführt werden können. Dieser Auffassung schließt sich der BFH nicht an.

Fristendefinition durch BFH: Aus Vereinfachungsgründen und zur Verwirklichung eines gleichmäßigen und vorhersehbaren Gesetzesvollzugs hält es der BFH für angebracht, die Frage nach einer angemessenen Reinvestitionsfrist unter Berücksichtigung des in § 6b Abs. 3 Sätze 2 und 3 EStG allgemein zum Ausdruck kommenden Rechtsgedankens zu beantworten. Zu einer solchen Konkretisierung des von der Rechtsprechung entwickelten Rechtsinstituts der Rücklage für Ersatzbeschaffung erklärt der BFH sich für befugt.

Angemessene Reinvestitionsfrist: Wie in § 6b Abs. 3 Satz 2 EStG geregelt, sieht der BFH bei einer Rücklage für Ersatzbeschaffung eine Frist von vier Wirtschaftsjahren für die Reinvestition vor. Diese Frist verlängert sich bei neu hergestellten Gebäuden auf sechs Jahre, wenn mit deren Herstellung vor dem Schluss des vierten auf die Bildung der Rücklage folgenden Wirtschaftsjahres begonnen worden ist. Eine darüber hinausgehende Verlängerungsmöglichkeit schließt der BFH unter Verweis auf die entsprechende Regelung in § 6b EStG ausdrücklich aus.

Beraterhinweis: Bei der Beschaffung von Ersatz für ein aufgrund höherer Gewalt oder infolge oder zur Vermeidung eines behördlichen Eingriffs aus dem Betriebsvermögen ausgeschiedenes Wirtschaftsgut geht es darum, dass die dadurch erlangte Gegenleistung ungeschmälert zur Ersatzbeschaffung zur Verfügung steht. Unter diesem Aspekt sind Rücklage für Ersatzbeschaffung und Rücklage nach § 6b Abs. 3 EStG vergleichbar. Der Entscheidung des BFH, für die Bemessung einer angemessenen Reinvestitionsfrist an den in § 6b Abs. 3 EStG zum Ausdruck gebrachten Rechtsgedanken anzuknüpfen, kann daher nur zugestimmt werden. Es ist ansonsten kein Grund ersichtlich, in Fällen der Ersatzbeschaffung nach R 6.6 EStR eine kürzere Investitionsfrist vorzusehen, als sie von § 6b Abs. 3 EStG geregelt wird.

Kein bestimmter Herstellungsbeginn: Auf einen bestimmten Herstellungsbeginn kommt es dabei im Unterschied zur Regelung in § 6b Abs. 3 EStG nicht an, weil die Bildung der Rücklage für Ersatzbeschaffung bereits den Nachweis der Investitionsabsicht erfordert und die Umsetzung dieser Absicht regelmäßig zu einem frühzeitigen Herstellungsbeginn führen wird.

Keine Überprüfung erforderlich: Während des Laufs der Reinvestitionsfrist bedarf es keiner ständigen Überprüfung, ob die ursprünglich festgestellte Investitionsabsicht noch fortbesteht. Der Fortbestand der Absicht wird widerleglich vermutet. Bestehen im Einzelfall Anhaltspunkt für eine Aufgabe der Investitionsabsicht, hat das FA diese darzulegen und ggf. nachzuweisen.

Dipl.-Finw., RD, Wilfried Apitz, Sundern

Service: BFH v. 12.1.2012 – IV R 4/09

Verlag Dr. Otto Schmidt vom 14.05.2012 16:02

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