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Windkraftanlagen – Beginn der Abschreibung

Bei einem Windpark stellt einerseits jede einzelne Windkraftanlage einschließlich des dazugehörigen Transformators sowie der verbindenden Verkabelung, andererseits die externe Verkabelung sowie die Zuwegung im Regelfall ein eigenständiges Wirtschaftsgut dar. Der Beginn der Abschreibung ist daher für jedes Wirtschaftsgut nach den Grundsätzen des wirtschaftlichen Eigentums eigenständig zu prüfen.

BFH v. 1.2.2012 – I R 57/10

Die Klägerin (K), eine GmbH, hatte als Unternehmensgegenstand den Bau und das Betreiben von Anlagen zur Erzeugung regenerativer Energien. Im Juli 2000 schloss sie einen Kaufvertrag über den Erwerb von zwei betriebsfertigen und betriebsfähigen Windkraftanlagen (WKA) frei Baustelle ab. Nach Beendigung der Abnahme sollte die Gefahr auf den Käufer übergehen. Die WKA wurden im Dezember 2000 errichtet, vor Ort überprüft und sollten im Januar ans Netz gehen können. Bei diesem Inbetriebnahme-Check wurde Strom auf die Anlagen gegeben. Danach hätten die WKA ordnungsgemäß funktioniert und Strom liefern können. Tatsächlich wurde im Februar 2011 erstmals Strom ins Netz des Energieversorgungsunternehmens eingespeist. K beantragte bereits für den VZ 2000 eine Abschreibung. Das FA vertrat die Auffassung, wirtschaftliches Eigentum sei erst ab 2001 gegeben und erließ entsprechende Steuerbescheide. Die nach erfolglosem Einspruch erhobene Klage hatte Erfolg.

Der BFH hat das erstinstanzliche Urteil aufgehoben und die Sache zur erneuten Entscheidung zurückverwiesen. Das FG hatte nicht hinreichende Feststellungen dazu getroffen, ob K bereits im VZ 2000 wirtschaftliche Eigentümerin und damit AfA-Berechtigte war.

Zurechnung eines Wirtschaftsguts: Sowohl im Handels- als auch Steuerrecht besteht Einvernehmen darüber, dass Vermögensgegenstände bzw. Wirtschaftsgüter – auch in Fällen des Erwerbs – dem wirtschaftlichen Eigentümer als Inhaber der wirtschaftlichen Verfügungsmacht zuzurechnen sind.

Wirtschaftliches Eigentum erfordert nicht nur im Falle eines Grundstückserwerbs, sondern auch im Falle der Anschaffung beweglicher Wirtschaftsgüter – wie z.B. Maschinen – in der Regel den Übergang von (Eigen-)Besitz, Gefahr, Nutzungen und Lasten. Dies kann dazu führen, dass Abschreibungen auch für Jahre vor Inbetriebnahme des zur Einkünfteerzielung zu nutzenden Wirtschaftsguts geltend gemacht werden können.

Begriff „Besitz“: Dabei ist unter Besitz nicht der Eigenbesitz i.S.v. § 854 BGB, sondern der Besitz in Erwartung des Eigentumserwerbs zu verstehen.

Ggf. wertende Beurteilung: Sind am Bilanzstichtag nicht alle vorbezeichneten Einzelkriterien erfüllt, bedarf es einer werten Beurteilung anhand der Verteilung von Chancen und Risiken, die aus dem zu bilanzierenden Vermögensgegenstand erwachsen.

Sonderfall der Werklieferung: Die Erlangung des wirtschaftlichen Eigentums ist jedenfalls dann an den Übergang der Gefahr des zufälligen Untergangs der Sache gebunden, wenn der Verkäufer (Werklieferer) eine technische Anlage zu übereignen hat, die vom Erwerber erst nach erfolgreichem Abschluss eines Probebetriebs abgenommen werden soll. Nichts anderes gilt in Fällen, in denen ein „betriebsfähiges“ Wirtschaftsgut zu liefern ist.

Beraterhinweis: Der BFH bestätigt zum einen seine bisherige Rechtsprechung, dass eine Windkraftanlage kein einheitliches Wirtschaftsgut darstellt, sondern es sich vielmehr um verschiedene eigenständige Wirtschaftsgüter handelt, die einer eigenständigen Nutzungsdauer und damit Abschreibung unterliegen. Insoweit ist für jedes Wirtschaftsgut separat zu prüfen, zu welchem Zeitpunkt jeweils das wirtschaftliche Eigentum erlangt wird.

Technische Anlagen mit Probebetrieb: Die Erlangung des wirtschaftlichen Eigentums setzt den Übergang der Gefahr des zufälligen Untergangs voraus, wenn der Verkäufer (Werklieferer) eine technische Anlage zu übereignen hat, die vom Erwerber erst nach erfolgreichem Abschluss eines Probebetriebs abgenommen werden soll.

Eine Kaufpreisvorauszahlung vor Übergang des wirtschaftlichen Eigentums berechtigt nicht zur Annahme einer vorzeitigen Erlangung der wirtschaftlichen Verfügungsmacht über ein Wirtschaftsgut. Vielmehr sind solche Vorauszahlungen nur beim Erwerber zu aktivieren und beim Veräußerer zu passivieren.

Besonderheit bei Windparks: Grundsätzlich sind alle Wirtschaftsgüter eines Windparks aufgrund ihres wirtschaftlichen Verbrauchs in Anlehnung an die betriebsgewöhnliche Nutzungsdauer der Windkraftanlage über einen einheitlichen Zeitraum abzuschreiben. Dies betrifft aber nur den Abschreibungszeitraum als solchen, d.h. dessen einheitliche Schätzung. Sie lässt jedoch die vorrangige und die das einzelne Wirtschaftsgut zu beziehende Entscheidung darüber, zu welchem Zeitpunkt das einzelne Wirtschaftsgut angeschafft wurde und somit abgeschrieben werden kann, unberührt und hat deshalb lediglich zur Folge, dass im Fall eines unterschiedlichen Abschreibungsbeginns der Ablauf der jeweiligen Abschreibungszeiträume am Ende der betriebsgewöhnlichen Nutzungsdauer der Windkraftanlage auszurichten ist.

Dipl.-Finw., RD, Wilfried Apitz, Arnsberg

Service: BFH v. 1.2.2012 – I R 57/10

Verlag Dr. Otto Schmidt vom 02.05.2012 15:46

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