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Kurzbesprechung

Verlustabzugsverbot gem. § 4 Abs. 6 Satz 6 UmwStG 2006 bei Verschmelzung mit steuerlicher Rückwirkung

1. Die Vorschrift des § 4 Abs. 6 Satz 6 Alt. 2 UmwStG 2006, nach der ein Übernahmeverlust außer Ansatz bleibt, ist für im Privatvermögen und im Betriebsvermögen gehaltene Anteile an der übertragenden Körperschaft anwendbar.
2. Ein für den Abzug des Übernahmeverlusts schädlicher Anteilserwerb innerhalb der letzten fünf Jahre vor dem steuerlichen Übertragungsstichtag liegt wegen der Fiktion des § 5 Abs. 1 UmwStG 2006 auch dann vor, wenn der übernehmende Rechtsträger die Anteile tatsächlich erst nach dem steuerlichen Übertragungsstichtag angeschafft hat.
3. § 4 Abs. 6 Satz 6 Alt. 2 und § 7 UmwStG 2006 sind weder teleologisch zu reduzieren noch verfassungswidrig, soweit sich bei der Ermittlung des Übernahmeverlusts oder der offenen Rücklagen ausgewirkt hat, dass Pensionsrückstellungen in der Handelsbilanz und in der Steuerbilanz der übertragenden Körperschaft in unterschiedlicher Höhe passiviert waren.

BFH v. 17.8.2023 - III R 37/20

UmwStG § 4 Abs. 6
UmwStG 2006 § 2 Abs. 1 Satz 1, § 3 Abs. 1 Satz 2, § 4 Abs. 4, § 4 Abs. 5, § 4 Abs. 6 Satz 6, § 5 Abs. 1, § 7, EStG § 6a
EStG § 20 Abs. 1 Nr. 1, § 20 Abs. 8
GG Art. 3 Abs. 1
BGB § 187 Abs. 1, § 187 Abs. 2


Streitig war, ob gem. § 4 Abs. 6 UmwStG 2006 die Voraussetzungen für den Abzug eines Übernahmeverlusts aus der Verschmelzung einer GmbH auf ein Einzelunternehmen vorliegen. Der BFH hat dies verneint.

Gem. § 3 Abs. 1 Satz 1 UmwStG 2006 sind die übergehenden Wirtschaftsgüter bei einer Verschmelzung auf eine natürliche Person in der steuerlichen Schlussbilanz der übertragenden Körperschaft grundsätzlich mit dem gemeinen Wert anzusetzen. Nach § 3 Abs. 1 Satz 2 UmwStG 2006 gilt für die Bewertung von Pensionsrückstellungen jedoch § 6a EStG, das heißt, es darf höchstens der Teilwert der Pensionsverpflichtung gem. § 6a Abs. 3 EStG passiviert werden.

Der im Streitfall vorhandene Übernahmeverlust war nach § 4 Abs. 6 Satz 6 Alt. 2 UmwStG 2006 nicht abzugsfähig. Bei der Verschmelzung einer GmbH auf eine natürliche Person, wie sie im Streitfall vorlag, kann der Übernahmeverlust i.H.v. 60 % des Verlustbetrags, höchstens jedoch i.H.v. 60 % der Bezüge i.S.d. § 7 UmwStG 2006 zu berücksichtigen sein (§ 4 Abs. 6 Satz 4 UmwStG 2006). Ganz unberücksichtigt ("außer Ansatz") bleibt ein Übernahmeverlust nach § 4 Abs. 6 Satz 6 UmwStG 2006 abweichend von § 4 Abs. 6 Satz 2 bis 5 UmwStG 2006, soweit bei Veräußerung der Anteile an der übertragenden Körperschaft ein Veräußerungsverlust nach § 17 Abs. 2 Satz 6 EStG nicht zu berücksichtigen wäre (Alt. 1) oder soweit die Anteile an der übertragenden Körperschaft innerhalb der letzten fünf Jahre vor dem steuerlichen Übertragungsstichtag entgeltlich erworben wurden (Alt. 2). Die Vorschrift ist unabhängig davon anwendbar, ob die Anteile an der Kapitalgesellschaft im Privatvermögen oder ‑ wie im Streitfall ‑ im Betriebsvermögen gehalten werden.

Der BFH entschied, dass bei systematischer Gesetzesauslegung § 4 Abs. 6 Satz 6 Alt. 2 UmwStG 2006 im Zusammenhang mit der nachfolgenden Vorschrift des § 5 UmwStG 2006 zu lesen ist. Gem. § 5 Abs. 1 UmwStG 2006 ist der Gewinn des Anteilseigners (übernehmender Rechtsträger), wenn er die Anteile an der übertragenden Körperschaft erst nach dem steuerlichen Übertragungsstichtag angeschafft hat, so zu ermitteln, als hätte er die Anteile am steuerlichen Übertragungsstichtag angeschafft. Die Fiktion des § 5 Abs. 1 UmwStG 2006 ist im Rahmen des § 4 Abs. 6 Satz 6 UmwStG 2006 zu beachten, ohne dass es hierfür eines ausdrücklichen Verweises in § 4 Abs. 6 UmwStG 2006 bedarf. Denn sowohl § 4 Abs. 6 Satz 6 UmwStG 2006 als auch § 5 Abs. 1 UmwStG 2006 beziehen sich auf die Ermittlung des Gewinns des übernehmenden Rechtsträgers.

Ungeachtet des tatsächlichen Erwerbs in 2016 war danach im Streitfall von einem fiktiven Anteilserwerb des Steuerpflichtigen am 31.12.2015 (dem steuerlichen Übertragungsstichtag i.S.d. § 2 Abs. 1 Satz 1 UmwStG 2006) auszugehen.

Für die Einbeziehung des am steuerlichen Übertragungsstichtag erfolgten Anteilserwerbs in den Fünfjahreszeitraum spricht die entsprechende Anwendung des bürgerlich-rechtlichen Fristenrechts (vgl. § 108 Abs. 1 AO i.V.m. §§ 187, 188 BGB). Es handelt sich bei der Fünfjahresfrist des § 4 Abs. 6 Satz 6 UmwStG 2006 um eine "rückwärtslaufende Frist", das heißt um eine Frist, die von einem späteren Zeitpunkt zu einem früheren Zeitpunkt und somit zurück in die Vergangenheit läuft.

Der Tag, an dem das fristauslösende Geschehen stattfindet, ist trotz des unterschiedlichen Fristbeginns sowohl bei einer sogenannten Ereignisfrist (§ 187 Abs. 1 BGB) als auch bei einer sogenannten Beginnfrist (§ 187 Abs. 2 BGB) in den Fristlauf einzubeziehen; mit der Annahme einer Ereignisfrist wird für die betreffende Frist nämlich lediglich eine im Vergleich zur Beginnfrist verlängernde Berechnungsweise festgelegt. Schon deshalb war im Streitfall die Einbeziehung des 31.12.2015 unabhängig davon zu bejahen, von welcher Art der Frist im Sinne des Bürgerlichen Gesetzbuchs ausgegangen wird.

Im Streitfall waren daher die Voraussetzungen des § 4 Abs. 6 Satz 6 Alt. 2 UmwStG 2006 im Streitfall erfüllt. Da der tatsächlich erst im Jahr 2016 erfolgte Anteilserwerb auf den steuerlichen Übertragungsstichtag (31.12.2015) zurückzubeziehen ist (§ 5 Abs. 1 UmwStG 2006), lag er im Sinne des Gesetzes innerhalb des für den Abzug des Übernahmeverlusts nach § 4 Abs. 6 Satz 6 Alt. 2 UmwStG 2006 schädlichen Fünfjahreszeitraums.

Eine teleologische Reduktion des § 4 Abs. 6 Satz 6 Alt. 2 UmwStG 2006 hält der BFH nicht für geboten. Dasselbe gilt für § 7 UmwStG 2006. Der BFH ist zudem mit Blick auf das Streitjahr 2015 schließlich weder von der Verfassungswidrigkeit des § 4 Abs. 6 Satz 6 Alt. 2 UmwStG 2006 noch von jener des § 7 UmwStG 2006 überzeugt.



Verlag Dr. Otto Schmidt vom 02.11.2023 12:58
Quelle: Verlag Dr. Otto Schmidt

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