BFH 8.7.2009, VIII R 5/07
Innerhalb der Jahresfrist des § 171 Abs. 9 AO (Selbstanzeige) kann die Festsetzungsfrist durch Fahndungsmaßnahmen nicht erweitert werden
Der auf ein Jahr begrenzte Umfang der Ablaufhemmung, die durch die Erstattung einer Selbstanzeige gem. § 171 Abs. 9 AO ausgelöst wird, kann durch Steuerfahndungsermittlungen, die erst nach Ablauf der ungehemmten Festsetzungsfrist aufgenommen wurden, nicht mehr erweitert werden. Ermittlungen der Strafsachen- und Bußgeldstelle des Finanzamts stellen keine Ermittlungen der mit der Steuerfahndung betrauten Dienststellen der Landesfinanzbehörden i.S.v. § 171 Abs. 5 S. 1 AO dar.
Der Sachverhalt: Der Kläger war als Geschäftsführer einer Firma nichtselbständig beschäftigt. Im Rahmen der Errichtung einer Fabrik im Ausland erhielt er im Streitjahr 1992 von Mittelsmännern eine Zahlung von rd. 1 Mio. DM. Das Geld transferierte er auf ein ausländisches Bankkonto einer ihm zuzurechnenden Liechtensteinischen Stiftung. In seiner am 13.9.1993 abgegebenen Einkommensteuererklärung blieben der Empfang der Zahlung und der Zufluss von Kapitalerträgen auf dem Auslandskonto unerwähnt. Vergleichbare Zahlungen und Zinszuflüsse erhielt er auch in anderen Jahren.
Am 5.11.2003 offenbarte sich der Kläger gegenüber den Finanzbehörden im Rahmen einer Selbstanzeige. Am selben Tag fand außerdem eine Besprechung im Finanzamt für Steuerstrafsachen und Steuerfahndung in Anwesenheit des Vorstehers, einer Mitarbeiterin der Strafsachen- und Bußgeldstelle (StraBuSt) und der Bevollmächtigten des Klägers statt. Mit Schreiben vom 12.11.2003 leitete das Strafsachen-Finanzamt gegenüber den Klägern ein Steuerstrafverfahren wegen des Verdachts der Einkommensteuerhinterziehung 1999 bis 2002 ein. Zugleich forderte es zur steuerlichen Auswertung entsprechende Aufstellungen und Unterlagen ab dem Veranlagungsjahr 1992 bis 2001 an. Am 30.1.2004 nahm die Steuerfahndung ihre Ermittlungen auf.
Das Finanzamt wertete die Selbstanzeige in dem streitigen Einkommensteueränderungsbescheid 1992 vom 9.6.2005 aus. Der Kläger ist der Ansicht, für das Streitjahr 1992 sei Festsetzungsverjährung eingetreten und das Finanzamt damit am Erlass eines geänderten Einkommensteuerbescheids gehindert.
Das FG gab der Klage statt. Die Revision des Finanzamts hatte vor dem BFH keinen Erfolg.
Die Gründe: Der Eintritt der Festsetzungsverjährung stand dem Erlass des angegriffenen Einkommensteueränderungsbescheids entgegen.
Die Festsetzungsfrist war zum Zeitpunkt des Erlasses des Einkommensteueränderungsbescheids am 9.6.2005 bereits abgelaufen. Die Einkommensteuererklärung 1992 wurde im Jahr 1993 abgegeben. Damit fiel der Beginn der Festsetzungsfrist gem. § 170 Abs. 2 S. 1 Nr. 1 AO auf das Jahresende 1993. Der Kläger hatte eine Einkommensteuerhinterziehung begangen, so dass die gem. § 169 Abs. 2 S. 2 AO zehnjährige Festsetzungsfrist regulär am 31.12.2003 endete. Der Ablauf dieser Frist wurde im Streitfall allein durch die Selbstanzeige vom 5.11.2003 gem. § 171 Abs. 9 AO für die Dauer eines Jahres gehemmt. Bei Erlass des streitigen Änderungsbescheids im Juni 2005 war die Jahresfrist jedoch bereits abgelaufen.
Andere Hemmungstatbestände wurden nicht verwirklicht:
- Die Einleitung des Steuerstrafverfahrens hemmte den Ablauf der Festsetzungsfrist nicht gem. § 171 Abs. 5 S. 2 AO. Die Bekanntgabe der Einleitung des Ermittlungsverfahrens wegen des Verdachts der Einkommensteuerhinterziehung bzgl. der Jahre 1999 bis 2002 beeinflusste nur den Fristenlauf für die Steueransprüche der betreffenden Jahre, nicht aber für den streitgegenständlichen Steueranspruch 1992. Der Tatbestand des § 171 Abs. 5 S. 2 AO greift nur in Bezug auf denjenigen konkreten Steueranspruch ein, der durch eine im Ermittlungsverfahren näher aufzuklärende Straftat verletzt worden sein soll.
- Bis zum 31.12.2003 hatte die Steuerfahndung auch nicht mit der Ermittlung von Besteuerungsgrundlagen i.S.d. § 171 Abs. 5 S. 1 AO begonnen. Im Jahr 2003 wurde allein die StraBuSt des Strafsachen-Finanzamts tätig. Die von ihr ergriffenen Maßnahmen waren zwar gewichtige Ermittlungshandlungen, doch stellt § 171 Abs. 5 S. 1 AO nach seinem eindeutigen Wortlaut auf - dem Steuerpflichtigen erkennbare - Ermittlungen der mit der Steuerfahndung betrauten Dienststellen der Landesfinanzbehörden ab. Daran fehlte es vorliegend, da die Ermittlungen der StraBuSt nicht der Steuerfahndung zugerechnet werden können.
- Die im Januar 2004 und damit innerhalb der Jahresfrist des § 171 Abs. 9 AO begonnenen Ermittlungen der Steuerfahndung lösten auch keine weitere zeitlich unbegrenzte Ablaufhemmung gem. § 171 Abs. 5 S. 1 AO aus. Vielmehr richtet sich der zeitliche Umfang der Hemmung allein nach § 171 Abs. 9 AO. Der dort vorgesehene zeitliche Rahmen kann durch Steuerfahndungsermittlungen, die erst nach Ablauf der ungehemmten Festsetzungsfrist aufgenommen wurden, nicht mehr erweitert werden. Die Auslegung des § 171 Abs. 9 AO führt zu dem Ergebnis, dass der Gesetzgeber für die kurz vor Eintritt der Verjährung bei den Finanzbehörden eingehende Selbstanzeige (§ 371 AO) oder Berichtigungserklärung (§ 153 AO) eine verjährungsrechtliche Sonderregelung geschaffen hat, deren Rechtsfolgen nicht durch die Verknüpfung mit dem Hemmungstatbestand des § 171 Abs. 5 S. 1 AO unterlaufen werden dürfen.
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Verlag Dr. Otto Schmidt vom 23.11.2009, Quelle: BFH online
(peters - 23.11.2009 13:11:02)
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