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Aktuell im UStB

„Reemtsma-Ansprüche“ – Vorlage beim EuGH (von Streit/Streit, UStB 2022, 291)

Der sog. Reemtsma-Anspruch ist seit vielen Jahren fester Bestandteil der Rechtsprechung, eine gesetzliche Regelung steht in Deutschland allerdings nach wie vor aus. Das FG Münster legt dem EuGH nun Fragen vor, mit denen es einzelne der vielen ungeklärten Details im Zusammenhang mit dem Reemtsma-Anspruch klarstellen lassen will. Insbesondere geht es um die Anspruchskonkurrenz zwischen der Steuerberichtigung nach § 14c UStG und dem Reemtsma-Anspruch. Ein wichtiger Beschluss mit evtl. weitreichenden Folgen für das nationale Verständnis der Mehrwertsteuer.


I. Der Reemtsma-Anspruch

1. EuGH v. 15.3.2007

2. Nationale Rechtsprechung

a) Einzelne FG

b) BFH (VII. Senat)

c) FG und BFH (Umsatzsteuersenate)

3. Finanzverwaltung (Gesetzgeber)

a) Zunächst keine Reaktion

b) BMF-Schr. v. 12.4.2022

II. Vorlagebeschluss des FG Münster – Sachverhalt

III. Durchsetzbarkeit der Rückforderung – „unmöglich oder übermäßig erschwert“

IV. Doppelte Erstattung

1. Fragestellung

2. Steuerberichtigung und Reemtsma-Anspruch

a) Nicht einschränkbare Ansprüche

aa) Steuerkorrekturverfahren

bb) Reemtsma Verfahren

b) Koordinierung der Ansprüche im nationalen Recht

3. Kann der Fall überhaupt eintreten?

a) „Doppelerstattung“ nicht möglich bei Rückzahlungserfordernis

aa) Rückzahlungserfordernis lt. BFH?

bb) Verfahren XI R 6/21

cc) Ergebnis

b) „Doppelerstattung“ möglich, wenn kein Rückzahlungserfordernis

V. Ergebnis im vorliegenden Verfahren

1. Reemtsma-Anspruch besteht

a) Keine „Doppelerstattung“ möglich, wenn Rückzahlungserfordernis

b) Ohne Rückzahlungserfordernis „Doppelerstattung“ möglich, aber fehlende Umsetzung geht nicht zu Lasten der Steuerpflichtigen

2. Keine Vorsteuerkürzung

3. Gefahr der „Doppelerstattung“ auch bei Insolvenz

VI. Zinsen

VII. Fazit


I. Der Reemtsma-Anspruch

1. EuGH v. 15.3.2007


Erstattungsanspruch gegen die Finanzbehörde: Vor nunmehr etwas mehr als 15 Jahren entschied der EuGH, dass sich aus den Grundsätzen des Mehrwertsteuerrechts, insbesondere dem Effektivitätsgrundsatz, für den Empfänger einer Dienstleistung ein (direkter) Erstattungsanspruch – der sog. Reemtsma-Anspruch – gegen die Finanzverwaltung ergebe, wenn er zu Unrecht Mehrwertsteuerbeträge an den Leistenden gezahlt hat, sein Geld später aber von diesem nicht mehr zurückbekommen kann. Zwar müsse der Leistungsempfänger zunächst versuchen, das Geld vom Leistenden wiederzuerlangen. Sei dies aber „unmöglich oder übermäßig erschwert“ könnten es die Grundsätze des Mehrwertsteuerrechts gebieten, dass der Leistungsempfänger einen Antrag auf Erstattung unmittelbar an die Steuerbehörden richten kann. Die Mitgliedstaaten müssten die erforderlichen Mittel vorsehen, die es ihm ermöglichten, die zu Unrecht in Rechnung gestellte Steuer erstattet zu bekommen.

2. Nationale Rechtsprechung

Dieser Anspruch war in der Folge Gegenstand diverser Urteile der FG und des BFH.

a) Einzelne FG

Nach Ansicht mancher FG kein Anspruch im dt. Recht: Bisweilen gab es hierbei überraschende Urteile. So etwa als einzelne Gerichte entschieden, es finde sich im nationalen Recht keine Rechtsgrundlage für einen solchen Erstattungsanspruch, so dass er – zumindest für Inlandssachverhalte – abzulehnen sei.

Unionsrechtlicher Anspruch: Die Gerichte übersahen dabei allerdings, dass der Anspruch als solcher sich unmittelbar aus dem Unionsrecht ergibt. Die Mitgliedstaaten sind zwar im Grunde genommen verpflichtet, entsprechende Regelungen im nationalen Recht vorzusehen (Umsetzung). Tun sie das nicht, heißt das aber nicht, dass der Anspruch nicht besteht. Die Steuerpflichtigen können sich vielmehr zu ihren Gunsten unmittelbar auf das Unionsrecht berufen.

Widerspruch zur innerstaatlichen Rechtsordnung: Wenn außerdem auch darauf hingewiesen wurde, Reemtsma-Ansprüche stünden in Widerspruch zur innerstaatlichen Rechtsordnung,7 machte dies lediglich die Fragen deutlich, die sich daraus ergeben, dass der Gesetzgeber seit 15 Jahren nicht tätig geworden ist.8 Unter anderem gerade deswegen muss die Finanzverwaltung (der Gesetzgeber) die Ansprüche (...)
 



Verlag Dr. Otto Schmidt vom 15.09.2022 16:37
Quelle: Verlag Dr. Otto Schmidt

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