Otto Schmidt Verlag


Steuerfreie Einnahmen aus der Aufnahme v. Pflegepersonen in eigenen Haushalt

Leistungen, die aus öffentlichen Mitteln der Jugendhilfe für die Aufnahme von Pflegepersonen in einen Haushalt als Vollzeitpflege nach § 33 SGB VIII gewährt werden, sind auch dann eine steuerfreie Beihilfe zur Erziehung i.S.d. § 3 Nr. 11 EStG, wenn die Betreuung über privatrechtliche Institutionen durch Verträge mit den Erziehungsstellen abgewickelt wird und im Rahmen dieser Vertragsbeziehungen die öffentlichen Mittel von den Institutionen an die Erzieher für die Aufnahme von ein bis zwei Pflegekindern ausgezahlt werden.

Die Auffassung der Verwaltung, bei einer Betreuung von bis zu sechs Kindern sei die Pflege regelmäßig nicht als erwerbsmäßig anzusehen und diene deshalb unmittelbar der Förderung der Erziehung i.S.d. § 3 Nr. 11 EStG, ist nicht zu beanstanden. Privathaushalte der Erzieher sind keine Einrichtungen i.S.d. § 34 SGB VIII, für die keine steuerfreien Beihilfen i.S.d. § 3 Nr. 11 EStG in Betracht kommen. Sonstige betreute Wohnformen i.S.d. § 34 SGB VIII sind nur gegeben, wenn sie als Einrichtung einen institutionalisierten Rahmen für die Betreuung bieten; dazu gehören nicht lediglich angemietete Wohnungen oder die bloße Überlassung von Wohnraum wie z.B. eines Zimmers im Haushalt der betreuenden Person.

BFH v. 5. 11. 2014 – VIII R 29/11

Die Klägerin K übernahm in den Jahren 2009/2010 auf Grund eines Vertrages mit einer Firma die Vollzeitbetreuung von drei Kindern in ihrem Familienhaushalt. Diese Firma organisiert im Bereich der öffentlichen Kinder- und Jugendhilfe für die zuständige Stadtverwaltung die Unterbringung von Jugendlichen in Heimen, Einrichtungen sowie in Familienhaushalten und erhält für jeden der zu betreuenden Jugendlichen bestimmte Beträge aus öffentlichen Haushaltsmitteln. K erhielt ein vertragliches Tageshonorar zuzüglich Sachkostenpauschalen. In den ESt-Bescheiden 2009 und 2010 erfasste das FA die Zahlungen für die Betreuung der Kinder nach Abzug der Ausgaben als steuerpflichtigen Gewinn. Die Klage blieb erfolglos: Die streitigen Entgelte seien nicht nach § 3 Nr. 11 EStG steuerfrei, da K keine Erziehungsleistungen i.S.d. § 33 SGB VIII, sondern solche i.S.d. § 34 SGB VIII erbracht habe. Der BFH gab der Revision der K und ihrer Klage statt und gab dem FA auf, die ESt-Bescheide 2009 u. 2010 dahin zu ändern, dass die Gewinne der K aus ihrer erzieherischen Tätigkeit nicht angesetzt werden.

Steuerbefreiung nach § 3 Nr. 11 Satz 1 EStG: Hiernach sind u.a. Bezüge aus öffentlichen Mitteln steuerfrei, die als Beihilfe zu dem Zweck bewilligt werden, die Erziehung unmittelbar zu fördern. Öffentliche Mittel sind solche, die aus einem öffentlichen Haushalt stammen, d.h. haushaltsmäßig als Ausgaben festgelegt und verausgabt werden. Dies ist auch gegeben, wenn die derart in einem Haushaltsplan ausgewiesenen Mittel nicht unmittelbar aus einer öffentlichen Kasse, sondern mittelbar über Dritte gezahlt werden, sofern über die Mittel nur nach Maßgabe der haushaltsrechtlichen Vorschriften verfügt werden kann und ihre Verwendung im Einzelnen gesetzlich geregelter Kontrolle unterliegt.

Zahlungen aufgrund von Privatverträgen: Die Pflege- und Erziehungsgelder werden im Rahmen der öffentlichen Jugendhilfe von den Jugendämtern gezahlt. Ihrer Zuordnung zu Zahlungen "aus öffentlichen Mitteln" steht nach der Rspr. nicht entgegen, dass zur Begründung von Pflegeverhältnissen u.a. der Abschluss zivilrechtlicher Pflegeverträge ‑ z.B. zwischen Jugendamt und Pflegeeltern ‑ für erforderlich gehalten wird. Die damit verbundenen Zahlungen an Pflege- und Erziehungsgeldern stellen trotz der in zivilrechtliche Form gekleideten Übertragung des Erziehungsrechts eine haushaltsplanmäßige Verausgabung "öffentlicher Mittel" dar.

Unmittelbare Förderung der Erziehung: Diese liegt nach der Rspr. vor, wenn die Zuwendungen öffentlicher Mittel die Erziehung ohne ein Dazwischentreten weiterer Ereignisse beeinflussen. Dies ist insbesondere für Zahlungen zu bejahen, mit denen die Zahlungsempfänger der Notwendigkeit des Gelderwerbs zum Lebensunterhalt enthoben und dadurch zeitlich in die Lage versetzt werden, sich der Erziehung zu widmen. Diese Erziehung als "planmäßige Tätigkeit zur körperlichen, geistigen und sittlichen Formung junger Menschen" erfasst alle Bestrebungen, Vorgänge und Tätigkeiten, die den Entwicklungsvorgang beeinflussen. Ihrer unmittelbaren Förderung dienen öffentliche Beihilfen selbst dann, wenn sie auch den Unterhalt des zu Erziehenden mit abdecken.

Inhalt und Durchführung des Pflegeverhältnisses: Für die Frage, ob die an die Pflegeeltern gezahlten Erziehungsgelder die "Erziehung fördern" oder ob sie auch noch anderen Zwecken dienen, kommt es nach der Rspr. des BFH entscheidend auf Inhalt und Durchführung des Pflegeverhältnisses an. Hiernach sind an Pflegeeltern geleistete Erziehungsgelder zweifellos dazu bestimmt, zu Gunsten der in den Haushalt der Pflegeeltern dauerhaft aufgenommenen und wie leibliche Kinder betreuten Kinder und Jugendlichen "die Erziehung zu fördern". Zweifel hieran bestehen lediglich für Leistungen zu Gunsten sog. Kostkinder, weil insoweit zu berücksichtigen ist, ob die Zuschüsse nicht vor allem Unterbringung und Verköstigung abgelten sollen.

Uneigennützigkeit der Unterstützungsleistungen: Öffentlich-rechtliche Beihilfen i.S.d. § 3 Nr. 11 EStG sind allerdings nur uneigennützig gewährte Unterstützungsleistungen. Leistungen, die im Rahmen eines entgeltlichen Austauschgeschäfts erbracht werden, können danach nicht als Beihilfe qualifiziert werden. Demgemäß hat der BFH die von den Jugendämtern an Pflegeeltern geleisteten Erziehungsgelder als nach § 3 Nr. 11 EStG steuerfrei beurteilt; mit der Zahlung der Pflegegelder sei keine vollständige Ersetzung des sachlichen und zeitlichen Aufwands der Pflegeeltern beabsichtigt. Zuwendungen an Pflegeeltern ähnelten in vielerlei Hinsicht Zahlungen, die die leiblichen Eltern für die Erziehung ihrer Kinder ebenfalls steuerfrei erhielten. Zahlungen an Personen, die Kinder nur des Erwerbs wegen in ihren Haushalt aufgenommen haben, sind dagegen stpfl. Einnahmen. Danach sind öffentliche Zuwendungen für die Übernahme der Heimerziehung keine Beihilfen i.S.d. § 3 Nr. 11 EStG, wenn die dafür gezahlten Beträge – pauschal ‑ die tatsächlichen Kosten in angemessenem Umfang nach Maßgabe der zugrunde gelegten Pflegesätze hinsichtlich der Personal- und Sachkosten umfassen. Demensprechend hat der BFH auch die von den Jugendämtern an die Betreuer von sog. Tagesgroßpflegestellen gezahlten Erziehungsgelder nicht als nach § 3 Nr. 11 EStG steuerfrei angesehen; sie dienten nicht ausschließlich und nicht prägend der Erziehung, sondern auch der Unterbringung, Verpflegung und allgemeinen Betreuung.

Entscheidung im Streitfall: Hiernach ist die Steuerfreiheit der von K bezogenen Einnahmen aus erzieherischer Tätigkeit gem. § 3 Nr. 11 EStG gegeben. Ihre Einnahmen sind öffentliche Mittel, weil sie unstreitig konkret bezogen auf die von ihr betreuten Kinder jeweils von dem zuständigen Jugendamt auf der Grundlage der durch Haushaltsplan der Gebietskörperschaft bereitgestellten Haushaltsmittel bewilligt wurden. Unschädlich ist, dass diese bewilligten Zahlungen über einen zwischengeschalteten Träger an K als Erziehende auf der Grundlage eines Vertrages zwischen ihr und dem Träger geleistet wurden.

Zwischengeschalteter Träger: Allerdings hat die Finanzverwaltung die Steuerfreiheit bei einer Vollzeitpflege im Wege der Abwicklung über einen zwischengeschalteten Träger an die Voraussetzung geknüpft, dass der Pflegeperson das ihr zustehende Pflegegeld direkt vom örtlichen Jugendamt bewilligt worden ist, so dass das Geld bei dem zwischengeschalteten freien Träger nur einen so genannten durchlaufenden Posten darstellt, was eindeutige und unmissverständliche vertragliche Regelungen zwischen Jugendamt, freiem Träger und der Pflegeperson/Erziehungsstelle i.S.d. § 33 SGB VIII voraussetzt (vertragliche Vereinbarung zwischen allen Parteien, dass das vom Jugendamt zweckgebunden an den freien Träger ausgezahlte Pflegegeld unverändert an die Pflegeperson weitergeleitet wird und sich durch diese formale, organisatorische Abwicklung dem Grund und der Höhe nach am Pflegegeldanspruch der Pflegeperson nichts ändert). Des Weiteren muss eine Vollmacht und Erklärung der Pflegeperson vorliegen, mit der Weiterleitung des Pflegegeldes des örtlichen Jugendamts über den freien Träger einverstanden zu sein. Diese Rechtsauffassung der Verwaltung steht der Annahme "öffentlicher Mittel" i.S.v. in einem öffentlichen Haushalt als Ausgaben festgelegten und entsprechend verausgabten Beträgen nicht entgegen, da diese nach st. Rspr. schon dann gewahrt ist, wenn die in einem Haushaltsplan ausgewiesenen Mittel nicht unmittelbar aus einer öffentlichen Kasse, sondern mittelbar über Dritte gezahlt werden, sofern über die Mittel nur nach Maßgabe der haushaltsrechtlichen Vorschriften verfügt werden kann und ihre Verwendung im Einzelnen gesetzlich geregelter Kontrolle unterliegt. Diese Voraussetzungen sind im Streitfall erfüllt (wird näher ausgeführt).

Unmittelbaren Förderung der Erziehung: Die streitigen Zahlungen sind des Weiteren i.S.d. § 3 Nr. 11 Satz 1 EStG Beihilfen zur unmittelbaren Förderung der Erziehung, da eine Vollzeitpflege nach § 33 SGB VIII vorliegt, d.h. die regelmäßig in den Familienhaushalten der Pflegeperson über Tag und Nacht vorgenommene Betreuung von Kindern und Jugendlichen, die der Erziehung dient, so dass die dafür geleistete Zahlungen der Jugendhilfeträger damit ‑ dem Grunde nach ‑ Beihilfen zur Förderung der Erziehung i.S.d. § 3 Nr. 11 S. 1 EStG sind. Denn nach BFH-Rspr. wird mit der Zahlung der in diesem Zusammenhang bewilligten Pflegegelder keine vollständige Ersetzung des sachlichen und zeitlichen Aufwands der Pflegeeltern beabsichtigt. Unmittelbare Förderung der Erziehung liegt nach der Rspr. vor, wenn die Zuwendungen öffentlicher Mittel die Erziehung ohne ein Dazwischentreten weiterer Ereignisse beeinflussen, und die Aufnahme des Kindes in den Haushalt der Pflegeperson ‑ wie sog. Kostkinder ‑ auf Seiten der Pflegepersonen nicht als Erwerbstätigkeit anzusehen ist. Dies ist bei einer Betreuung von bis zu sechs Kindern aufgrund eines Anscheinsbeweises ohne nähere Prüfung zu verneinen.

Vollzeitpflege im Streitfall: Zu Unrecht haben aber FA und FG das Vorliegen einer Vollzeitpflege i.S.d. § 33 SGB VIII mit der Begründung verneint, die von K in ihrem Familienhaushalt erbrachte Erziehungsleistung gegenüber den Pflegekindern sei ‑ weil sie nach den abgeschlossenen Verträgen "als Erziehungsstelle" tätig geworden sei ‑ als "in einer (anderen) Einrichtung betreuten Wohnens" i.S.d. § 34 SGB VIII erbracht anzusehen, für die die Steuerfreiheit nach § 3 Nr. 11 EStG nicht gelte. Sonstige betreute Wohnformen i.S.d. § 34 SGB VIII sind nur gegeben, wenn sie als Einrichtung einen institutionalisierten Rahmen für die Betreuung bieten. Eine nur angemietete Wohnung ‑ und folglich die bloße Überlassung von Wohnraum wie z.B. ein Zimmer im Haushalt der betreuenden Person entsprechend den Verhältnissen im Streitfall ‑ genügt nicht. Denn unter "Einrichtung" ist eine auf eine gewisse Dauer angelegte ‑ hier fehlende ‑ Verbindung von sächlichen und persönlichen Mitteln zu einem bestimmten Zweck unter der Verantwortung eines Trägers zu verstehen. Hiernach bestimmt sich die Beurteilung der Frage, ob es sich um eine Betreuung in einer Vollzeitpflegestelle nach § 33 SGB VIII oder in einem Heim oder in einer anderen Einrichtung betreuten Wohnens nach § 34 SGB VIII handelt, allein nach den tatsächlichen Verhältnissen der konkreten Unterbringung. Dies gilt gleichermaßen für den Anwendungsbereich des § 3 Nr. 11 Satz 1 EStG, weil die Auslegung des Merkmals "unmittelbare Förderung der Erziehung" im Wesentlichen an der tatsächlichen Ausgestaltung der Pflegesitua­tion orientiert ist. Bei dieser Sachlage kann dahinstehen, ob Zahlungen für die Betreuung in Einrichtungen nach § 34 SGB VIII stets ‑ mangels ausdrücklicher Ausrichtung auf die Erziehung ‑ aus dem Anwendungsbereich des § 3 Nr. 11 EStG ausscheiden oder bei bestimmten Mischformen eine solche Anwendung in Betracht zu ziehen sein könnte.

Beraterhinweis: Der BFH stellt mit dieser eindeutigen Entscheidung dar, dass die Vollzeitbetreuung von bis zu sechs Kindern unmittelbar der Erziehung der aufgenommenen Pflegekinder dient, so dass die Voraussetzungen der Steuerfreiheit nach § 3 Nr. 11 EStG erfüllt sind. Dies gilt auch dann, wenn die Zahlungen nicht direkt vom Jugendamt geleistete werden, sondern über das Jugendamt von einem dazwischen geschalteten privaten Träger, mit dem die Pflegeperson entspr. Verträge abgeschlossen hat.

RD a.D., Michael Marfels, Nordkirchen

Verlag Dr. Otto Schmidt vom 18.06.2015 15:18

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