Otto Schmidt Verlag


Duales Studium mit studienintegrierter praktischer Ausbildung im Lehrberuf als einheitliche Erstausbildung - Auslegung von § 32 Abs. 4 Satz 2 EStG

Setzt ein Kind im Rahmen eines dualen Studiums nach erfolgreichem Abschluss seines studienintegrierten Aus-bildungsgangs sein parallel zur Ausbildung betriebenes Bachelorstudium fort, kann auch das Bachelorstudium als Teil einer einheitlichen Erstausbildung i.S.d. § 32 Abs. 4 Satz 2 EStG in der ab 2012 geltenden Fassung zu werten sein. Für die Frage, ob sich die einzelnen Ausbildungsabschnitte als integrative Teile einer einheitlichen Erstausbildung darstellen, kommt es darauf an, ob sie in einem engen sachlichen Zusammenhang (z.B. dieselbe Berufssparte, derselbe fachliche Bereich) zueinander stehen und in einem engen zeitlichen Zusammenhang durchgeführt werden.

BFH v. 3.7.2014 – III R 52/13

Der Sohn der Klägerin begann nach dem Abitur ein duales Studium zum Bachelor im Studiengang Steuerrecht. Neben dem Studium absolvierte er eine studienintegrierte praktische Ausbildung zum Steuerfachangestellten. Beides schloss er erfolgreich ab: Die Prüfung zum Steuerfachangestellten legte der Sohn bereits im Jahr 2011 ab, der "Bachelor" wurde ihm im März 2013 - noch vor Vollendung des 25. Lebensjahres - verliehen. Die Familienkasse (FK) hob die Festsetzung des Kindergeldes ab Januar 2012 auf, weil sie der Auffassung war, dass die Erstausbildung des Sohnes der Klägerin bereits mit der Prüfung zum Steuerfachangestellten im Jahr 2011 beendet gewesen sei. Das (erst später beendete) Studium stelle eine Zweitausbildung dar. Das FG hielt die Klage des Klägers für begründet und  hat entschieden, dass ein duales Studium als Erstausbildung bzw. Erststudium anzusehen ist. Die Erwerbstätigkeit des Kindes sei daher für die Gewährung des Kindergeldes unschädlich. Die Revision der FK ist unbegründet.

Begriff der Berufsausbildung: Die durch das Steuervereinfachungsgesetz 2011 vom 1.11.2011 (BGBl. I 2011, 2131; BStBl. I 2011, 986) bewirkte Änderung des § 32 Abs. 4 Satz 2 ff. EStG berührt den in § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 Buchst. a EStG verwendeten Begriff der Berufsausbildung nicht. Das von dem Sohn des Klägers durchgeführte Studium bildet daher einen Berücksichtigungstatbestand, unabhängig davon, ob es sich um eine Erst- oder Zweitausbildung handelte. Anhaltspunkte dafür, dass der Sohn sich im Streitzeitraum Januar 2012 bis August 2012 nicht ernsthaft und nachhaltig auf sein Berufsziel vorbereitet hatte, wurden  vom FG nicht festgestellt.

„Verbrauch“ der Erstausbildung: Zu Recht ist das FG davon ausgegangen, dass ein Kind, das ein duales Studium durchführt, seine Erstausbildung i.S.d. § 32 Abs. 4 Satz 2 EStG noch nicht mit der erfolgreichen Absolvierung der studienintegrierten praktischen Ausbildung im Lehrberuf (hier zum Steuerfachangestellten) beendet, sondern die Erstausbildung bis zum Abschluss des parallel zum Studium durchgeführten Bachelorstudiums fortdauert. Für die Frage, ob bereits der erste (objektiv) berufsqualifizierende Abschluss in einem öffentlich-rechtlich geordneten Ausbildungsgang zum Verbrauch der Erstausbildung führen soll oder ob bei einer mehraktigen Ausbildung auch ein nachfolgender Abschluss in einem öffentlich-rechtlich geordneten Ausbildungsgang Teil der Erstausbildung sein kann, ist darauf abzustellen, ob sich der erste Abschluss als integrativer Bestandteil eines einheitlichen Ausbildungsgangs darstellt. Die systematische Stellung des § 32 Abs. 4 Satz 2 EStG und der Sinn und Zweck der Norm sprechen dafür, mehraktige Ausbildungsmaßnahmen dann als Teil einer einheitlichen Erstausbildung zu qualifizieren, wenn sie zeitlich und inhaltlich so aufeinander abgestimmt sind, dass die Ausbildung nach Erreichen des ersten Abschlusses fortgesetzt werden soll und das angestrebte Berufsziel erst über den weiterführenden Abschluss erreicht werden kann.

Beraterhinweis: Wegen der gleichen Rechtsfrage ist noch das Verfahren XI R 1/14 beim BFH anhängig. In diesem Verfahren hat dass Hess. FG die abweichende Meinung der FK bestätigt. Obwohl dieses Verfahren noch nicht entschieden ist, können nach Veröffentlichung des vorstehenden Urteils im BStBl. bisher ruhende Verfahren durch Abhilfe erledigt werden. Aber auch in  gleich gelagerten Fällen, in denen die Gewährung des Kindergeldes nach der bisherigen Auffassung der FK  abgelehnt worden ist, ist noch nicht alles verloren. Wurde der Anspruch auf Kindergeld bestandskräftig abgelehnt, erstreckt sich die Bindungswirkung des Ablehnungsbescheids auf die Zeit bis zum Monat der Bekanntgabe des Aufhebungs- oder Ablehnungsbescheids. Das bedeutet im Umkehrschluss: Für die Zeit nach der Bekanntgabe des Ablehnungsbescheids kann (innerhalb der vierjährigen Festsetzungsfrist) erneut einen Antrag auf Kindergeld gestellt werden.

Da die Erstausbildung im Streitfall mit der Erlangung des Abschlusses zum Steuerfachangestellten noch nicht beendet war, kam es nicht darauf an, dass der Sohn der Klägerin bis zur Erlangung des Bachelorabschlusses mehr als 20 Stunden pro Woche gearbeitet hatte. Allerdings betonte der BFH auch, dass dies nicht gilt, wenn sich das Kind in einem solchen Fall nicht ernsthaft und nachhaltig auf die Erlangung des Studienabschlusses vorbereitet. Eltern von nur "pro forma" eingeschriebenen Scheinstudenten sollen von dieser Rechtsprechung nicht profitieren.

StB Dipl.-Fw. (FH) Georg Schmitt, Limburg

Verlag Dr. Otto Schmidt vom 07.11.2014 15:01

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