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Treaty override bei Rückübertragung des Besteuerungsrechts auf Deutschland verfassungsgemäß?

Die Nichtbesteuerung der Vergütungen von in Deutschland wohnhaften Piloten irischer Fluggesellschaften hat die Finanzverwaltung und auf deren Anregung auch den Gesetzgeber in den letzten Jahren zu verschiedenen gesetzgeberischen Reparaturversuchen bei § 50d EStG veranlasst. Ursache dieser gemeinsamen Bemühungen ist Art. XII Abs. 3 i.V.m. Art. XXII Abs. 2 Buchst. a Doppelbuchst. aa Satz 1 DBA-Irland 1962 sowie die Besteuerungspraxis entsprechend dem irischen Steuerrecht. Nach dem DBA steht Irland das Recht zur Besteuerung der Vergütungen von Piloten irischer Fluggesellschaften zu, dieses Recht wird aber bei ihnen, soweit sie in Irland beschränkt steuerpflichtig sind, nicht ausgeübt (betrifft den Zeitraum bis 2010).

Nach § 50d Abs. 8 Satz 1 EStG 2002 wurde die Freistellung in Deutschland davon abhängig gemacht, dass der Steuerpflichtige nachweist, dass der andere Staat – also Irland – die Bezüge besteuert hat oder auf sein Besteuerungsrecht verzichtet. Das hatte zur Folge, dass Deutschland diese Bezüge nicht versteuern konnte. Im AmtshilfeRLUmsG v. 26.6.2013 sind die Regelungen in § 50d Abs. 8 und 9 Satz 1 Nr. 2 sowie Satz 3 EStG deshalb in der Weise geändert worden, dass für im anderen DBA-Staat beschränkt Steuerpflichtige das deutsche Besteuerungsrecht wieder ausgeübt werden kann. Diese Regelung gilt gem. § 52 Abs. 59a Satz 9 EStG i.d.F. v. 26.6.2013 rückwirkend für alle noch offenen Steuerfälle.

Der BFH vertritt hierzu die Auffassung, dass

-       die Besteuerung in Deutschland als Treaty override gegen Art. 25 GG und

-       die rückwirkende Anwendung gegen das Rückwirkungsverbot gem. Art. 20 Abs. 3 GG verstößt,

und hat daher diese beiden Fragen dem BVerfG zur Entscheidung vorgelegt.

BFH v. 20.8.2014 – I R 86/13

Ein in Deutschland wohnhafter Pilot war in 2007 bis 2010 bei einer irischen Fluggesellschaft angestellt und bezog von ihr Bezüge aus nicht selbstständiger Arbeit. Diese Vergütungen besteuerte das FA in Deutschland. Zur Begründung der deutschen Steuerpflicht verwies das FA auf § 50d Abs. 9 Satz 1 Nr. 2 EStG 2002 i.d.F. v. 13.12.2006 bzw. i.d.F. v. 8.10.2009, wonach hier die Vorschriften des DBA-Irland 1962 auf diese Einkünfte nicht anzuwenden seien. Das angerufene FG Schleswig-Holstein gab dem Kläger recht, es verwies dabei auf die Entscheidung des I. Senats in dem Parallelverfahren v. 11.1.2012 (I R 27/11, BFHE 236, 237). Die gegen das FG-Urteil erhobene Revision wurde vom BFH mit Beschluss vom 17.12.2013 (I B 117/13) zugelassen. Der BFH hielt die Revision deswegen für zulässig, weil zwischenzeitlich § 50d Abs. 9 Satz 3 EStG geändert wurde und dies gem. § 52 Abs. 59a Satz 9 EStG i.d.F. v. 26.6.2013 rückwirkend gelten sollte. Über die Neufassung und deren Rückwirkung wollte der BFH deshalb in dieser Revisionssache entscheiden. Das FA erhob auch die Revision, die jetzt zu den Vorlagebeschlüssen führte.

Anwendung des DBA-Irland 1962 auf Einkünfte der Piloten von irischen Fluggesellschaften: Für die Bezüge eines in Deutschland ansässigen Piloten hat Irland das Besteuerungsrecht gem. Art. XII Abs. 3 DBA-Irland 1962, wenn er für eine Fluggesellschaft mit tatsächlicher Geschäftsleitung in Irland tätig ist. Analog zur Zuordnung dieses Besteuerungsrechts nimmt Deutschland die Einkünfte gem. Art. XXII Abs. 2 Buchst. a Doppelbuchst. aa Satz 1 von der deutschen Besteuerung aus. Diese Einkünfte unterliegen dann in Deutschland gem. Art. XXII Abs. 2 Satz 1 Buchst. a Doppelbuchst. aa Satz 2 DBA-Irland 1962 nur dem Progressionsvorbehalt. Diese Einkünfte werden aber auch in Irland auf Antrag von der Steuerpflicht freigestellt, wenn der Pilot in Irland keinen Wohnsitz hat und damit beschränkt steuerpflichtig ist. Diese Besteuerungspraxis gilt bis einschließlich des Jahres 2010.

Steuerpflicht in Deutschland nach § 50d Abs. 9 Satz 1 Nr. 2 EStG 2002/2007/2009: Grundsätzlich unterliegt ein in Deutschland Ansässiger mit seinem gesamten Welteinkommen der unbeschränkten Steuerpflicht. Für den klagenden Piloten war allerdings wegen der Anwendung des DBA-Irland diese Steuerpflicht für seine Vergütungen von der irischen Fluggesellschaft hier nicht gegeben. Nach § 50d Abs. 9 Satz 1 Nr. 2 EStG 2002/2007/2009 entfällt die durch das DBA vorgesehene Steuerbefreiung der Einkünfte aber dann, wenn der andere Staat von der Besteuerung der ihm zugewiesenen Einkünfte dann absieht, wenn der Einkünftebezieher – hier also der Pilot – keinen Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthalt im steuerberechtigten Staat hat. Daher wäre durch diese Vorschrift das Besteuerungsrecht wieder bei Deutschland. Dem steht aber § 50d Abs. 8 EStG 2002/2007/2009 entgegen. Danach wird das einem anderen DBA-Staat zustehende Besteuerungsrecht für Einkünfte aus dem anderen Staat zwar ebenfalls wieder Deutschland zugeordnet, aber nur unter bestimmten Voraussetzungen:

-       Es muss sich um Einkünfte aus nicht selbstständiger Arbeit eines unbeschränkt Steuerpflichtigen handeln und

-       der Steuerpflichtige kann nicht nachweisen, dass der andere Staat auf sein Besteuerungsrecht verzichtet hat oder dass er die im anderen Staat festgesetzte Steuer entrichtet hat.

Im vorliegenden Fall konnte der Pilot aber nachweisen, dass der irische Staat auf sein ihm zustehendes Besteuerungsrecht verzichtet hat. Die Bedingungen für den Rückfall an Deutschland waren demnach nicht erfüllt.

Kein Rückfall des Besteuerungsrechts: Nach Auffassung des BFH bleibt es danach bei der Steuerfreistellung der Einkünfte, denn nach dem Wortlaut des § 50d Abs. 9 Satz 3 EStG 2002/2007/2009 bleibt Abs. 8 von dieser Vorschrift unberührt. Im Übrigen wird der Abs. 8 auch vom BFH als speziellere Vorschrift gegenüber Abs. 9 angesehen, sodass § 50d Abs. 8 EStG vorrangig anzuwenden ist. Dies hat dann wiederum zur Folge, dass der Rückfall des Besteuerungsrechts auf den deutschen Fiskus nicht eintritt.

Rechtslage nach Änderung des § 50d Abs. 8 und 9 EStG im AmtshilfeRL-UmsG v. 26.6.2013: Als Reaktion auf die vom I. Senat in dem Parallelfall (BFHE 236, 327) getroffene Entscheidung entsprechend der im vorstehenden Abschnitt erläuterten Rechtslage hat der Gesetzgeber mit dem AmtshilfeRL-UmsG v. 26.6.2013 das Verhältnis zwischen § 50d Abs. 8 und 9 EStG anders geregelt. Die beiden Vorschriften sind durch diese Änderung jetzt nebeneinander anzuwenden. Soweit § 50d Abs. 9 Satz 1 EStG anwendbar ist, wird diese Vorschrift durch Abs. 8 nicht mehr eingeschränkt, im Gegenteil, sie bleibt erhalten und hindert nicht die Anwendung des geänderten Abs. 8, wenn dort restriktivere Regelungen eingreifen. Diese Vorschrift sollte gem. § 52 Abs. 59a Satz 9 EStG i.d.F. v. 26.6.2013 rückwirkend auf alle noch nicht rechtskräftigen Fälle anzuwenden sein. Sie wäre damit auch auf die in diesem Verfahren zu beurteilenden Jahre 2007 bis 2010 anzuwenden. Der BFH untersucht aber zunächst, ob sowohl das Treaty override als auch die Rückwirkung der geänderten Vorschrift verfassungsgemäß ist.

Verfassungsmäßigkeit des Treaty override in § 50d Abs. 9 Satz 1 Nr. 2 EStG: Der BFH stellt zunächst fest, dass die in § 50d Abs. 9 Satz 1 Nr. 2 EStG getroffene Regelung mit der in Art. XII Abs. 3 DBA-Irland vorgesehenen Zuordnung des Besteuerungsrechts nicht in Einklang steht. Damit liegt ein Verstoß gegen den Grundsatz des „pacta sunt cervanda“ vor, der als völkerrechtliches Gewohnheitsrecht durch die Art. 26 und 27 des Wiener Übereinkommens innerdeutsches Recht geworden ist.

Verletzung des Prinzips des Abkommensvorrangs: Die vom BFH angeführte überwiegende Auffassung im Schrifttum geht allerdings davon aus, dass ein „Bruch“ von völkerrechtlichen Vereinbarungen durch nationalstaatlich gesetztes Recht – wie z.B. im Falle des Treaty override gegen das DBA-Irland – nur rechtspolitisch unerfreulich ist, aber keine verfassungsrechtlich unzulässige Rechtssetzung darstellt. Das hat auch der erkennende I. Senat in seiner früheren Rechtsprechung so gesehen (z.B. BFH v. 17.5.1995 – I B 183/94, BStBl. II 1995, 781). An dieser Rechtsprechung hält der BFH aber nicht mehr fest und führt vielmehr seine bereits in den Vorlagebeschlüssen v. 10.1.2012 – I R 66/09 (BFHE 236, 304) und v. 11.12.2013 – I R 4/13 (BFHE 244, 1) vertretene Auffassung weiter fort. Er sieht damit in dem völkerrechtswidrigen Verstoß gegen die Abkommensregelung mit Irland eine Verletzung des Prinzips des Abkommensvorrangs, was aus verfassungsrechtlicher Sicht zur Nichtigkeit der entsprechenden unilateralen Vorschrift führt. Mit dieser Aussage kommt der I. Senat zu der Erkenntnis, dass das in § 50d Abs. 9 Satz 1 Nr. 2 EStG enthaltene Treaty override gegen Art. 20 Abs. 3 GG verstößt, weil diese Vorschrift nicht dem Rechtsstaatsgebot entspricht.

Rückwirkende Anwendung der Gesetzesänderung in § 50d Abs. 9 Satz 3 EStG aus verfassungsrechtlicher Sicht: Die Anwendung der Änderung in § 50d Abs. 9 Satz 3 EStG entsprechend dem AmtshilfeRL-UmsG ist gem. § 52 Abs. 59a Satz 9 EStG auf alle Fälle vorgesehen, bei denen noch keine rechtskräftigen Steuerbescheide vorliegen. Dies bedeutet, dass der Neuregelung auch eine Rückwirkung für abgelaufene Veranlagungszeiträume zukommt. Dies hält der I. Senat ebenfalls für einen Verstoß gegen Art. 20 Abs. 3 GG, da eine echte Rückwirkung das prinzipiell geschützte Vertrauen des Bürgers in die gesetzte Rechtsordnung verletzt. Dieses Rückwirkungsverbot ist nach dem BVerfG-Beschluss v. 15.10.1996 (1 BvL 44/92 – BVerfGE 95, 64 [86 f.]) als Ausfluss des Vertrauensschutzes auch vom Gesetzgeber zu beachten. Der BFH sieht auch keinen Ausnahmetatbestand in dem bisherigen Gesetzestext – weil er etwa vom Wortlaut oder der Systematik völlig unverständlich war –, der kein schutzwürdiges Vertrauen in den Bestand des Gesetzes hat entstehen lassen. Dies trifft nach Ansicht des Gerichts auch entgegen der Stellungnahme des Finanzausschusses des Deutschen Bundestags zur geplanten Gesetzesänderung zu, in der auf die Verwaltungsauffassung (BMF v. 12.11.2008 – IV B 5 - S 1300/07/10080, BStBl. I 2008, 988) und nur das eine gegenteilige Urteil (BFH v. 11.1.2012 – I R 27/11, BFHE 236, 327) hingewiesen wird (BR-Drucks. 632/1/12).

Beraterhinweis: Der Vorlagebeschluss gibt eine ausreichende Legitimation, gegen alle noch offenen Steuerbescheide, bei denen Einkünfte unter Berufung auf § 50d Abs. 9 Satz 1 und 2 EStG sowie auf § 50d Abs. 9 Satz 3 EStG als steuerpflichtig behandelt wurden, vorzugehen. Dabei sollte das Ruhen des Verfahrens gem. § 363 Abs. 2 AO bis zur Entscheidung des BVerfG beantragt werden. Ob gleichzeitig auch die Aussetzung der Vollziehung gem. § 361 Abs. 2 AO beantragt wird, hängt bei dem heutigen Zinsniveau und der Höhe der Aussetzungszinsen davon ab, wie man persönlich die Erfolgsaussichten des Vorlagebeschlusses einschätzt. Der Vorlagebeschluss kann nicht nur auf die Vergütungen der Piloten angewandt werden, sondern auch auf andere Fälle, in denen durch den Gesetzgeber Steuerfreistellungen in einem DBA entgegen dem Abkommen beseitigt werden.

WP/StB Jürgen Dräger, Hamburg

Verlag Dr. Otto Schmidt vom 23.10.2014 16:27

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