Otto Schmidt Verlag


Nachträgliche Schuldzinsen bei den Einkünften aus Vermietung und Verpachtung

Schuldzinsen, die auf Verbindlichkeiten entfallen, welche der Finanzierung von Anschaffungskosten eines zur Erzielung von Einkünften aus Vermietung und Verpachtung genutzten Wohngrundstücks dienten, können auch nach einer gem. § 23 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 EStG steuerbaren Veräußerung der Immobilie weiter als (nachträgliche) Werbungskosten abgezogen werden, wenn und soweit die Verbindlichkeiten durch den Veräußerungserlös nicht getilgt werden können.

BFH v. 20.6.2012 – IX R 67/10

Der Kläger (K) erwarb 1994 ein Wohngebäude, um damit Einkünfte aus Vermietung und Verpachtung zu erzielen. Die Anschaffungskosten finanzierte er zu einem Großteil über Darlehen. Im Jahr 2001 veräußerte er das Gebäude mit Verlust. Mit dem Veräußerungserlös konnten die bei der Anschaffung des Gebäudes aufgenommenen Darlehen nicht vollständig abgelöst werden. Daher musste K auch im Streitjahr 2004 noch Schuldzinsen auf die ursprünglich aufgenommenen Verbindlichkeiten aufwenden. Diese Aufwendungen machte er in seiner Einkommensteuererklärung für das Streitjahr als Werbungskosten bei den Einkünften aus Vermietung und Verpachtung geltend. Das FA erkannte die nachträglichen Schuldzinsen nicht als Werbungskosten an.

Die Vorinstanz (FG Baden-Württemberg v. 1.7.2010 – 13 K 136/07, EFG 2011, 1052) wies die Klage zurück. Die nach einer erfolgreichen Nichtzulassungsbeschwerde (BFH v. 17.12.2010 – IX B 111/10) eingelegte Revision führte zur Aufhebung der Vorentscheidung und zur Stattgabe der Klage. Nach Ansicht des IX. Senats sind Schuldzinsen für ein Darlehen, das ursprünglich zur Finanzierung von Anschaffungskosten einer zur Vermietung bestimmten Immobilie aufgenommen wurde, grundsätzlich auch dann noch als nachträgliche Werbungskosten bei den Einkünften aus Vermietung und Verpachtung abziehbar, wenn das Gebäude veräußert wird, der Veräußerungserlös aber nicht ausreicht, um die Darlehensverbindlichkeit zu tilgen.

Hintergrund: Wenn der Veräußerungserlös nicht zur Tilgung des zur Finanzierung der Anschaffungs- bzw. Herstellungskosten aufgenommenen Kredits ausreichte, konnten nach der bisherigen Rechtsprechung die zu zahlenden Zinsen nicht mehr als Werbungskosten berücksichtigt werden (BFH v. 25.4.1995 - IX R 114/92, BFH/NV 1995, 966).

Rechtsprechungsänderung: Der BFH begründet seine Rechtsprechungsänderung sowohl mit der im Steuerentlastungsgesetz 1999/2000/2002 vom Gesetzgeber getroffenen Grundentscheidung, Wertsteigerungen bei der Veräußerung von im Privatvermögen gehaltenen Grundstücken innerhalb einer auf 10 Jahre erweiterten Frist zu erfassen, als auch mit der gesetzestechnischen Verknüpfung von privaten Veräußerungsgeschäften mit einer vorangegangenen steuerbaren und steuerpflichtigen Nutzung des Grundstücks durch die Regelung in § 23 Abs. 3 Satz 4 EStG, welche bewirke, dass die Ermittlung des Gewinns aus einem steuerbaren Grundstücksveräußerungsgeschäft strukturell der Ermittlung des Gewinns aus der Veräußerung eines Wirtschaftsguts des Betriebsvermögens gleichgestellt werde. Vor diesem Hintergrund sei es folgerichtig, den nachträglichen Schuldzinsenabzug bei den Einkünften aus Vermietung und Verpachtung auf den im Streitfall zu entscheidenden Sachverhalt auszuweiten und damit die notwendige steuerrechtliche Gleichbehandlung von nachträglichen Schuldzinsen bei den Gewinn- und bei den Überschusseinkünften wieder herzustellen. Beachten Sie: Die Anwendung der Entscheidung durch die Verwaltung bleibt abzuwarten. Insbesondere auch die Behandlung der Altfälle. D.h. können nunmehr auch die nachträglichen Schuldzinsen aus Veräußerungen vor 1999 (also vor Ausweitung der Spekulationsfrist) als Werbungskosten berücksichtigt werden (zu ähnlichen Rechtsfragen hinsichtlich der Berücksichtigung von nachträglichen Zinsaufwendungen bei wesentlicher Beteiligung nach der Rechtsprechungsänderung vgl. das beim BFH anhängigen Verfahren VIII R 15/11).

Vorrangige Schuldentilgung: Ein Veranlassungszusammenhang von nachträglichen Schuldzinsen mit Einkünften aus Vermietung und Verpachtung ist - entsprechend der rechtlichen Behandlung nachträglicher Schuldzinsen auf Betriebsschulden nach Aufgabe oder Veräußerung des Betriebs als Betriebsausgaben - dann allerdings zu verneinen, wenn die Schuldzinsen auf Verbindlichkeiten entfallen, die durch den Veräußerungspreis des Immobilienobjekts hätten getilgt werden können (sog. Grundsatz des Vorrangs der Schuldentilgung). In diesem Fall beruht die Entscheidung des Steuerpflichtigen, im Veräußerungszeitpunkt noch valutierende Darlehensschulden nicht oder nicht im Rahmen der bestehenden Möglichkeiten zurückzuführen, auf einer privaten Motivation, die den ursprünglichen Veranlassungszusammenhang überlagert.

Aufgabe der Einkunftserzielung vor Verkauf: Ein fortdauernder Veranlassungszusammenhang von nachträglichen Schuldzinsen mit früheren Einkünften i.S.d. § 21 EStG kann nicht mehr angenommen werden, wenn der Steuerpflichtige zwar ursprünglich mit Einkünfteerzielungsabsicht gehandelt hat, seine Absicht zu einer (weiteren) Einkünfteerzielung jedoch bereits vor der Veräußerung des Immobilienobjekts aus anderen Gründen weggefallen ist.

Beraterhinweis: Gezahlte Schuldzinsen für einen Kredit zur Finanzierung sofort abziehbarer Werbungskosten während der Vermietungszeit können auch nach Aufgabe der Vermietung als Werbungskosten berücksichtigt werden. Es kommt dabei nicht darauf an, ob ein bei einer Veräußerung erzielbarer Erlös zur Tilgung des Darlehens ausgereicht hätte (BFH v. 12.10.2005 – IX R 28/04, BStBl. II 2006, 407 sowie BMF v. 3.5.2006 – IV C 3 – S 2211 – 11/06), FR 2006, 561.

Dipl.-Finw. Martin Hilbertz, Neuwied

Service:  BFH v. 20.6.2012 – IX R 67/10

Verlag Dr. Otto Schmidt vom 11.09.2012 17:01

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